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04.08.12 / Antike in Ostpreußen / Doktorarbeit über Sammlungen wird neues Standardwerk

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Antike in Ostpreußen
Doktorarbeit über Sammlungen wird neues Standardwerk

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine 2009 an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossene Dissertation des Autors im Sonderforschungsbereich 644 „Transformation der Antike“.

Einer Einleitung zur Entstehung der Kunstmuseen in Europa, Deutschland und Preußen folgen Ausführungen zur Aufgabenstellung. Unter dem Begriff Antiken fasst der Autor „Sachüberreste aus dem griechisch-römischen Kulturraum“, aber auch die Hinterlassenschaften der benachbarten Hochkulturen in Ägypten und Vorderasien sowie Kopien antiker Objekte zusammen. Der Autor Faensen betont dabei, dass er seine Arbeit über die „Antikensammlungen in Ostpreußen“ als „Baustein für entsprechende landesgeschichtliche Zusammenstellungen in der Zukunft, welche die Architektur der Sammlungsgeschichte Deutschlands in ihrer regionalen Differenzierung und ihren übereinstimmenden Zügen zu setzen vermögen“ sieht.

In der Publikation beschäftigt sich der Autor im Kapitel „Das 17. und 18. Jahrhundert Münzsammlungen, Raritätenkabinette, Figurenschmuck in Gärten und Parkanlagen“ mit Betrachtungen zu den frühen Formen des Museums und der Antikenliebhaberei. Früheste numismatische Kollektionen sind in Ostpreußen bereits für das 15. Jahrhundert überliefert und blieben in der Folgezeit eine Domäne des Adels. Im 17. Jahrhundert beginnt auch das Bürgertum (in Königsberg) mit dem Sammeln von Münzen. Das Aufstellen von Kopien antiker Statuen war auch in Ostpreußen ab dem 18. Jahrhundert Bestandteil der damaligen Gartenästhetik. Mit dem Aufkommen der englischen Landschaftsgärten verschwinden solche Statuen, da sie nicht mehr dem Geschmack der klassizistischen Epoche entsprachen. Das Kapitel endet mit einer Übersicht der Sammlungen des Königsberger Kaufmanns Friedrich Franz Saturgus und des ermländischen Fürstbischofs Ignacy Krasicki als Beispiele für die Sammlungsgeschichte in Ostpreußen vor dem 18. Jahrhundert. Bereits im ersten Abschnitt beweist Faensen seine umfassenden Kenntnisse, die sich nicht nur auf Ostpreußen beschränken. Immer wieder stellt er die Entwicklung in Ostpreußen in einen gesamteuropäischen Zusammenhang.

Der zweite Abschnitt beschreibt die Entstehung der drei großen Antikensammlungen Ostpreußens in Königsberg, Beynuhnen und Braunsberg. Die Königsberger Sammlung entstand aus der Abgusssammlung des Lehrstuhls für Klassische Archäologie und Geschichte an der Albertus-Universität. Die Entstehungsgeschichte des Lehrstuhls und der Sammlung schildert Faensen anschaulich und auch das weitere Schicksal des Instituts mit seinen Angehörigen bis 1945 behandelt er ausführlich.

Erst spät erreichte der Museumsgedanke die ländlichen Regionen Ostpreußens. Fritz von Fahrenheid, Gutsbesitzer in Beynuhnen, verfügte über die bedeutendste Antikensammlung Ostpreußens. Anfangs in einem „Antikensaal“ präsentiert, beherbergte der 1865 fertiggestellte spätklassizistische Umbau des Herrenhauses nun Fahrenheids Sammlung zur Kunst der Antike und der Neuzeit des 15. bis 19. Jahrhunderts. Der Biographie Fritz von Fahrenheids und der Baugeschichte des Herrenhauses schließt sich eine Schilderung der einzelnen Räume des Schlosses an, die so die einstige Pracht dieses Ensembles vermittelt. Schloss Bey-nuhnen wurde 1945 von der Roten Armee gesprengt.

Das Lyceum Hosianum in Braunsberg beherbergte ebenfalls eine Antikensammlung, deren Aufbau das Verdienst des Professors für Philosophie und Altertumskunde an der Philosophischen Fakultät des Lyceum Hosianum, Wilhelm Weißbrodt, war. Sie bestand vor allem aus Abgüssen und Originalen antiker Werke sowie Münzen und Architekturmodellen. Museum und Gipssammlung wurden 1945 zerstört, die epigraphische Sammlung befindet sich heute im Warschauer Nationalmuseum.

Die Entwicklung der archäologischen Sammlungen vollzog sich nach Faensen in Abhängigkeit von bildungs- und kulturpolitischen Zielsetzungen des preußischen Staates, wenngleich auch die individuellen Neigungen der Museumsleiter und Sammler das Konzept beinflusste.

Der dritte Abschnitt behandelt die Antikenbestände außerhalb der großen Antikensammlungen. Es sind die Sammlungen der Geschichts- und Altertumsvereine, an deren erster Stelle die Königsberger Altertumsgesellschaft Prussia steht. Auf rund 30 Seiten beschreibt der Autor kenntnisreich die Entstehung und Geschichte der Prussia Gesellschaft und des Prussia Museums in Königsberg. Seine Ausführungen gehören bislang sicherlich mit zum Besten und Informativsten, was über die Prussia geschrieben wurde. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Übersicht zu der im heutigen Muzeum Warmii i Mazur in Allenstein vorhandenen Antiken aus der ehemaligen Prussia-Sammlung. Nachweise von Antiken finden sich auch in den Sammlungen der Altertumsgesellschaft Insterburg, den Schausammlungen des Domkapitels in Frauenburg, den Sammlungen des Vereins für die Geschichte des Ermlandes im Ostpreußischen Heimatmuseum in Heilsberg, dem Kunstgewerbemuseum in Königsberg und dem Bernsteinmuseum der Albertus-Universität Königsberg. Alle diese Sammlungen haben den Zweiten Weltkrieg größtenteils nicht überlebt.

