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14.07.12 / Kunst, Bürgerservice oder Schabernack? / Königsberg rätselt über ein blaues Bücherregal – Initiatoren halten sich bedeckt und verschweigen ihre Identität

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Kunst, Bürgerservice oder Schabernack?
Königsberg rätselt über ein blaues Bücherregal – Initiatoren halten sich bedeckt und verschweigen ihre Identität

Im Zentrum von Königsberg ist ein ungewöhnlicher blauer Gegenstand aufgetaucht, der die Aufmerksamkeit aller Passanten auf sich zieht, denn etwas Ähnliches hat man in der Stadt noch nicht gesehen: In der Nähe der Anzeigetafel des Dramentheaters wurde ein Bücherregal aufgestellt. Die unbekannten Urheber dieser Neuerung haben an das Bücherregal einen Briefkasten montiert, auf dem zu lesen ist: „Möchten Sie ein Buch mit flexiblem Einband, werfen sie 30 Rubel ein, für ein fest gebundes 50 Rubel“. Das Geld soll in den Briefkastenschlitz eingeworfen werden.

Zunächst war völlig unklar, was die Sache zu bedeuten hat. Die Vermutung, dass es eine Initiative der gegenüberliegenden Bibliothek sei, erwies sich als falsch. Die Abteilung der Stadtverwaltung, die für Verbraucherschutz und Marktkontrolle zuständig ist, begann sich ebenfalls für das ungewöhnliche Objekt zu interessieren. Der Chef dieser Behörde, Ilja Schumanow, konnte jedoch keine Ordnungswidrigkeit feststellen, da man das Bücherregal nicht als Handelsobjekt betrachten könne, weil dort kein Verkäufer sitze. Ein etwas fadenscheiniges Argument, wenn man bedenkt, dass an Kaffeeautomaten auch kein Verkäufer sitzt. Dennoch werden sie als Handelsobjekte betrachtet, für deren Aufstellung man eine Genehmigung benötigt und Steuern zahlen muss.

Wie dem auch sei, die Initiatoren der Idee mit dem Bücherregal werden kaum wirtschaftliche Ziele verfolgen. Davon konnte man sich überzeugen, als sie sich zu erkennen gaben: Es handelt sich um eine junge Frau namens Alexandra, die Englischkurse gibt und übersetzt, und einen jungen Mann, der auf den Namen Felix hört. Ihre Familiennamen sind jedoch bis dato unbekannt geblieben. Das Pärchen will sie partout nicht preisgeben. An einem Morgen hatten sie das Bücherregal mit der leuchtend blauen Farbe aufgestellt. Von Zeit zu Zeit bringen sie neue Bücher. Es handelt sich um kunst- und naturwissenschaftliche Werke, aber auch Bücher über ostpreußische Geschichte, die man lesen oder eben für wenig Geld käuflich erwerben kann.

Die Bücher sind bislang noch nicht gestohlen worden, das Geld aus dem Briefkasten hingegen fand schon recht bald einen neuen, unrechtmäßigen Besitzer. Auch die batteriebetriebene Lampe ist verschwunden, welche die jungen Leute für die Passanten dort angebracht hatten. Viele nehmen die Bücher aus dem Regal, setzen sich auf die nebenstehende Bank und lesen darin. Diejenigen, die keine Zeit haben, werfen Geld in den Briefkasten und nehmen die Bücher mit.

Das Bücherregal steht in der Nähe einiger Sehenswürdigkeiten der Stadt, dem Dramentheater, dem schönen Marmorbrunnen, den Denkmälern für Schiller und Puschkin sowie den kämpfenden Wisenten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich das Bücherregal der Aufmerksamkeit vieler vorbeischlendernder Touristen erfreut. Viele holen ihre Fotoapparate heraus und knipsen sich gegenseitig vor dem blauen Bord. Offensichtlich haben die jungen Leute den Geschmack der Königsberger und der Touristen getroffen.       J.T.


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