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30.06.12 / Nichts mehr zu verlieren / Japans Premier, sein politischen Aus vor Augen, erhöht trotz Protest Steuern und schaltet AKWs wieder an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Nichts mehr zu verlieren
Japans Premier, sein politischen Aus vor Augen, erhöht trotz Protest Steuern und schaltet AKWs wieder an

Seit Jahren tut Japans politische Klasse nichts anderes, als im selbstversessenen Dauerstreit alle neun Monate den Premierminister zu stürzen, an dessen Namen sich die meisten Bürger wenig später kaum noch erinnern. Die Staatsschulden wuchern derweil weiter – mit 5,5 Billionen Dollar auf mehr als das Doppelte der Jahreswirtschaftsleistung. Zugleich schrumpft die Bevölkerung des Landes jährlich um 200000 Menschen und somit um die Größe einer mittleren Großstadt.

Nach der Dreifachkatastrophe des Vorjahres kommt der Wiederaufbau des verwüsteten Küstenstriches im Norden nicht in Gang. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob man die Küstenstädte und Fischerdörfer so aufbauen soll, wie sie vor der Zerstörung ausgesehen haben, oder in sichere neue Mittelpunktzentren verlegen soll. Solang man sich streitet, passiert sehr wenig. Die Überlebenden vegetieren weiter in deprimierenden Container-Siedlungen oder wandern ab.

Nach dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima wurden nach und nach alle anderen 54 AKWs im Land für Wartungsarbeiten abgestellt. Bis vor kurzem hatte niemand unter den betroffenen Regionalpolitikern, deren Einverständnis dazu nötig ist, den Mut, ihrem erneuten Betrieb zuzustimmen. So schossen die Rechnungen für importierte Energieträger – Öl, Gas, Kohle – in die Höhe, so dass Japans Handelsbilanz zum ersten Mal seit Jahrzehnten tiefrote Zahlen aufweist. Gleichzeitig bedrohen trotz aller Sparmaßnahmen Stromausfälle die energieintensiven Fertigungen. Die vom hohen Yen-Kurs bedrängte Exportindustrie beschleunigt deshalb ihre Produktionsverlagerung ins Ausland. Auch die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den USA und anderen Pazifikanrainern, mit Australien, China, Korea und der EU kommen nicht vom Fleck, zu stark sind die protektionistischen Interessen der wettbewerbsschwachen geschützten Binnenindustrien, des Bausektors, der Dienstleistungen und der Landwirtschaft, die alle Reformen und Konzessionen blockieren. Nichts bewegt sich mehr in Japan. Das Land starrt gebannt auf den kraftstrotzenden chinesischen Erzrivalen und gibt sich Szenarien vom „Abstieg mit Würde“ nach britischem Vorbild hin.

Doch noch hat Japans Premier Yasuhiko Noda nicht aufgegeben. Der konservative Offizierssohn entstammt keiner politischen Dynastie und scheint aus einem anderen Holz geschnitzt als seine vielen Vorgänger, die schon in der Enkelgeneration Berufspolitiker sind. Als erstes gelang es ihm, trotz vieler Widerstände und negativer Meinungsumfragen die Betriebsaufnahme zweier AKWs in der Provinz Fukui durchzusetzen, deren Elektrizität die Unternehmen in Japans zweitgrößter Industrieregion in Kansai um die Großstädte Osaka, Kobe und Kyoto dringend benötigen. Dann nahm er die im Lande ebenfalls unpopuläre Verdoppelung der Verbrauchssteuern von derzeit fünf auf zehn Prozent bis 2014 in Angriff. Zum Reduzierung der jährlichen Neuverschuldungen sind höhere konjunkturunabhängige Verbrauchssteuern dringend nötig. Pikant dabei ist, dass Nodas Demokratische Partei mit einer Kampagne sozialer Versprechen und der Ablehnung jeglicher Steuererhöhungen noch vor drei Jahren einen Erdrutschsieg eingefahren hatte. Jetzt zwingt ihn die konservative Opposition der Liberaldemokraten (LDP), die im Oberhaus weiter die Mehrheit hat, ein Wahlversprechen nach dem anderen – vom vermehrten Kindergeld bis zur subventionierten Gesundheitsversorgung für Hochbetagte – als Bedingung für ihre Zustimmung zu kassieren. Die LDP hofft so, durch das Erzwingen von Neuwahlen nach der unvermeidlichen Steuererhöhung wieder die Macht in Japan zu übernehmen, die sie zuvor fast 60 Jahre ausgeübt hat.

Zugleich hat Noda auch innerparteiliche Probleme. Schon bei der Kabinettsumbildung vor zwei Wochen, bei der er fünf von der Opposition kritisierte Minister wegen teilweise lässlicher Sünden austauschte – der Justizminister hatte auf seinem Rechner ein Pferderennen während einer Parlamentsdebatte betrachtet – und sie durch oppositionsnahe Politiker ersetzte, hatte böses Blut erregt. Jetzt führt sein innerparteilicher Rivale Ichiro Ozawa eine Gruppe von 60 Abgeordneten an, die dem Premier in der alles entscheidenden Steuerfrage die Gefolgschaft aufkündigen und mit Nein stimmen wollen. Noda ist also mehr denn je auf den guten Willen der Opposition angewiesen.

Auch droht Ungemach in der Provinz. In Osaka hat der neue Bürgermeister, der jugendliche Toru Hashimoto, eine regionale Protestpartei gegründet, die sich gegen das selbstsüchtige Establishment der zwei in sich zerstrittenen Großparteien und gegen den arroganten Zentralismus von Tokio richtet. In landesweiten Umfragen ist er doppelt so beliebt wie der Premier. Auch auf der fernen Tropeninsel Okinawa haben die Wähler jüngst aus Protest gegen die US-Truppenstützpunkte die beiden Großparteien abgestraft und Politiker gewählt, die den Abzug der US-Soldaten fordern.

Es stehen Japan also bewegte Zeiten bevor. Die Angst ist groß, dass im Fall negativer Zahlungsbilanzen und der Notwendigkeit sich dann vermehrt im Ausland verschulden zu müssen, dem Land bei seinen ungelösten Fiskalproblemen und der Neigung der Politiker, die nächste Generation die Zeche zahlen zu lassen, der Inselnation früher oder später griechische Verhältnisse drohen. Albrecht Rothacher


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