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14.07.12 / Statt des Gewehrs eine Schaufel / Arbeitsdienst: Viele autoritäre und totalitäre Staat in Europa hatten einen – auch die DDR

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Statt des Gewehrs eine Schaufel
Arbeitsdienst: Viele autoritäre und totalitäre Staat in Europa hatten einen – auch die DDR

Kein Wort seiner geschwätzigen Autobiographie verlor 1981 Erich Honecker dazu, dass am 24. Juli 1952 auf seine Initiative ein „freiwilliger kasernierter Arbeitsdienst“ in der jungen DDR entstand. Das Unternehmen, pathetisch „Dienst für Deutschland“ (DD) genannt, war eine einzige Pleite, weswegen man es im Juni 1953 stillschweigend aufgab und fortan verschwieg, auch in der Historiographie, womit ein spannendes Thema vergeben wurde.

Die „Empfehlung“ für das Unternehmen hatten die Sowjets im April 1952 gegeben, vermutlich auch den Befehl zu dessen Ende, als sie erkannten, dass Honecker den nationalsozialistischen Reichsarbeitsdienstes (RAD) in allen Äußerlichkeiten kopierte. Die Russen empfahlen als Muster den polnischen „Sluzba Polsce“ (Dienst für Polen, SP) vom Februar 1948, der brav das „Vorbild“ des sowjetischen Komsomol propagierte und von dem Kollaborateur Oberst Edward Braniewski geführt wurde.

Polens SP war als straff organisierte, einheitlich uniformierte, unentgeltlich arbeitende und politisch indoktrinierte Zwangsorganisation für 16- bis 21-Jährige eine Kopie des RAD, auch hinsichtlich des Erfassungsgrades: 1949 waren bereits 1,2 Millionen junge Polen erfasst, den RAD durchliefen von 1933 bis 1940 drei Millionen „Arbeitsmänner“. Honeckers DD brachte es demgegenüber nur auf ganze 6700 „Aktivisten“.

Ein Arbeitsdienst in einem totalitären Staat basiert auf physischer Arbeit, politischer Schulung und paramilitärischer Ordnung. Und sein Erfolg hängt von der Ausgewogenheit dieser Elemente ab. Das hatten die Polen halbwegs hingekriegt, als sie Jugendliche militärisch formiert ins kriegszerstörte Warschau schickten und ihnen „Kto Polsce sluzy, sobie sluzy“ (Wer Polen dient, dient sich selber) ans Herz legten. Dennoch wurde der SP von der Regierung am 17. Dezember 1955 aufgelöst, gewiss auf Moskauer Weisung, denn im eisigen Kalten Krieg war nur Satelliten-Militär interessant, „Wojsko“ (Armee) bei Polen, „Kasernierte Volkspolizei“ (KVP) in der DDR.

So endete in Osteuropa das Erbe der „Erfinder“ des Arbeitsdienstes, der Bulgaren mit ihrer „Trudova povinnost“ (Arbeitspflicht, TP) vom Juni 1920. Sie hatten auf deutscher Seite den Weltkrieg verloren, durften 1919 laut Friedensvertrag von Neuilly nur noch 20000 Soldaten haben, ein Sechstel der alten Stärke. Jetzt machte die Bauernregierung unter Aleksandyr Stamboliski aus der Not eine Tugend, indem sie „alle bulgarischen Untertanen beiderlei Geschlechts“ von 16 bis 20 Jahren für ein halbes (Mädchen) beziehungsweise ein ganzes Jahr (Männer) zu „Za Bylgarija trud“ (Arbeit für Bulgarien), so das TP-Motto, verpflichtete. Bereits im Juli 1921 betraf das 774000 junge Leute, 86 Prozent der „Arbeitspflichtigen“, die als „Trudovazi“ Hunderte Kilometer Straßen und Gleise bauten, Stauseen und Brunnen anlegten, dazu vielfach noch mit Lesen, Schreiben und Hygiene vertraut gemacht wurden. Die TP war ein solcher Erfolg, dass man sie beibehielt, als 1937 die Beschränkungen von Neuilly fortfielen.

Das bulgarische Exempel wurde von deutschen Gruppen wie der „Schlesischen Jungmannschaft“ vor Ort studiert und daheim in „Freiwilligen Arbeitsdiensten“, die im Dezember 1932 schon 241766 Jugendliche beschäftigten, kopiert. 1933 kam der RAD, per Gesetz vom 26. Juni 1935 Zwangsorganisation, der „Dienst“ und „Arbeit“ großschrieb  – „Arbeit für dein Volk adelt Dich selbst“ –, aber auf Distanz zur NSDAP achtete, weswegen er 1946/47 im Nürnberger Prozess kaum erwähnt wurde, schon gar nicht als „verbrecherische Organisation“.

Das bulgarische Muster zündete in Übersee sowie West- und vor allem Osteuropa. In Rumänien gründete Dimitrie Gusti, Soziologe von Rang und umsichtiger Bildungsminister, 1938 den „Serviciul Social“ (Sozialer Dienst), der jugendliche Arbeit, praktische Landeserkundung und dörfliche Bildungsvermittlung verband. In Ungarn entstand 1939 für ethnische Minderheiten der „Munkaszogálat“ (Arbeitsdienst), ähnlich in der Slowakei die „Pracovni jednotky“ (Arbeitseinheiten) für Juden und Zigeuner.

Am 1. April 1946 startete mit dem Baubeginn der 92 Kilometer langen Bahnstrecke Brcko–Banovici im Norden Bosniens mit 62268 Jugendlichen in Titos Jugoslawien die „Omladinska radna akcija“ (Jugendarbeitsaktion, ORA). In insgesamt 34 Jahren nahmen zwei Millionen „Akzijaschi“ freiwillig daran teil, darunter anfangs auch aus der Lausitz slawische Sorben mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das trug diesen nach dem Ausbruch des Konfliktes zwischen Tito und Stalin im Jahre 1948 Ärger mit den SED-Stalinisten ein. Außer im Eisenbahnbau wurden die jugendlichen Freiwilligen auch beim Bau von Fabriken, Brücken und der Autobahn „Brüderliche Eintracht“ eingesetzt. Die ORA zeigte, wie man Arbeit und Unterricht, Unterbringung und Ernährung, Sport und Unterhaltung so regelt, damit es bei Jugendlichen „ankommt“. Sie war eine Alternative zur Armee, die nicht alle jungen Männer aufnehmen konnte, die zur Verteidigung gegen Stalin zu ihr drängten. Um bei Mädchen nicht als „kukavice“ (Feiglinge) chancenlos zu sein, schlüpften sie bei der ORA unter.

Die ORA war wie jeder Arbeitsdienst unwirtschaftlich, betrieb einen Kult physischer Arbeit, als diese dank moderner Maschinen unnötig war. Trotzdem hielt man bis Titos Tod 1980 an ihr fest. Derzeit erlebt sie einen zweiten Frühling – in Belgrad, wo im Mai 2012 das Technische Museum eine ORA startete, um einen Dampfer Baujahr 1913 wieder aufzumöbeln, oder im slowenischen Portoroz, wo ORA-Veteran Jozef Parag seit Jahren ORA-Aktionen ausrichtet, zu deren 200 Plätzen sich Jugendliche aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien drängen.

Und anderswo? In Ungarn will Premier Viktor Orbán Arbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit zwingen. In Deutschland schlugen der niedersächsische Ministerpräsident Siegmar Gabriel 2003 und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung 2005 sogenannte Gemeinschaftsdienste für Jugendliche vor. Aber nicht à la Honeckers DD, über den jüngst die Rentenversicherung urteilte: Er war kein „Arbeitsverhältnis“, zählt nicht als „Rentenbeitragszeit“.  Wolf Oschlies


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