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14.07.12 / »Mehr Europa wagen« –weniger Deutschland erhalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Gastkommentar
»Mehr Europa wagen« –weniger Deutschland erhalten
von Dieter Farwick

Der 29. September 2012 wird als ein weiterer „schwarzer Freitag“ in die Geschichte Deutschlands eingehen. An diesem Tag haben Bundestag und Bundesrat dem Fiskal- und dem ESM-Vertrag zugestimmt, obwohl am Tag zuvor bei dem EU-Gipfel in Brüssel wesentliche Inhalte beider Gesetzesvorlagen verändert worden waren. Gegen den Rat zahlreicher Experten hat der Bundestag auf sein „Kronjuwel“ – die national autonome Haushaltspolitik im Rahmen des ESM-Vertrages – verzichtet. Zum wiederholten Mal wurden Bundestag und Bundesrat unter Zeitdruck gesetzt, das Gesetz zu verabschieden, um es – wie angekündigt – zum 1. Juli in Kraft treten zu lassen. Ein weiterer Beleg für die Missachtung des Bundestages und des Bundesrates – von der Informationspflicht gegenüber dem Bürger ganz zu schweigen. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundespräsidenten, die das Gesetz vermutlich nicht verhindern, aber Änderungen und Auflagen erzwingen können. Beide Gesetzte sind für die Regierung wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer „Fiskalunion“ (Schäuble), einer „wirklichen europäischen Wirtschafts- und Finanzregierung“ (Merkel). Im Magazin „Der Spiegel“ träumt der deutsche Finanzminister von einem „europäischen Finanzminister“ mit einem Vetorecht gegenüber den nationalen Haushalten – ohne demokratische Legitimation. De facto wird Europa eine Transfer-, Banken-, Haftungs- und Schuldenunion, in der die – noch – zwölf Geberländer die bereits fünf Nehmerländer unterstützen müssen, wobei Deutschland mit mindesten 27 Prozent beteiligt ist.

Ein besonderes Kapitel ist die Zustimmung der Kanzlerin zu dem Wachstums­pakt in Höhe von rund 120 Milliarden Euro – gegen ihre wiederholt geäußerte gegenteilige „Überzeugung“. Sie wollte sich damit die Zustimmung der Opposition erkaufen, um die Zwei-Drittel-Mehrheit abzusichern, was ja auch funktioniert hat. Darüber hinaus wollte sie den Südländern entgegenkommen, die jedoch unter Führung von Italien und Spanien diesen Pakt erfolgreich als Erpressung für Lockerungen im europäischen Finanzsystem zu ihren Gunsten nutzten.

Die EZB wird in die Aufsicht der sich abzeichnenden „Bankenunion“ eingebunden – ein weiterer Verstoß gegen bisherige Regeln. Die Bank, die Europa mit billigem Geld überschwemmt, wird Teil der Aufsicht. So kann man auch einen Wolf zur Beaufsichtigung einer Schafherde einsetzen.

In Brüssel wiederholte sich das seit Jahren gewohnte Trauerspiel: In Berlin werden „rote Linien“ gezogen, die in Brüssel innerhalb von Stunden weggewischt werden. Jetzt darf der ESM europäische Banken direkt unterstützen – ohne die Auflagen, die zum Beispiel Griechenland erfüllen muss. Der Euro, der Europa retten sollte, hat Europa tief gespalten. In der Eurozone werden die fünf Nehmerländer auf absehbare Zeit von der EU in Brüssel und dem IWF in Wash­ington fremdbestimmt. Der Hass auf die Geberländer – besonders auf Deutschland – wächst, wie auch die Ablehnung der Geberländer, weiter durch den Steuerzahler schwer verdientes Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen. Außerhalb der Eurozone verbleiben so wichtige Staaten wie Großbritannien und Dänemark, während potente Staaten wie die Schweiz und Norwegen sogar außerhalb der EU sind und auch bleiben werden.

Der entscheidende Sündenfall war im Mai 2010 das Aufbrechen der „no-bail-out Klausel“. Seitdem stolpert die EU von Gipfel zu Gipfel ohne erkennbare vorausschauende Gesamtstrategie. Die Eurozone wird die nächsten drei Jahre in der derzeitigen Form nicht überleben. Das katastrophale Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung in der sogenannten „Eurokrise“ ist nicht das einzige Politikfeld, in dem haarsträubende Fehler und Versäumnisse der deutschen Bundesregierung festzustellen sind.

