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30.06.12 / Einem Kulturgut geht das Licht aus / Kommt das Ende der Gaslaternen an öffentlichen Straßen in Deutschland?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Einem Kulturgut geht das Licht aus
Kommt das Ende der Gaslaternen an öffentlichen Straßen in Deutschland?

Eine der berühmtesten Brücken der Welt, die Karlsbrücke, wird wieder mit Gaslicht illuminiert. 600 Gas-Laternen sind im Laufe der letzten zehn Jahre in der Prager Altstadt neu in Betrieb genommen worden. In der tschechischen Hauptstadt wird die Gasbeleuchtung auf den Straßen und Plätzen als Touristenattraktion angesehen. Nicht so in Deutschland: Obwohl die Gasbeleuchtung bei uns gerade noch etwa 0,7 Prozent der gesamten öffentlichen Straßenbeleuchtung ausmacht, wird ein vehementer Feldzug gegen das Gaslicht geführt. Dabei ist Gaslicht das einzige technische Licht garantiert ohne Strom aus Kernkraftwerken und spendet anhei-melnde Atmosphäre.

Londons wohl berüchtigster Serienmörder Jack the Ripper mordete bei Gaslicht. Autoren wie Alfred Hitcock und heute kultige Fernsehserien wie „Mit Schirm, Chamre und Melone“ ließen sich von der Atmosphäre des warmen gelben Lichts anregen. Doch städtische Gasbeleuchtung erzeugt nicht nur nostalgische Gefühle. Als Kulturgut gehört sie zum Straßenbild, finden Bürger, Denkmalschützer und Vereine. Sie streiten derzeit in deutschen Großstädten dafür, die im Rahmen von Energiespargedanken und als Folge der Debatte um den Klimawandel in Verruf geratenen Gaslaternen zu retten.

„Vor der Kaserne bei dem großen Tor / Stand eine Laterne ...“: Im Soldatenlied steht Lili Marleen wehmütig mit dem Geliebten im Laternenlicht: „Unsere beide Schatten sah’n wie einer aus ...“ Für Romantik ist unter „Jessica 800“ kein Platz. Die zeitgenössische Alu-Lampe in Graphit-Optik wirft gemäß dem Willen von Berlins Senat seit Anfang Juni ein kühles Licht auf abendliche Pärchen und Spaziergänger. Der im rechten Winkel aufgeflanschte Druckgusskopf des Produkts verbreitet den Charme einer Grenzbeleuchtung im Todesstreifen, wird aber immerhin in Berlin produziert. Die zum Sparen gezwungene Hauptstadt hegt derzeit die umfangreichsten Pläne zur Abschaffung der Gasbeleuchtung. Dabei steht im Westen der Stadt, dem früheren West-Berlin, noch etwa die Hälfter der Gaslaternen, die es weltweit gibt: überwiegend in Anwohnerstraßen und nur selten auf Hauptstraßen.

Das Moderne ist als Ersatz für vorerst 8000 der 44000 noch an der Spree betriebenen Gaslaternen vorgesehen. Vor Wochen noch plante der Senat, 43000 Gaslaternen zu verschrotten. Nun tauscht die Hauptstadt zuerst wenig hübsche Varianten aus den 50er Jahren aus.

Auch Dresden und Mainz verschrotten die alten Lichter. Die Argumente der Politik sind stets die gleichen: Gas sei anfällig, wartungsintensiv, erzeuge viel Kohlendioxid in der Energiebilanz. Ersatzteile bezieht Berlin mangels Alternativen bereits aus Indien. Andererseits prägen die Laternen das Stadtbild. Zweckrationale Lampen wirken kalt und denkmalwürdige Gegenden benötigen den Erhalt passender Leuchtkörper. Sie sind oft künstlerisch gestalteter Ausdruck einer Stilepoche oder einer ganzen Stadt: So prägt die Gas-Aufsatzleuchte in Lyraform Berlin. Die Laterne vom „Würzburger“-Typ plant indes niemand von der dortigen Residenz abzunehmen.

Lokalkolorit steht auf dem Spiel, auch in Essen und Bochum. Statt der meist geplanten Verschrottung ist eine Umrüstung alter Lampen auf neue Energie mit vertretbarem Aufwand möglich. In Berlin erfolgte sie aber nur an wenigen Stellen. Im Westen der Hauptstadt ist Gas teils heute noch die allein prägende Straßenbeleuchtung – einmalig auf der Welt, was mit der Teilungsgeschichte der ehemaligen „Frontstadt“ des Kalten Krieges zu tun hat. Das Trauma der Blockade West-Berlins von 1948/49 – abgeriegelt, lichtlos, schikaniert – saß tief, und der Wunsch, möglichst autark zu sein, hatte reelle Gründe. Nach dem Krieg war die Stadtbeleuchtung durch Gas dort wieder bald in Gang gesetzt worden, und Stadtgas konnte aus Kohle selbst erzeugt werden – Strom-Überlandleitungen zu großen Kraftwerken im Westen führten dagegen über ostzonales Gebiet und waren gefährdet.

Vom Verschrotten „werden aber höchstens einige wenige Straßen ausgenommen“, so die Stadtentwicklungsbehörde. „Nun will man den herrlichen historischen Lampen im Namen eines blinden Öko-Eifers den Garaus machen“, schrieb kürzlich die „FAZ“ dazu. Der Heimatverein Charlottenburg kämpft gegen diesen Kahlschlag.

In Dresden ruft eine Internet-Petition zum Erhalt von Gaslaternen an mehreren großen Durchgangsstraßen auf: Nur damit die Stadt Fördermittel beim geplanten Ausbau der Straßen nutzen kann, solle hier das Gaslicht weichen, kritisiert diese Initiative. Tausende Gaskandelaber wolle die Stadt verschrotten, ein einmalig geschlossen erhaltenes Viertel somit zergliedern, lautet der Vorwurf.

Dass Sparen auch anders geht, zeigt Augsburg: Die Stadt schaffte Quecksilberdampf-Hochdruck­lampen ab und verbesserte die nächtlichen Brennzeiten gemäß tatsächlichem Bedarf. Als „vorbildliche Sanierung“ lobte der Naturschutzbund Deutschland e.V. auch Düsseldorf für den probeweisen Einsatz von LED-Leuchten. Neben 43000 elektrischen Straßenlaternen betreuen die Stadtwerke dort noch 17000 Gaslaternen. Die LED-Tests kombinieren einige elektrifizierte Gaslaternen mit einer warmen Lichtfarbe.

Düsseldorf ist in Deutschland die Nummer 2 beim Gaslicht nach Berlin, verfolgt aber auch den Teilabriss von Gaslaternen. In Baden-Württemberg baute hingegen die Stadt Backnang gar ein stadttypisches Modell nach alten Plänen nach und schaltete mit den erhaltenen Modellen auf LED-Technik um.

Die meiste Anerkennung finden die alten Gaslichter aber weiter bei den Berlinern: Ein eigenes dem Gaslicht gewidmetes Freilichtmuseum bringt inzwischen 90 alte Modelle aus ganz Europa täglich mit Einbruch der Dämmerung zum Glimmen. Doch der besonders an langen Frühlingsabenden stimmungsvolle Effekt des Gaslichts ist auf regulären Straßen Vergangenheit: Dort trug eine leichte Druckwelle im Gasnetz allabendlich pünktlich den Befehl zum Leuchten durch die Städte, die sich in warmes Gelb kleideten. Die Berliner Museumsstücke sind oft die einzigen Überbleibsel der in Europas Städten einst verbreiteten Modelle. Sverre Gutschmidt


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