29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.08.12 / Kulturerbe in Gefahr / Wo deutsche Geschichte begraben liegt: Auf Waldfriedhof Stahnsdorf soll gebaut werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Kulturerbe in Gefahr
Wo deutsche Geschichte begraben liegt: Auf Waldfriedhof Stahnsdorf soll gebaut werden

Verschwinden bedeutende Zeugnisse der preußisch-deutschen Geschichte unter Beton? Auf dem Stahnsdorfer Waldfriedhof vor den Toren Berlins finden sich die Gräber von prominenten Künstlern und Unternehmern, aber auch die von Politikern wie Otto Graf Lambsdorff und von gleich 50 preußischen Generälen. Nun soll ein Teil des Friedhofs für Wohnungsbau geopfert werden.

Jahrzehntelang im Dornröschenschlaf, nun Zankapfel der Kommunalpolitik, so lässt sich die aktuelle Entwicklung um den Stahnsdorfer Waldfriedhof vor den Toren Berlins auf den Punkt bringen. Um die Zukunft des zweitgrößten Friedhofs Deutschlands, südwestlich von Berlin, ist mitten in der politischen Sommerpause ein Dis­put entbrannt. Der Anlass: Bekanntgewordene Pläne des örtlichen kommunalen Wohnungsunternehmens, Teile des 206 Hektar großen parkähnlichen Friedhofsgeländes zu kaufen und mit Wohnungen zu bebauen. Ein Vorhaben, das nach Ansicht von Lokalpolitikern auf dem denkmalgeschützten Areal überhaupt nicht zulässig ist, sodass inzwischen schon die Forderung nach Ablösung der Geschäftsführerin des betreffenden Wohnungsunternehmens im Raum steht.

Sollten die Pläne eines Tages dennoch Realität werden, dann droht tatsächlich ein kunsthistorisch wertvoller Ort unter die Räder zu kommen: Unter den 120000 Toten, die hier seit 1909 ihre letzte Ruhe fanden, befinden sich die Gräber zahlreicher prominenter Persönlichkeiten. Die Liste reicht von der Baronin von Ardenne, die Theodor Fontane als Vorlage für seinen Roman „Effi Briest“ diente, bis zum „Hellseher“ Erik Jan Hanussen. Auf dem Gelände befinden sich Familiengräber von Unternehmerdynastien wie Ullstein, Siemens und Langenscheidt genauso wie Gräber von Künstlern wie Heinrich Zille und Lovis Corinth oder prominenter Politiker wie Otto Graf Lambsdorff, der hier vor wenigen Jahren im Familiengrab beigesetzt wurde.

Teil des riesigen Friedhofsgeländes sind ebenso die Grabstätten von 15 Feldmarschällen und etwa 50 preußischen Generälen, die 1949 nach der Auflassung des Berliner Garnisonfriedhofs nach Stahnsdorf umgebettet wurden. Bereits 1920 hatten Italien und Großbritannien für die Gräber eigener Soldaten, die in Berlin und Pommern als Kriegsgefangene während des Ersten Weltkrieges verstorben waren, Gelände auf dem Friedhof angekauft.

Dass trotz der unbestrittenen kunsthistorischen Bedeutung des Friedhofs überhaupt Bebauungspläne aufkommen konnten, hat viel mit der einzigartigen Geschichte des Ortes und den erstaunlichen Eigentumsverhältnissen zu tun, die selbst die Jahrzehnte der deutschen Teilung überstanden haben. Zwar befindet sich der Friedhof auf dem Gebiet Brandenburgs, angelegt wurde er aber im Jahre 1909 für das aus allen Nähten platzende Berlin. Der Großfriedhof im Umland sollte die Bestattungsprobleme der evangelischen Kirchengemeinden und der Bezirke der wachsenden Millionenstadt lösen.

Ins Abseits geriet der Stahnsdorfer Friedhof mit der deutschen Teilung. Er lag nun nicht mehr nur hinter der Stadtgrenze, er lag in einem anderen politischen System. Bereits seit 1953 war für Besucher aus West-Berlin ein Friedhofsbesuch nur noch mit einem besonderen Passierschein möglich. Durch den Mauerbau im Jahr 1961 wurde der Friedhof von seinem ursprünglichen Einzugsgebiet endgültig abgeschnitten. Die Zahl der Bestattungen ging drastisch zurück, der Friedhof geriet immer mehr in Vergessenheit.

Einen gehörigen Anteil daran, dass dieser Zustand selbst noch nach dem Revolutionsjahr 1989 bis heute anhält, hat die Tatsache, dass der Friedhof für die Berliner immer noch schlecht erreichbar ist. Hoffnungen, die sogar noch bis zum Jahr 1961 bestehende Verkehrsanbindung des Friedhofs wieder herzustellen, müssen zunächst einmal ad acta gelegt werden: In einem kurios anmutenden juristischen Streit um einen vor 100 Jahren geschlossen Vertrag über die sogenannte „Friedhofsbahn“ hatte die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz jahrelang gegen die Deutsche Bahn geklagt und war letztendlich unterlegen.

Im Jahr 1913 in Betrieb genommen, fußte die deutschlandweit wohl einmalige „Friedhofsbahn“ auf einer Abmachung zwischen der preußischen Staatseisenbahnverwaltung und der Evangelischen Kirche: Die Kirche stellte Grundstücke für die Bahntrasse und 2,6 Millionen Goldmark für die Baukosten zur Verfügung, die Bahn verpflichtete sich dafür zum Betrieb der 4,3 Kilometer lange Bahnlinie zwischen Berlin-Wannsee und dem Stahnsdorfer Friedhof. Da die Bahnverbindung sogar zur Überführung von Leichen genutzt wurde, verpasste ihr der Berliner Volksmund alsbald den entsprechenden Spitznamen „Leichenbahn“.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Klage der Kirche auf Wiedereinrichtung der Bahn erst kürzlich endgültig abgewiesen. Erstaunlich war die Begründung der Richter: Mit dem Bau der Berliner Mauer sei die einstige Verpflichtung der Staatseisenbahn gegenüber der Kirche zum Bahnbetrieb erloschen. Verständlich ist bei dieser Urteilsbegründung der Unmut des Bürgermeisters von Stahnsdorf Bernd Albers. Das Urteil bedeutete für ihn letztendlich, „dass die DDR heute noch der Bundesrepublik vorschreibt, wo die Bahn zu fahren hat und wo nicht“. Norman Hanert


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren