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11.08.12 / Wohlstand contra Nationalismus / Irakische Kurden-Region erlebt in Anlehnung an die Türkei eine ungeahnte Hochkonjunktur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Wohlstand contra Nationalismus
Irakische Kurden-Region erlebt in Anlehnung an die Türkei eine ungeahnte Hochkonjunktur

Die mit erfundenen „Beweisen“ losgetretene amerikanisch-britische Irak-Invasion 2003 wird meist als katastrophal beurteilt. Doch es gab auch Nutznießer: nicht nur Rüstungskonzerne und Söldnerfirmen, sondern vor allem die irakischen Kurden. Denn die drei größtenteils von Kurden bewohnten nordostirakischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya bilden heute den Kern der autonomen Region Kurdistan, die de facto, wenngleich nicht de jure ein selbstständiger Staat ist und einen wahren Wirtschaftsboom erlebt.

Die Autonomie geht auf ein Abkommen von 1970 zurück, das der damalige Vizepräsident Saddam Hussein mit den Kurdenführern unter Mustafa Barzani unterzeichnet hatte. Die Praxis sah dann anders aus, wie spätere Kurden-Massaker belegen. Dazu kam, dass der Westen dem in der UdSSR ausgebildeten Barzani misstraute und im irakisch-iranischen Krieg 1980 bis 1988 Saddam Hussein massiv unterstützte. Der Druck auf die Kurden ließ erst nach, als im Zuge des zweiten Golfkriegs 1991 der Nordirak Flugverbotszone wurde. Allerdings lieferten sich dann die Anhänger von Masud Barzani, dem Sohn von Mustafa Barzani, mit denen von Dschalal Talabani, der ursprünglich Barzanis Partei angehört hatte, einen Bruderkrieg, der tausende Opfer forderte.

Der innerkurdische Konflikt ist heute entschärft, denn Bar-zani residiert als kurdischer Präsident oder eher Gaufürst in der Regionshauptstadt Erbil, und Talabani ist als irakischer Staatspräsident „entsorgt“. Gemeinsam mit den kurdischen Abgeordneten im irakischen Parlament hilft er so der Zentralregierung und der „Staatengemeinschaft“, die Fiktion von einem ungeteilten Irak am Leben zu erhalten. Zur Sicherheitslage trägt derweil bei, dass die irakischen Kurden fast durchweg Sunniten sind und dass ethnische Minderheiten zahlenmäßig unbedeutend sind.

Ebenso entscheidend ist die äußere Sicherheit. Die US-Truppen gelten als Befreier, und CIA und Mossad haben daher freie Hand für alles, was für den Iran Einkreisungspolitik ist. Und die Türkei, die in der kurdischen Autonomie eine Gefahr für ihre territoriale Integrität sah und häufig PKK-Basen im Irak angriff – zum Teil mit stillem Einverständnis von Saddam Hussein –, unterhält mit der autonomen Region heute so enge wirtschaftliche Beziehungen, dass manche schon von einer Achse Ankara–Erbil sprechen.

Barzani weiß, dass eine formale Unabhängigkeit vor allem für die Türkei inakzeptabel wäre. Und die türkische Führung weiß, dass wachsender Wohlstand die Bereitschaft vertreibt, diesen wieder aufs Spiel zu setzen, wie das bei Unterstützung „der kurdischen Brüder“ in der Türkei oder gar einer Vereinigung der mindestens 20 Millionen Kurden in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien der Fall wäre. Ankara und Erbil „warnen“ daher gemeinsam vor dem Freiheitsstreben der syrischen Kurden, denen das bedrängte syrische Regime jüngst nordsyrisches Gebiet überließ und die ins Fahrwasser der PKK geraten könnten.

Wie aber der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu beim vorwöchigen Besuch in Erbil und Kirkuk wieder zum Ausdruck brachte, lehnt die Türkei als Schutzmacht der Turkmenen auch die kurdischen Ansprüche auf Anschluss der kurdisch-arabisch-turkmenisch gemischten Region Kirkuk ab – „eigentlich“ war dort eine Volksabstimmung vereinbart.

Grundpfeiler des Wirtschafts-Booms sind die 17 Prozent der irakischen Erdöleinnahmen, die der Region zufließen, und die relative Sicherheit, die ausländische Investoren anlockt. Die Türkei, deren Ostregion einst unter dem Irak-Embargo gelitten hatte, ist auch hier führend. Überall herrscht rege Bautätigkeit für Wohnraum und immer luxuriösere Hotels und Einkaufszentren. Etwa zwei Dutzend internationale Fluggesellschaften bieten heute direkte Linienflüge nach Erbil an. Dass bei Großaufträgen der Bar-zani-Klan mitschneidet, ist „normal“ und wird hingenommen, weil es im Unterschied zu anderswo ja allen besser geht.

Erbil hat inzwischen mit rund 50 Ölfirmen direkte Verträge abgeschlossen – was Bagdad als illegal erachtet – und will über zwei von türkischen Firmen gebaute Leitungen ab 2013 selber Erdöl und später auch Erdgas exportieren. Ein Gesamtkurdistan, das unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Ersten Weltkriegs möglich schien, aber von den Siegermächten verhindert wurde, ist jedenfalls unrealistischer denn je. R. G. Kerschhofer


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