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14.07.12 / Heimat stets im Herzen / Ostpreußens »Mutter Teresa« Gisela Madeya verstorben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Heimat stets im Herzen
Ostpreußens »Mutter Teresa« Gisela Madeya verstorben

Am 17. Juni, nur wenige Wochen nach ihrem 99. Geburtstag, den sie noch im Kreise ihrer Familie und Freunde feiern konnte, verstarb Gisela Madeya, geb. Modricker. Als jüngstes Kind des Bauunternehmers Fritz Modricker und seiner Ehefrau Grete, geb. Köpp, wurde sie am 22. Mai 1913 in Rastenburg geboren. Sie verlebte ihre Kindheit und Jugend in Lötzen zusammen mit ihren Großeltern und deren Kindern. Wie schwärmte sie, wenn sie von dem Spiel mit ihrer Freundin Bertel auf dem Holzplatz erzählte, vom Tennis, das ihre Mutter und sie leidenschaftlich spielten, vom Rudern und Schwimmen, von ers-ten Liebeleien und Festen.

Doch den Ernst des Lebens bekam sie früh zu spüren. Anfang der dreißiger Jahre verließ sie das Lyzeum und begann eine praktische Ausbildung, um mitzuhelfen, die Schulden ihrer Familie abzutragen. Als Chefsekretärin von Dr. Wiedwald in Bethanien, später in Insterburg, erwarb sie durch Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Kompetenz nicht nur Vertrauen und Achtung bei Ärzten und Patienten, sondern sie wurde geliebt und verehrt. Manche der damals geschlossenen Freundschaften hielten ein Leben lang. 1939 heiratete sie ihren Sandkastengespielen Rudolf Madeya, der seine erste Lehrerstelle in Upalten bekam. Doch lange währte das junge Glück nicht; Rudolf wurde eingezogen, Gisela machte Vertretungen im Krankenhaus. 1942 wurde ihre Tochter Ulrike im Insterburger Krankenhaus geboren; ihre zweite Tochter Bringfriede kam 1944 schon nicht mehr in Ostpreußen, sondern im Warthegau zur Welt. Die eigentliche Flucht begann für sie im Januar 1945. Sie führte über Thüringen und Mecklenburg schließlich nach Schleswig-Holstein, wo Gisela Madeya im Mai die Kapitulation der Wehrmacht in Rendsburg erlebte. Dass ihr Mann verwundet im Lazarett in Flensburg lag, erfuhr sie zufällig auf der Straße. Mutter, Schwiegereltern und Schwester mit Sohn überlebten in verschiedenen Internierungslagern in Dänemark. Nur ihr Bruder blieb verschollen.

Nach Genesung und Entnazifizierung bekam ihr Mann bald eine Vertretungslehrerstelle in Sillenstede bei Jever, wohin nach und nach alle Angehörigen zogen. Von da an war Ehepaar Madeya Treff- und Angelpunkt für Verwandte und Freunde – in Sillenstede, ab 1949 in Edewechterdamm, wo Rudolf eine Hauptlehrerstelle bekam, und schließlich ab 1993 in Wiefelstede, dem Alterssitz. Nach dem Tod ihres Mannes 1995 erfüllte Gisela diese Aufgabe allein.

Nach dem Krieg war sie nicht mehr berufstätig, hatte jedoch alle Hände voll zu tun, Haus und Garten zu besorgen, sich um Mutter und Schwiegereltern zu kümmern, die Kinder auf den rechten Weg zu bringen, in den Ferien auch Nichten und Neffen und andere Verwandte zu versorgen. Immer war das Haus offen, und jeder, der ein Problem hatte, fand Gehör und Zuspruch; auch die Freude wurde geteilt. Bei ihren Kuraufenthalten knüpfte Gisela Madeya wertvolle Beziehungen, die bis heute bestehen. Die Liebe zu Kunst und Kultur, Musik und Natur und Ostpreußen machten den geistigen Austausch interessant. Urlaubsreisen in die nordischen Länder wie auch in den europäischen Süden weiteten ihr Blickfeld und ihr Einfühlungsvermögen in andere Mentalitäten. War Ostpreußen schon durch Großfamilie und Freunde im Haus der Familie Madeya stets präsent, so rückte es nach der Pensionierung ihres Mannes stärker in den Mittelpunkt, als er zum Kreisvertreter des Kreises Lötzen gewählt wurde und die Pennäler-Gemeinschaft der Lötzener Oberschulen organisierte. Immer trug Gisela Madeya die Aktivitäten ihres Mannes mit. Noch einmal intensiviert wurde die Beziehung zu Ostpreußen, als zu der Begegnung der hiesigen Lötzener die der Betreuung der heimatverbliebenen Landsleute kam. Seit 1985 wurden Paketaktionen und Versorgungsfahrten organisiert nach dem Vorbild der Arbeitsgemeinschaft „HILFE für EUCH“, zu deren Gründungsmitgliedern Tochter Ulrike gehörte. Patenschaften wurden aufgebaut und Spenden gesammelt, um die wachsende Zahl der Bedürftigen zu versorgen, und Gisela Madeya schrieb unermüdlich Briefe und erweiterte den Kreis der Interessierten.

Nach dem Tode ihres Mannes arbeitete sie zusätzlich in der Arbeitsgemeinschaft „HILFE für EUCH“ und wurde Mitglied im „Freundeskreis Ostpreußen“, der auch im Königsberger Gebiet bedürftige deutsche Familien versorgte. Hier lag ihr die Familie Herzen besonders am Herzen, und immer wieder warb sie um Spenden für sie. So konnte deren Haus vollständig renoviert werden. Die Spender hielt sie mit Reiseberichten ihrer Tochter auf dem Laufenden. Das Persönliche, das ist es, was Gisela Madeyas Größe ausmachte. Sie wandte sich jedem ganz zu, konnte zuhören und Rat geben, mitlachen und mitweinen. Ihr 90. Geburtstag, der auf einer Hilfsfahrt in Ostpreußen gefeiert wurde, war ein regelrechter Triumphzug – so viel Zuneigung, ja Liebe, so viel innere Verbundenheit – unbeschreiblich. Die Fahrt mit Tochter Ulrike 2010 im Alter von 97 Jahren sollte ihre letzte bleiben. Aber sie führte weiterhin Spendenaktionen durch. Die letzte beendete Gisela Madeya Anfang Mai. Wieder konnte sie über 1000 Euro in Lötzen und Umgebung verteilen lassen.

Die Berge von Dankesbriefen aus Ostpreußen und der Bundesrepublik, ebenso die große Anzahl von Besuchen bis zu ihrem Lebensende sind ein beredtes Zeugnis für die tiefe Verbundenheit mit ihr. Befragt man Menschen nach dem Besonderen an ihr, so werden Charme und Witz, Disziplin und Schaffensfreude, Gradlinigkeit und Aufrichtigkeit, Zähigkeit und Ausdauer genannt. „Sie war eine starke Persönlichkeit, die ihr Vertriebenenschick-sal mit Mut und ganzem Einsatz bis zuletzt ins Positive zu wenden verstand“, heißt es in einem Brief und in einem anderen: „Wie Agnes Miegel zu Recht die Mutter Ostpreußens war und ist, so ist und bleibt Gisela Madeya für die Ostpreußen die Mutter Teresa Ostpreußens“. Ein großes Herz spricht leise. Es leuchtet von innen. (Zenta Maurina). Nun ist es verstummt. Gisela Madeya wird allen sehr fehlen.                 Ulrike Madeya


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