29.03.2024

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30.06.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

die Woche begann mit einem so erfreulichen Anruf, dass ich Morgenmuffel gleich hellwach wurde. Am Telefon war Herr Martin Frauenheim aus Hagen am Teutoburger Wald, dessen Suchwunsch ich wenige Tage zuvor mit der Veröffentlichung in Folge 24 der PAZ erfüllt hatte. Der 64-Jährige, der seit über 40 Jahren aktiv in der Fliegerei tätig ist, beschäftigt sich seit langem mit Nachforschungen über vermisste oder verunglückte Flieger. Er konnte bereits viele Schicksale klären, aber in einem Fall schien die Suche vergeblich. Es handelte sich um den 1944 über dem Teutoburger Wald tödlich abgestürzten Unteroffizier der deutschen Luftwaffe Friedrich Scheffler. Da dieser aus Ostpreußen stammte, befragte Herr Frauenheim auch Vertriebene und bekam den Rat, sich an uns zu wenden. Im Internet fand er dann eine „Ostpreußische Familie“ von 2003, in der Herr Klaus Neumann aus Hannover unsere Leser um Informationen über seinen Vater und dessen Fliegertod bat. Und dieser Gesuchte war – Friedrich Scheffler. Von der Existenz eines Sohnes hatte Herr Frauenheim keine Ahnung gehabt. So konnte ich, gestützt auf diese Unterlagen, die Bitte von Herrn Frauenheim, dass Herr Klaus Neumann sich bei ihm melden möchte, veröffentlichen – mit verhaltenem Optimismus, denn es waren ja inzwischen neun Jahre vergangen! Und dann ging alles viel schneller als gedacht. Herr Neumann hatte unsere Familienseite gelesen und sich umgehend bei Herrn Frauenheim gemeldet. Die Überraschung und Freude war auf beiden Seiten groß, suchte doch der Sohn des Gefallenen noch immer nach Informationen, um das Schicksal seiner Familie weiterhin aufarbeiten zu können. Er selber hatte seinen Vater nie bewusst erlebt, auf der Flucht wurde der Junge von seiner Familie getrennt. So kann Herr Frauenheim dem Sohn genaue Unterlagen über den Fliegertod seines Vaters und dessen letzte Ruhestätte in Bramsche, nördlich von Osnabrück, übermitteln – Herr Neumann wiederum wird nun an Herrn Frauenheim alles Wissen über seinen Vater und die Familie weitergeben können, eine Wechselwirkung, die da unsere Ostpreußische Familie ermöglicht hat. Es sind schon mehrere Telefonate geführt worden, und da die Wohnorte der beiden Scheffler-Biografen nicht sehr weit voneinander liegen, dürfte es auch zu persönlicher Kontaktaufnahme kommen, denn aus dem direkten Gespräch mit gemeinsam gesichteten Unterlagen können sich neue Erkenntnisse ergeben. Für Herrn Frauenheim ist noch immer kaum glaubhaft, dass sich nach 20-jähriger vergeblicher Suche über alle infrage kommenden Institutionen innerhalb von acht Tagen die Sache so einfach geklärt hat.

Und auch Herr Michael Paul konnte schon kurz nach der Veröffentlichung seines Wunsches, Verbindung zu Zeitzeugen aus den Jahren 1945/46 und fachkundigen Personen aufzunehmen, einen ersten Erfolg verbuchen. Der Buchautor benötigt sie für die Recherchen zu seinem neuen Roman, der die Flucht über See zum Thema hat, darunter die Auslieferung von deutschen und baltischen Soldaten aus dem neutralen Schweden an die UdSSR. Trotz einer fehlerhaft angegebenen Telefonnummer hat Herr Paul – weil Fax, Adresse und Website stimmten – schon Zuschriften erhalten, darunter die einer 82-jährigen Buchautorin vom Niederrhein. Obwohl wir die ungenaue Mobil-Telefonnummer bereits korrigiert hatten, hier noch einmal die Anschrift des Buchautors, für den jede Aussage, jeder Hinweis wichtig ist: Michael Paul, Engelbergerstraße 19 in 79106 Freiburg, Telefon (0761) 2025484, (0761) 2025485, E-Mail: paul@braintools.de

