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04.08.12 / Eine Ballonfahrt brachte den Durchbruch / Vor 100 Jahren entdeckte der österreichische Physiker Victor Franz Hess die kosmische Strahlung (Höhenstrahlung)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Eine Ballonfahrt brachte den Durchbruch
Vor 100 Jahren entdeckte der österreichische Physiker Victor Franz Hess die kosmische Strahlung (Höhenstrahlung)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Wissenschaft, die elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre und ihre Ursachen zu studieren. Hans Geitel, Julius Elster und Charles Wilson stellten fast gleichzeitig fest, dass in geschlossenen Gefäßen selbst staubfreie Luft stets schwach leitet. Die Erkenntnis verbreitete sich, dass radioaktive Elemente der Erde die Atome und Moleküle der Luft zu ionisieren, elektrisch zu laden, vermögen. Neben anderen Forschern versuchte der deutsche Physiker und Jesuit Theodor Wulf von 1909 bis 1911, Strahlungsunterschiede in verschiedenen Höhen, unter anderem mithilfe des Eiffelturms, zu messen. Wulf stellte die kühne Hypothese auf, dass die Erde nicht der einzige Ursprung der Radioaktivität sei und aus dem Kosmos Strahlung kommen müsse. Er forderte seine Kollegen auf, mit Ballons Messungen in größerer Höhe vorzunehmen, da dies für ihn zu beschwerlich sei.

Victor F. Hess, Assistent am Institut für Radiumforschung in Wien, erläuterte 1911 vor der Naturforscherversammlung in Karlsruhe: „Die zu geringe Abnahme der Ionisation mit der Höhe in einem geschlossenen Gefäß könnte zweierlei Ursachen haben: … erstens kann außer den radioaktiven Substanzen der Erde ein anderer, uns noch unbekannter Ionisator in der Atmosphäre wirksam sein [oder es] kann die Absorption der Gamma-Strahlen in Luft vielleicht viel langsamer erfolgen als bisher angenommen wurde.“

Am 7. August 1912 gelang ihm bei einem seiner Ballonaufstiege, der ihn von Aussig nach Pieskow führte, schließlich der Beweis für die Existenz extraterrestrischer Strahlung, indem er Messungen mit Elektrometern bis in 5300 Metern Höhe vornahm. Während auf den ersten 700 Metern die Ionisationskräfte abnahmen, stiegen diese bis zur Gipfelhöhe der Ballonfahrt immer weiter an. Hess folgerte, dass es eine aus dem Weltall kommende Strahlung geben muss.

Heute ist bekannt, dass die aus vornehmlich Protonen und Heliumkernen bestehende kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre mit Stickstoff- und Sauerstoffatomen zusammenstößt und weitere Kernreaktionen verursacht. Die dabei entstehende Sekundärstrahlung besteht aus den drei Hauptkomponenten Elektronen/Pho­to­nen, Hadronen (Kernbausteine) und Myonen (schwere Elektronen).

Der Beginn des Ersten Weltkrieges setzte Hess’ Beobachtungen, wie der eigens eingerichteten Station auf dem Obir in 2044 Metern Höhe, ein vorläufiges Ende.

Anfang der 20er Jahre übte der amerikanische Physiker Robert Andrews Millikan (1868–1953) vernichtende Kritik an Hess, weil er keine Spur einer solchen Strahlung ausmachen könne. Doch als Millikan wenige Jahre später selbst einen Nachweis erbrachte, nannte er sie unverschämterweise Millikan-Strahlung. 1932 entdeckte Carl David Anderson bei Experimenten in einer Nebelkammer das von Paul Dirac vorhergesagte Positron in der kosmischen Strahlung. Bei den Auseinandersetzungen um die wissenschaftlichen Verdienste erinnerten sich aber Kollegen an die Leistungen des Österreichers Hess. Mit der Verleihung des Abbe-Preises 1932 und des Nobelpreises 1936, den er gemeinsam mit Anderson erhielt, wurde ihm die gebührende Anerkennung zuteil. Schließlich etablierte sich der von Millikan vorgeschlagene Begriff „kosmische Strahlung“. Nur im deutschen Sprachraum wurde der von Werner Kolhörster stammende Name „Höhenstrahlung“ benutzt.

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938, wurde Hess in den Zwangsruhestand ohne Pension versetzt, unter anderem weil seine Frau jüdischer Abstammung war. Von einem befreundeten Gestapo-Offizier vor seiner Inhaftierung gewarnt, flüchtete er. Er wanderte in die USA aus und nahm 1944 schließlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Bis 1958 setzte er als Professor an der Fordham University in New York seine Forschungen fort. Nach Victor F. Hess ist das in Namibia befindliche H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) zur Messung hochenergetischer kosmischer Gamma-Strahlung benannt.

Die Erforschung der „Höhenstrahlung“ trug zur modernen Teilchenphysik bei, indem der Nachweis weiterer Elementarteilchen wie Myon und Pion gelang. Schließlich etablierte sich in den 80er Jahren die Astroteilchenphysik. Weltraumexperimente liefern Erkenntnisse über die Ausbreitung der Primärstrahlung im stellaren, galaktischen und intergalaktischen Raum. Doch gerade die interessantesten Teilchen mit den ganz hohen Energien, zum Beispiel mit 1015 bis hin zu 1020 Elektronenvolt, sind eher selten und schwierig zu messen. In der Milchstraße sind wahrscheinliche Quellen überwiegend Supernova-Überreste wie der Krebsnebel.

Praktische Auswirkungen auf das tägliche Leben haben Flares und koronale Massenauswürfe unserer Sonne. Der dabei freigesetzte Teilchensturm verstärkt den Sonnenwind und beeinflusst das so genannte Weltraumwetter. Kurzfristig kann es sogar zu erhöhten Strahlendosen am Boden kommen, vor allem aber zu Beeinträchtigungen der Luft- und Raumfahrt, beispielsweise Belastungen des Flugpersonals, Schäden der Bordelektronik bei Satelliten oder Störungen der Telekommunikation.

Selbst 100 Jahre nach der Entdeckung der kosmischen (Höhen-)Strahlung durch Victor Franz Hess sind noch viele Fragen zur Beschaffenheit der Strahlungsquellen und Ausbreitung der Teilchen ungeklärt, so dass seit 2011 das Alpha-Magnet-Spektrometer an der Internationalen Raumstation bis 2020 weitere Erkenntnisse liefern soll. Ulrich Blode


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