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30.06.12 / Überall Chaos und Anarchie / Libyen entgleitet der Kontrolle der Übergangsregierung – Wahl auf 14. Juli verschoben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Überall Chaos und Anarchie
Libyen entgleitet der Kontrolle der Übergangsregierung – Wahl auf 14. Juli verschoben

Während die Welt gebannt auf Syrien und Ägypten schaut, eskaliert auch in Libyen die Lage von Tag zu Tag. Das seit dem von der Nato erzwungenem Machtwechsel im letzten Jahr keineswegs befriedete Land mit seinen riesigen Erdöleinnahmen kommt nicht zur Ruhe. Der seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Gaddafi im letzten Jahr amtierende Übergangsrat (NTC) hat das Land nicht im Griff, die eigentlichen Herrscher des Landes sind die vielen oft islamistischen Milizen, die sich gegenseitig bekämpfen. Wie verzweifelt die Lage aus der Sicht des Übergangrates ist, zeigt auch die Meldung, dass sich Vertreter des NTC vor kurzem in Kairo mit Vertretern von Gaddafi-treuen Milizen getroffen haben, um mit ihnen zu verhandeln. Die meisten Konflikte in Libyen haben lokale Wurzeln und bleiben lokal begrenzt. Erst wenn internationales Personal davon betroffen ist, wie letzte Woche, als eine Miliz den internationalen Flughafen von Tripolis besetzt hatte, erscheinen diese Konflikte auch in den westlichen Medien.

Eine der stärksten Milizen im neuen Libyen ist die Berbermiliz aus dem Sintan-Gebirge im Westen Libyens. Dieser Miliz, die schon während des Aufstandes gegen Gaddafi ihre Heimatregion aus eigener Kraft zurückerobert hatte, war es im letzten Jahr gelungen, den Lieblingssohn Gaddafis Saif al-Islam Gaddafi auf seiner Flucht im Süden Libyens gefangen zu nehmen. Seitdem versucht die Miliz, dem Gaddafisohn den Prozess zu machen. Genau dies will auch der Internationale Gerichtshof für Strafverfahren (IStGH) in Den Haag, der sich seits Saif al-Islams Gefangennahme um dessen Auslieferung nach Den Haag bemüht. Nun wurde eine vierköpfige Delegation des IStGH bei einem Besuch in Libyen kurzerhand von der Sintan-Miliz verhaftet, weil angeblich in ihrem Gepäck Minikameras und verdächtige Unterlagen gefunden wurden. Die Sintan-Miliz fordert mit der Verhaftung von vier Mitarbeitern des IStGH die westliche Welt heraus.

Besorgt ist Amnesty International um die Menschenrechtslage in Libyen. Der Libyen-Referent der Organisation, Carsten Jürgensen, hat erst vor kurzem bei einem Besuch in Luxemburg bekannt gegeben, dass der Übergangsrat ein Gesetz verabschiedet hat, das für alle Straftaten während der „Revolution“ Straffreiheit gewährt. Die Menschenrechtsorganisation hat zum Jahrestag des Beginns des Aufstandes gegen Gaddafi im Februar eine lange Liste von Menschenrechtsverbrechen der neuen Herrscher in Libyen veröffentlicht, die jetzt ungestraft bleiben werden.

Ein weiteres Anzeichen für die großen Probleme in Libyen ist die Verschiebung der ersten freien Wahlen. Im Juni sollte eigentlich eine 200-köpfige verfassungsgebende Versammlung in Libyen gewählt werden, die eine Verfassung ausarbeiten und den seit September letzten Jahres herrschenden Übergangsrat ablösen sollte. Wegen des großen Andrangs von Leuten, die sich in die Wahllisten eintragen lassen wollten, so die libysche Wahlkommission, habe der ursprünglich für den 19. Juni geplante Urnengang nun wegen technischer und logistischer Probleme zweimal verschoben werden müssen. Die Wahlen sollen jetzt knapp vier Wochen später als geplant am 14. Juli stattfinden. Es ist das erste Mal seit rund vier Jahrzehnten, dass die Libyer wählen dürfen. Der frühere libysche Machthaber Gaddafi lehnte Wahlen als „undemokratisch“ ab.

Bis heute kommt es in verschiedenen Landesteilen immer wieder zu gewaltsamen Machtkämpfen etwa zwischen ehemaligen Rebelleneinheiten und Stammeskriegern. Vor allem im wüstenhaften Süden Libyens ist nach dem Sturz Gaddafis ein großes Macht-Vakuum entstanden, welches auch immer mehr die Nachbarstaaten Libyens beunruhigt. Der Präsident Nigers, Mahamadou Issoufou, hat in einem Interview mit „france24“ eingeräumt, dass die Ansar ed-Din, die zusammen mit den Tuaregrebellen der Azawad-Befreiungsarmee im April den Norden Malis erobert haben und dort den Staat Azawad ausgerufen haben, ihr Rückzugsgebiet im Südwesten Libyens haben. Aus den Arsenalen Gaddafis in Libyen stammten auch die Waffen und die Söldner, mit denen der Norden Malis „befreit“ wurde. Zwischen den beiden Gruppen ist es jetzt zu ersten Auseinandersetzungen gekommen, weil die Ansar ed-Din in ganz Mali einen Gottesstaat errichten wollen, während die Tuaregrebellen nur ihr Siedlungsgebiet von schwarzafrikanischer Vorherrschaft befreien wollten. Bodo Bost


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