Was da achtlos weggeworfen auf der Straßenkreuzung im rheinländischen Heinsberg lag, erwies sich kurz nach der Veröffentlichung in Folge 24 als Bilddokument von Seltenheitswert: die alten Fotos von Godrienen am Nordufer des Frischen Haffes. Wenn das Ehepaar, dass sie im Vorbeigehen entdeckt hatte, nicht die gut erhaltenen Aufnahmen zu der einzigen Ostpreußin im Ort gebracht und diese sie an uns gesandt hätte, wären diese wohl letzten Aufnahmen des samländischen Dorfes für immer verloren gewesen. Ein ganz besonderer Dank muss also Frau Karin Gogolka gelten, dass sie die Bilder gerettet hat. Sofort meldete sich Herr Dietmar Wrage, der unermüdlich als Archivar seiner Heimat tätig ist und bereits das gesamte Samland mit über 700 Orten, 200 Gemeinden und rund 130000 Personen im PC gespeichert hat. Und er sammelt immer weiter, da kam ihm natürlich dieser kleine Bericht über den „Fund“ in Heinsberg gerade recht. Er wird auch diese Bilder einscannen und sie gegebenenfalls an die Kreisgemeinschaft Landkreis Königsberg weitergeben.

Auch Herr Peter Perrey aus Neustadt zeigte sich begeistert. Er rät, die Aufnahmen unbedingt dem Bildarchiv Ostpreußen der Landsmannschaft zum Kopieren zu übergeben, denn Godrienen ist bisher noch nicht bildlich erfasst. Er bittet auch unsere Landsleuten und deren Nachkommen, alte Klassenbilder, Ansichtskarten und Privataufnahmen ostpreußischer Orte – mit möglichst exakten Beschreibungen des Bildinhalts – dem Archiv zur Reproduktion zu überlassen. Dies gelte vor allem für die Aufnahmen, die für die jetzigen Besitzer keinen besonderen Wert mehr haben und bei denen damit die Gefahr besteht, demnächst „entsorgt“ zu werden – wie das ja anscheinend in Heinsberg geschehen sollte. Als weiterer Interessent meldete sich Herr Norbert Haack aus Duderstadt, der ein sehr engagierter ostpreußischer Heimat- und Ansichtskartensammler ist. Und er dürfte nicht der letzte bleiben.

Herr Perrey nahm aber noch zu einem anderen „Problemchen“ Stellung – man muss es schon so bezeichnen, denn es ist fast unglaublich, dass ein kleiner Irrtum so viel Wirbel macht. Nach Herrn Perrey ist es übrigens keiner, denn man kann die Lage des Hauses in der Stägemannstraße in Königsberg, an dessen Giebel Herr Pekrul die zauberhafte Figur ent­deckt hat, die wir in Folge 20 zeigten, auch anders einordnen. Wir – der Fotograf und ich – hatten es dem Stadtteil Amalienau zugewiesen, eine dort beheimatete Leserin protestierte und belegte mit dem Königsberger Stadtplan von 1931, dass es zu Mittelhufen gehörte. Und fragte, ob denn kein Amalien­auer Protest eingelegt hätte. Hatte aber keiner, und Herr Perrey meint, dass dies kein Wunder sei. Nach alten erhaltenen Kartenunterlagen lag nämlich dies Haus auf der Südseite der Stägemannstraße. Als Trennlinie zwischen dem westlich gelegenen Stadtteil Amalienau und dem östlichen Mittelhufen können die Westbegrenzung von Luisenwahl und die nord-südlich verlaufende Schrötterstraße angenommen werden. Das Haus Stägemannstraße 41 lag aber westlich der Schrötterstraße und damit nicht mehr auf den Mittelhufen. Der Königsberger Stadtplan von 1931 ist nach Herrn Perreys Meinung ziemlich der einzige, auf dem das Bestimmungswort „Mittel“ im Namen Mittelhufen nördlich der Bahnlinie nach Labiau aufgedruckt ist, allerdings östlich der Schrötterstraße. Dies mag zur Deutung der protestierenden Leserin geführt haben.

