28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.08.12 / Mozart mit Majo statt Mitbestimmung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Moment mal!
Mozart mit Majo statt Mitbestimmung
von Klaus Rainer Röhl

Im September entscheidet das Verfassungsgericht, ob die Klagen gegen den EU-Rettungsfonds ESM begründet sind. Schon heute aber gelten die Deutschen als die Verlierer der Euro-Krise. Sogar Enteignungen stehen im Raum. Aber da das die Bevölkerung nicht zu früh erfahren soll, muss das Problem unübersichtlich gehalten werden. Von wem? Von allen. Die meisten schauen ja selber nicht durch bei der Krise.

Wir Deutschen, die Österreicher, Niederlande und Finnen stecken viele hundert Milliarden in die Euro-Rettung, haben aber nichts dabei zu verlieren? Wer das glaubt, wird selig. Mitbestimmen dürfen die Deutschen nicht, aber teilhaben an den Ereignissen. Derweil lächelt die Kanzlerin entspannt in die Fernsehkameras und betont, es gebe ja keine Alternative zu dem eingeschlagenen Kurs. Also durch. Mit Stolz und Vorurteil. Je weniger das sogenannte Volk, die meisten, trotz vieler Einbürgerungen, immer noch Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, mitbestimmen darf, desto mehr nimmt es teil an der Schau. Es ist keine richtige Teilhabe, wie sie etwa in der Schweiz praktiziert wird, wo jeder abstimmt über die wichtigen Fragen. Wie viele Einwanderer zum Beispiel ins Land kommen dürfen und wie lange, oder ob noch eine Moschee in bester Stadtteillage gebaut werden soll oder nicht. Nein, entschieden die Schweizer. Wir dürfen es nicht.

Aber über die Nachrichten nehmen die Deutschen teil an allen Ereignissen. Mit vielen bunten, sich überstürzenden Bildern. Über das Geld, was in der Küche fehlt, wird nicht in der Küche entschieden, aber eben auch nicht mehr im deutschen Parlament. Selbst Hitler brauchte das Parlament für die Ermächtigungsgesetze, aber Angela Merkel braucht gar kein Ermächtigungsgesetz. Sie ist schon ermächtigt, über die Zukunft unseres Geldwerts zu entscheiden. Wer wen besiegt, entscheiden die deutschen Bürger ebenso wenig wie die Zuschauer bei den Olympischen Spielen. Aber sie dürfen dabei sein, und weil ihr Kontakt zur Außenwelt in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf die inzwischen nur noch streichholzgroßen Handys oder iPads beschränkt ist, hat der liebe Gott, der nicht nur die Banken und ihre Manager erfunden und bis heute am Leben erhalten hat, das Public Viewing erschaffen. Der Begriff ist außerhalb Deutschlands nicht im Gebrauch, bedeutet doch Public Viewing auf Englisch klar und deutlich „öffentliche Leichenschau“. Die hilfsweise versuchte Übersetzung „Rudelkucken“ hat sich nicht durchsetzen lassen. Das gemeinsame Fernsehen auf kleinen oder großen Plätzen, in Gartencafés oder Riesenarenen wie in Berlin und London und überall in der westlichen Welt, hat sich durchgesetzt, überall, wo Menschen zu Bier und Cola, Pommes und Currywurst vereint sind. Sie können an allem teilnehmen, mit Großleinwand und Riesenlautsprecher, sie haben jedenfalls das Gefühl einer Teilhabe, das virtuelle Gefühl, dabei zu sein, mitten in der wirklichen Welt. Sie träumen laut und gemeinsam, das haben sich die Diktatoren aller Zeiten gewünscht. Es ist ein perfektes Als-Ob-Gefühl. Sie können schreien, jubeln, grölen über den gelungenen Tiebreak im Londoner Wimbledon-Stadion, mit den deutschen Reitern leiden, die Tore mit Wutgebrüll anzweifeln, die Athleten auspfeifen oder anfeuern – es hört sie ja keiner. Außer dem in Millionenanzahl zugeschalteten Fernsehpublikum, das ebenfalls wie Mondsüchtige oder wie Taubstumme das Gefühl genießt, dabei zu sein und etwas bewirken zu können. Gefühlte Teilhabe. Ein simuliertes Erlebnis, schöne, neue Welt, wie in Zukunftsromanen schon vor rund hundert Jahren von Hans Dominik, Aldous Huxley und Jules Verne vorausgesagt.

Die Bierflaschen sind geleert, die Pommes-Pappteller auch. Die Großen machen weiter. Das Massen-Fernsehen von politischen und sportlichen Ereignissen, Theater- und Opernaufführungen oder eben den Olympischen Spielen hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt, beim Demonstrieren auf Facebook-Kommando wie beim Piraten-Parteitag. Informationsgesellschaft nennt man das. Jeder kann mitmachen. Auch bei der Kultur.

Dieses Jahr hat es wieder die kulturelle Teilhabe gegeben. Nennen wir nur die Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ in Salzburg. Drinnen singt sich die Superdiva, die die Königin der Nacht spielt, die Kehle schmerzhaft für den Zuhörer buchstäblich aus dem Leib. Draußen nehmen Zuschauer vor einer Übertragungsleinwand einen kräftigen Schluck aus der Pulle und beißen herzhaft in die Bratwurst, picken die Pommes gleichmütig vom Pappteller. Mozart mit Majo und Ketchup. Die Opernintendanten passen sich schon lange dem Fritten-Geschmack an. Bei Wagners „Meistersingern“ trat der Hauptheld im stilisierten Rockerkostüm nachvollziehbar radikal wie ein „Empörter“ von der Occupy-Bewegung auf, und schon damals jubelten ihm, als er alles in Klump haute und mit Farbe bekleisterte, die Zuschauer vor der Riesenleinwand zu: „Cool!“ Cool war auch die Mimi in „La Bohème“ in Salzburg, in Minirock, Strumpfhosen und mit tätowiertem Hals – wie eiskalt ist dies Händchen, aber eben auch cool. Die Kamera zeigt die Tätowierung metergroß. Schon der Soziologe Ortega y Gasset beklagt, wie auch Wagner es schon über den Opernbetrieb seiner Zeit geschrieben hatte: „Das ist die Kunst, wie sie jetzt die ganze zivilisierte Welt erfüllt! Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten.“ Unterhaltung. Ablenkung. Brot und Spiele. Es gibt ja keine Alternative.

Auf zur nächsten Riesenleinwand, Kanzlerin! Es gibt auch ein Leben nach der Wahlniederlage von 2013. Ein Gauweiler, wer noch lästige Fragen nach Europas einstiger Macht und Größe stellt. Ein Schelm gibt mehr als er hat. Wahrlich: alles so großtuerisch, so herzlos und leer. Bis die Menschen vor der Großleinwand erwachen und dahin gehen, wohin sie immer wollten. Zur Wirklichkeit. Zum gesunden Menschenverstand.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren