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14.07.12 / Zukunft am Boden ungewiss / Mit dem Forschungsflugzeug ATTAS ist die letzte fliegende VFW 614 ausgemustert worden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Zukunft am Boden ungewiss
Mit dem Forschungsflugzeug ATTAS ist die letzte fliegende VFW 614 ausgemustert worden

Sie war ein ganz besonderes Flugzeug – die VFW 614 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Zulassung D-ADAM. Die nun im Rahmen eines Festakts außer Dienst gestellte Maschine diente fast drei Jahrzehnte für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben der unterschiedlichsten Art. D-ADAM war nicht nur das letzte noch fliegende Exemplar von 19 gebauten Maschinen. Es war auch ein einzigartiges Labor für die deutsche und internationale Luftfahrtforschung.

Durch zahlreiche Umbauten ist es im Laufe seiner langen Dienstzeit immer wieder an neue Aufgaben angepasst worden. Mit dem Kurzstrecken-Verkehrsflugzeug VFW 614 hatte das 1982 gekaufte und 1985 in Dienst gestellte Flugzeug nicht viel gemein. Aufhängepunkte für Sensorbehälter auf den Tragflächen, eine Messsonde für den Luftdruck an einem langen Ausleger vor der Bugspitze, sowie zusätzliche Steuerklappen an den Hinterkanten der beiden Flügel machen deutlich, wie weit das ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System, etwa Fortgeschrittenes Testsystem für Flugzeugtechnologien) vom ursprünglichen Verkehrsjet entfernt war.

Begonnen hatte das mit dem Umbau, der dem Einsatz für die Wissenschaft voranging. Zwischen 1982 und 1985 installierten Techniker bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm in Bremen (heute Airbus) ein neues elektronisches Flugsteuerungssystem, leistungsfähige Bordcomputer, Datenaufzeichnungsgeräte und andere elektronische Ausrüstung. Die ursprüngliche mechanische Steuerung diente als Sicherheitsreserve.

Die Flugsteuerung war frei programmierbar. Wissenschaftler konnten also Software aufspielen, die das Flugverhalten anderer, zum Teil sehr viel größerer Flugzeuge simuliert. So testeten Entwickler schon Jahre vor dem Erstflug die Flugeigenschaften des großen Airbus A380.

Auch innen war vom Passagierflugzeug nichts mehr zu erkennen. Nur die Ausstattung des rechten Platzes im Cockpit entsprach bis zum Schluss weitgehend dem Airliner VFW 614. Bei Flugversuchen saß hier der Sicherheitspilot, der Start und Landung übernahm und die Arbeit des links sitzenden Experimentalpiloten überwachte. Dessen Arbeitsplatz sah mit seinem seitlich angebrachten Steuerknüppel und den großen Displays eher aus wie das Cockpit eines modernen Kampfjets. Allerdings konnte der Sicherheitspilot seinen Kollegen jederzeit durch einen Zug am Steuerhorn übersteuern und das Flugzeug übernehmen.

In der ehemaligen Passagierkabine befanden sich Arbeitsplätze für Ingenieure und Wissenschaftler sowie Geräteschränke mit der umfangreichen Bordelektronik. Datalinks verbanden die Elektronik an Bord mit Computern am Boden und ermöglichten sogar, das Flugzeug von einer erdgebundenen Kontrollstelle zu fliegen wie eine Drohne.

In seinen 27 Dienstjahren wurde ATTAS bei zahlreichen Forschungsprogrammen genutzt, so zur Vermessung von Wirbelschleppen, zum Testen geräuscharmer Landeanflugverfahren oder um innovative Software für die Regelung des Luftverkehrs zu testen. Studenten nutzten das Flugzeug ebenso als fliegendes Klassenzimmer wie angehende Testpiloten der britischen Empire Test Pilots School. Allerdings zeigten sich zu Beginn des Jahres Schäden an einem der Triebwerke, und so legte man das Flugzeug still. Über das weitere Schicksal des ATTAS wird noch entschieden. Vielleicht bleibt es den Forschern als Labor am Boden erhalten. Denkbar ist auch, dass es seinen Ruheplatz in einem Museum findet.                Friedrich List


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