Dass antike Denkmäler über die museale Präsentation hinaus Gegenstand akademischer Forschung und Lehre waren, erläutert Faensen im vierten Abschnitt seiner Arbeit. Neben der Albertus-Universität ist es vor allem die Königsberger Kunstakademie, die mit ihrer Sammlung und Ausbildung Archäologie und Kunstgeschichte vermittelte. Zeichnen und Modellieren nach antiken Werken gehörte auch hier zur Ausbildung, zu deren Zweck ab 1844 die heute allesamt verlorenen Abgüsse angeschafft wurden. Besonderes Augenmerk legt Faensen auf den Kunstunterricht und die Sammlungen an den ostpreußischen Gymnasien, deren Rolle bei der Entstehung musealer Sammlungen bislang weitgehend unberücksichtigt blieb. Dabei geht er der Frage nach dem Stellenwert des Kunstunterrichts an den höheren Schulen in Preußen und dem Kunstunterricht an ostpreußischen Schulen nach. Betrachtet wird, in welchem Grade und in welcher Form an ostpreußischen Gymnasien Kenntnisse über antike Kunst vermittelt wurden, welche Mittel man dafür einsetzte und inwiefern es eigene Sammlungen gab. Das Kapitel beschließen Ausführungen zu ausgewählten Schausammlungen an verschiedenen Gymnasien (Gumbinnen, Lyck, Osterode und Braunsberg).

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit den in Ostpreußen vorhandenen Privatsammlungen antiker Stücke und Kopien, die Gutsbesitzer und kunstbegeisterte Stadtbürger angelegt hatten. Antiken oder deren Kopien in ostpreußischen Herrenhäusern fanden sich in Schlobitten, Dönhoffstädt, Steinort, Waldburg, Tüngen, Döhlau und Glaubitten. Die Sammlungen selbst gingen zum Teil in öffentliche Museen über, vielfach ist ihr heutiger Verbleib unbekannt. Gleiches gilt auch für die Objekte in bürgerlichen Sammlungen. Umgeben von Abgüssen trojanischer Helden schrieb Felix Dahn, Professor der Rechte an der Königsberger Universität, seinen Bestseller „Ein Kampf um Rom“.

Abschließend führt Faensen drei Stücke auf, die sich heute in Heilsberg und Königsberg befinden und vermutlich aus ostpreußischen Privatsammlungen stammen. Sie stehen zugleich für den Verlust an Informationen und Denkmälern als Folge des Zweiten Weltkrieg und der Zeit des Kalten Krieges.

Die Ausführungen des Autors zur Sammlungsgeschichte der Antikensammlungen in Ostpreußen ergänzen ein Verzeichnis zu Vorlesungen über Kunstgeschichte, Antike und Klassische Archäologie an der Albertus-Universität nach Professoren geordnet sowie Kataloge zu den Beständen des Archäologischen Museums in Königsberg, des Fahrenheid-Museums in Beynuhnen, und der Antikensammlung am Lyceum Hosianum in Braunsberg. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die russischen Museumsdepots Wissenschaftlern und Kunstinteressierten geöffnet werden. Die Suche nach bisher verschollen geglaubten Kunstwerken kann durch diesen Katalog erleichtert werden. Letzteres hält der Rezensent allerdings aus eigener Erfahrung im Umgang mit russischen Museumsstellen für frommes Wunschdenken des Autors. Besondere Beachtung verdient auch der Tafelteil von Faensens Arbeit. Neben Antiken, die heute als Kriegsverlust oder als verschollen gelten, bietet er eine Übersicht zu den wichtigsten Personen, den ehemaligen Sammlungen und Gebäuden und zu dem kulturellen Verlust, der nach 1945 in Ostpreußen entstanden ist. Ebenfalls abgebildet sind Objekte, die bei seinen Recherchen in Polen und dem Königsberger Gebiet zutage kamen und möglicherweise so identifiziert werden können.

Faensens Arbeit ist in vielerlei Hinsicht lesenswert. Den Archäologen führt sie in eine aus dem Blickfeld der heutigen Forschung entschwundene Region und zeigt deren verlorene Antiken. Für den Historiker bietet seine akribische Recherche zahlreiche Fakten und Erkenntnisse zur Forschungsgeschichte einer Region als Grundlage für übergreifende Betrachtungen zur Museums-, Geistes- und Kunstgeschichte Deutschlands vom beginnenden 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Den Bewohnern Ostpreußens und deren Nachfahren führt sie einmal mehr anhand des Beispiels der Antikensammlungen die Tragik vor Augen, die der Zweite Weltkrieg für dieses Land bedeutete. H. Neumayer/Prussia

Bertram Faensen, Antikensammlungen in Ostpreußen, 508 Seiten Text, 103 Schwarz-weiß- und 15 Farbtafeln, Bibliopolis 2011, 78 Euro


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