Das grazile Figürchen können wir aber heute aus einem anderen Blickwinkel betrachten, und es ist schon wirklich einen zweiten Blick wert. Zwar hat sich bisher nicht ergeben, wer die schlanke Frauengestalt geschaffen hat, auch das Datum ihrer Entstehung ist unbekannt – selbst in Mühlpfordts „Königsberger Skulpturen und ihre Meister“ bin ich nicht fündig geworden – aber es hat sich ein Zeitzeuge gemeldet, der aufgrund seiner Kindheitserinnerungen genauere Angaben machen kann. Herrn Manfred W. Krüger aus Overath, *1938 in Königsberg, fiel schon als kleiner Junge auf seinen Streifzügen durch die nähere Umgebung das Haus mit dem Treppengiebel auf, er weiß allerdings nicht mehr, ob er nach der schlanken Frau gefragt hat und welche Antwort er erhielt. Wichtiger war für ihn eine Skulptur an seinem damaligen Wohnhaus schräg gegen­über, das heute noch unverändert mit dem Figurenpaar steht, wie er auf seinen Heimatreisen in den 90er Jahren feststellen konnte – doch davon ein andermal. Herr Krüger machte damals viele Aufnahmen, auch von dem Haus mit dem Treppengiebel. Auf unserm heutigen Foto sieht man, dass die Frauengestalt hoch oben an der glatten und fast fensterlosen Giebelwand auf einer Konsole steht. Sie muss etwas symbolisieren, denn die Frau hat die Arme erhoben und hält sich beide Ohren zu. Herr Krüger meint, dass die Figur als „Kunst am Bau“ geschaffen wurde, was ihm für die genossenschaftlichen Bauten aus den 20er Jahren durchaus plausibel erscheint. Aus der Bild-Dokumentation „Königsberg Pr. und seine Vororte“ von Willi Freimann entnehme ich, dass die Häuser in diesem Viertel, zu dem auch die Stägemannstraße gehört, 1927 von der Stiftung Gemeinnütziger Wohnungsbau errichtet wurden. Dieses 1988 herausgegebene Buch ist eine wahre Fundgrube, und es hat mir schon sehr bei meiner Familienarbeit geholfen. Und jetzt entdecke ich darin einen Vers, der aus dem 1774 erschienenen Buch „Der rechtschaffene Preuße und Deutsche“ stammt und den ich für unsere vielseitige, im wöchentlichen Turnus erscheinende Ostpreußische Familie nahtlos übernehmen kann, wenn man das Wort „Buch“ durch „Zeitung“ ersetzt:

„Gib, Leser, nicht zu scharf

auf jeden Fehler acht.

Noch nie ist wohl ein Buch

und der, der es gemacht

und der, der es gelesen

von allen Fehlern frei gewesen!“

Dies auch zum Trost für Herrn Jörn Pekrul aus Frankfurt, der sich noch einmal persönlich bei der mahnenden Leserin entschuldigt. „Der Grund für meine irrtümliche Verortung im benachbarten Amalienau ist, dass mein alter Stadtplan keine Stadtteilgrenzen verzeichnet. Die Stadtteile sind zwar benannt, aber es lässt sich nicht ausmachen, wo sie exakt enden.“ Doch hiermit wollen wir dieses Thema beenden – der Worte sind genug gewechselt und Taten haben wir auch genügend gesehen. Damit ist aber der Dialog mit Herrn Pekrul nicht beendet, denn er hat mir mit seinem neuen Schreiben nicht nur viele Eindrücke vermittelt, die er im heutigen Königsberg gewonnen hat, sondern auch seine Motivation dargelegt, die ihn zu seinen „Königsberger Wanderungen“ veranlasst hat. Er, der nachgeborene Preuße, wie schon sein Name besagt, hat in der Heimat seiner Vorväter seine Identität gesucht und gefunden. Es ist wohl einer der schönsten Briefe, die ich im Rahmen meiner Familienarbeit je erhalten habe, und ich möchte einige Sätze herausnehmen und sie als Extrabeitrag bringen. Sie werden manche Leserin, manchen Leser berühren und zum Nachdenken, aber auch zur Diskussion anregen. Und sie könnten vielleicht auch zur Brücke vom Einst zum Heute, von Generation zu Generation werden. Das Schreiben von Herrn Manfred Krüger habe ich auf seinen Wunsch an Herrn Pekrul weitergeleitet, da es gute Hinweise für weitere „Königsberger Wanderungen“ enthält, besonders im Hinblick auf das Figürchen.

Eure Ruth Geede


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