Deutschland ist als Importland wichtiger Rohstoffe und Seltener Erden sowie als Exportland hochwertiger Industriegüter auf ferne stabile Produktionsstätten, auf sichere Handelswege und auf die Aufnahmefähigkeit der weltweiten Märkte angewiesen. Die Frage, welchen Platz Deutschland in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der Welt und in Europa einnehmen und welche Rolle Deutschland in der globalisierten, eng verflochtenen Welt spielen soll, wird von der Regierung nicht beantwortet. Es fehlen auch klare Aussagen, welches Europa gewollt wird. Ohne erkennbares gemeinsames Ziel „wurschtelt“ sich die deutsche Politik durch die Weltgeschichte. Sie ist gekennzeichnet von Widersprüchen, Fehlern und Versäumnissen. Diese Politik als „alternativlos“ zu bezeichnen, kommt einem Offenbarungseid gleich.

In den letzten Jahren hat sich das Zentrum der Weltpolitik vom Atlantik in den asiatisch-pazifischen Raum verschoben – wie auch der Schwerpunkt der amerikanischen Politik. Deutschland hat sich in der „Frage Libyen“ im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten und die militärische Teilnahme an der von der Nato geführten Operation verweigert. Beide Entscheidungen haben das Ansehen Deutschlands in der Welt, in den UN, der Nato und der EU stark beschädigt.

In der Innenpolitik sind wichtige Baustellen unzureichend beachtet worden. Die überhastete Energiewende mit ihren kosten­trächtigen Folgen, die schleichende Islamisierung mit einer wachsenden islamischen Paralleljustiz, die Abschaffung der Wehrpflicht und die „Jahrhundertreform der Bundeswehr“ sind nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Tiefe bearbeitet worden. Diese Reform wird daher die nächsten drei Jahre nicht überleben.

Dazu kommen die Probleme der inneren Sicherheit, die den deutschen Staatsbürger unmittelbar betreffen werden. Die schleichende Islamisierung nicht nur durch die radikalen Salafisten, der Missbrauch unserer Sozial- und Gesundheitssysteme durch Zuwanderer, deren zum Teil mangelnder Integrationswille können bei notwendig werdenden Kürzungen der staatlichen Transferleistungen den inneren Frieden in Deutschland nachhaltig gefährden.

Diese möglichen Entwicklungen haben eine gemeinsame Ursache: mangelnde Führungskompetenz und eine fehlende Gesamtstrategie. Deutschland braucht eine geistig-moralische, kompetente Führung und eine Gesamtstrategie. Ein „Weiter so“ darf es in der deutschen Politik nicht geben, wenn das Vertrauen im Ausland und in der eigenen Bevölkerung wieder aufgebaut werden soll. Der jetzt eingeschlagene Weg erhöht die Gefahr, dass Deutschland seine Zukunft verspielt. Eine ressortübergreifende Gesamtstrategie muss im Kanzleramt entworfen und durchgesetzt werden, da die einzelnen Ressorts wegen ihrer divergierenden Partikularinteressen und ihrer begrenzten Gesamtschau dazu nicht in der Lage sind. Für diese Aufgabe benötigt die Kanzlerin einen „Nationalen Sicherheitsberater“ mit einem interdisziplinären Kompetenzteam, der in ihrem Auftrag die Umsetzung der Gesamtstrategie überwacht. Nur mit einer radikalen Änderung der politischen Struktur und Kultur kann Deutschland wieder die Position einnehmen, die das deutsche Volk verdient. In einer Demokratie kann keine Regierung auf Dauer gegen die Mehrheit seiner Staatsbürger regieren. Die steigende Zahl der bewussten Nichtwähler ist ein deutliches Warnsignal.

 

Brigadegeneral a.D. Dieter Farwick ist Autor des im Osning Verlag erschienenen Buches „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt“. Das Buch kann versandkostenfrei direkt beim Verlag bezogen werden, Fax (08821) 9676324, E-Mail info@ osning-verlag.de


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