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30.06.12 / Über die Grenzen des Sozialstaats / Leistungen für Flüchtlinge und Asylbewerber stehen vor deutlicher Ausweitung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Über die Grenzen des Sozialstaats
Leistungen für Flüchtlinge und Asylbewerber stehen vor deutlicher Ausweitung

Das Bundesverfassungsgericht prüft aktuell das Asylbewerberleistungsgesetz (AyslbLG). Offiziell geht es um das Existenzminimum für Flüchtlinge, konkret hingegen um die Frage, wie viel staatliche Leistungen sie bekommen, ob der Bedarf weiter geschätzt werden darf oder berechnet werden muss. Vor allem die begleitenden Proteste von Flüchtlingen und deren Organisationen zeigen, worum es wirklich geht: um mehr Geld und ein Ende der Sachleistungen.

Das Asylbewerberleistungsgesetz legt seit 1993 fest, was Asylbewerber monatlich vom deutschen Steuerzahler an Zuwendungen erwarten dürfen. Nun stehen die Fälle eines 2003 aus dem Irak geflohenen Kurden und eines elfjährigen, in Deutschland geborenen Mädchens, Tochter einer Nigerianerin, beim Bundesverfassungsgericht (BVG) zur Prüfung an. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hält die vom Staat gezahlten Beträge für zu niedrig und hat das AyslbLG in Karlsruhe zur Prüfung vorgelegt.

Das oberste deutsche Gericht geht also der Frage nach, ob die „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausweislich des Grundgesetzes“ in der aktuellen Praxis gegeben ist. Seit Einführung des Euro erhalten Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge in Deutschland in den ersten vier Jahren nach ihrer Ankunft monatlich insgesamt 224,97 Euro. Davon werden in vielen Bundesländern 40,90 Euro zur freien Verfügung bar ausgezahlt, der Rest ergibt sich aus Leistungen wie Kleidung, Lebensmitteln sowie Strom und Kosten für eine Unterkunft. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt für erwachsene Alleinstehende bei 374 Euro, rechnen nun Flüchtlingsverbände gegen.

Der zwischen CDU/CSU, FDP und SPD geschlossene Asylkompromiss von 1993 als politische Antwort auf die damals massive Einwanderung in den deutschen Sozialstaat ist somit in Gefahr. Gegner des daraus entstandenen AyslbLG werfen der Bundesregierung vor, über geringe Zuwendungen Flüchtlinge nur abschrecken zu wollen. Massive Kritik kommt nicht nur aus der Opposition. Der pensionierte Bundesrichter Ralf Rothkegel sagte jetzt zur Ermittlung des Bedarfs: „Die Aussagen zu Hartz IV lassen sich eins zu eins auf die Asylbewerberleistungen übertragen.“ Demnach sollten keine Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Empfängern staatlicher Transfers mehr gemacht werden.

Medien diskutieren allerdings kaum die Frage, ob es gerecht ist, jemandem, der in den Sozialstaat nie eingezahlt hat, gleiche Leistungen in bar zu gewähren wie einem Hartz-IV-Empfänger. So stellte die „Märkische Allgemeine“ den Fall der Iranerin Tannaz Bidary aus Hennigsdorf im Kreis Oberhavel vor, einem der letzten Kreise in Brandenburg, die noch Sachleistungen statt nur Bargeld ausgeben. Die 36-jährige, jüngst von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) Ausgezeichnete habe demnach „nur wenig Geld zum Leben“. Eis für ihre zwei Kinder (acht und zwölf Jahre) sei Luxus. Bar gibt es 20,45 pro Kind und Monat. So hat die Mutter 81,80 Euro pro Monat zur freien Verfügung für sich und die Kinder. Nicht viel, doch bleibt einer alleinerziehenden Mutter mit Sozialhilfe (Hartz IV) auch wenig Geld für Eis oder Extras.

Genau um diesen Vergleich geht es indes. Der stellvertretende Präsident des BVG, Ferdinand Kirchhof, attackierte schon zum Auftakt des Verfahrens die „ins Auge stechende Differenz“ zwischen Hartz IV und den Regelsätzen für Flüchtlinge und Asylbewerber. Dabei zeichnete das BVG selbst die Ausweitung der Zuwendungen nach: Ursprünglich galt das AyslbLG nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Inzwischen erhalten auch andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht Leistungen und Geld. Und zwar aktuell rund 130000, zwei Drittel von ihnen leben seit mehr als sechs Jahren in Deutschland, so die Berichterstatterin des Verfahrens, Verfassungsrichterin Susanne Baer.

Flüchtlingsorganisationen reicht das nicht. „Flüchtlinge sind absolut verzweifelt“, verkündet der Flüchtlingsrat Bayern zum Prozessauftakt und berichtet von Flüchtlingen in Würzburg, die sich die Lippen zugenäht hätten und für diese Woche mit Durststreik drohen. Als hingegen der zuständige Sozialdezernent im SPD-regierten Kreis Oberhavel nach Protesten in Asyl-Wohnheimen und der eigenen Partei ankündigte, Sachleistungen grundsätzlich beizubehalten, Barauszahlungen für den individuellen Bedarf indes zu erhöhen, erntete er nur Ablehnung. Besonders Linkspartei und Grüne sowie weite Kreise der SPD bekämpfen Sachleistungen. Sie bemängeln, dass die Zahlungen für Kinder mit 60 bis 80 Prozent des Erwachsenensatzes berechnet werden. Das sei pauschal, orientiere sich nicht am realen Bedarf.

„Wir haben uns auf den Weg gemacht, das Asylbewerberleistungsgesetz zu überarbeiten“, sagte nun die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Annette Niederfranke, für die Bundesregierung. Das Ende der vom Flüchtlingsrat Bayern unterstellten „rigiden Lagerunterbringung“ und die absehbare Leistungsaufstockung werden indes kaum das Selbstwertgefühl der Flüchtlinge heben, das zeigt der Blick auf das Selbstwertgefühl von Hartz-IV-Empfängern. Sverre Gutschmidt


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