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11.08.12 / Ein Park zur Aufklärung / Das Gartenreich Dessau-Wörlitz sollte den Untertanen von Fürst Franz etwas von der Welt zeigen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Ein Park zur Aufklärung
Das Gartenreich Dessau-Wörlitz sollte den Untertanen von Fürst Franz etwas von der Welt zeigen

Der letzte Ausbruch des Vesuvs bei Neapel fand im Jahr 1944 statt. Der letzte „Ausbruch“ des Vesuvs bei Wörlitz in Sachsen-Anhalt war im Jahr 2010. Anlass war das zehnte Unesco-Welterbe-Jubiläum des Gartenreichs Dessau-Wörlitz. In diesem Monat soll der künstliche Vulkan zum Schauder der Gäste am 24. und 25. August erneut Feuer spucken. Der Grund dieses Mal: Die Region Anhalt begeht dieses Jahr ihre 800-Jahr-Feier.

Um das Gartenreich Dessau-Wörlitz als Ganzes zu erfassen, müsste man es aus der Luft betrachten oder – bequemer – sich im Internet auf virtuellem Weg einen Überblick verschaffen. Zu Fuß ist es mit seinen 142 Quadratkilometern, die sich zwischen der Bauhausstadt Dessau und der Lutherstadt Wittenberg an der mittleren Elbe und unteren Mulde erstrecken, nur in Etappen zu erobern. Als einer der ersten englischen Landschaftsparks Kontinentaleuropas und bedeutendes Zeugnis der Aufklärung entstand das Gartenreich in einem Zeitraum von mehr als 40 Jahren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und umfasst im Wesentlichen das Gebiet des historischen Fürstentums Anhalt-Dessau.

Die Dokumentation über die Fülle seiner Natur- und Kulturdenkmäler füllt die Bibliothek und die Archive auf Schloss Großkühnau, dem Verwaltungssitz der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Archive und Bibliothek gelten übrigens schon lange nicht mehr als Geheimtipp. Alle Schriften sind hier für jedermann einsehbar. Doch aller Kunstfertigkeit seiner Schlösser und ihrer reichen Ausstattung zum Trotz, die größte Attraktion im Gartenreich ist und bleibt sein feuerspeiender Vulkan.

Bereits 21 Jahre bevor Goethe völlig überstürzt und unvorbereitet 1786 von Karlsbad zu seiner ersten Italienreise aufbrach, hatte sich der junge Fürst Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) im Jahr 1765 wohlüberlegt und mit einem Reisemarschall, Georg Heinrich von Berenhorst, im Gefolge zu seiner Bildungsreise nach Italien aufgemacht.

Eine solche Grand Tour gehörte seit der Renaissance zur Ausbildung der Aristokratie, insbesondere der adligen Söhne. Das Kennenlernen von Kultur und Sitten fremder Länder sollte den Horizont erweitern und das Leben auf nützliche Art bereichern. Doch es dürfte nur wenige Fürsten gegeben haben, die zu jener Zeit den Bildungsgedanken derart verinnerlicht hatten wie Fürst Franz, dem es eine Herzensangelegenheit war, auch seine Untertanen an den gewonnenen Eindrücken teilhaben zu lassen.

Fürst Franz’ Reise diente also mitnichten einem Selbstzweck. Bis heute sind seine Reise-Impressionen, nicht nur die seiner Italienreise, sondern auch solche seiner Reisen nach England, auf Schritt und Tritt erlebbar. Dabei war die öffentliche Zugänglichkeit von Gebäuden und Gartenanlagen von Anfang an Bestandteil des pädagogischen Konzepts zur Humanisierung der Gesellschaft, allen voran der 37000 Seelen von Anhalt-Dessau.

In diesem Sinne war die grundlegende „Schulreform an Haupt und Gliedern“, zu welcher Fanz den Pädagogen Johann Bernhard Basedow von Altona nach Desssau berufen hatte, ein weiterer wichtiger Teil seines alle Lebensbereiche umfassenden Reformwerks. Ziel war die Formung eines ideal gebildeten Menschen, der geistige und körperliche Qualitäten vereint. Als pädagogische Musteranstalt wurde in Dessau das Philantropin, die Schule der Menschenfreundlichkeit, gegründet.

Neben dieser Schule für die gehobenen Schichten realisierte Carl Gottfried Neuendorf eine umfassende Landesschulreform, die es sogar Kindern aus ärmeren Schichten ermöglichte, die Universitätsreife zu erreichen. Denn für sie war der Schulbesuch der neugegründeten Hauptschule in Dessau, der einzigen dahin führenden Einrichtung, sogar kostenlos.

Das eindrucks-vollste Unterrichtsmittel in der Abteilung „Bildung durch Anschauung“ ist in diesem ganzen Programm aber zweifellos der sogenannte Wunderfelsen am Ostufer des Wörlitzer Sees, die Felseninsel Stein mit dem einzigen künstlichen Vulkan in ganz Europa. Obwohl ein Bau im Taschenformat, sollte der Stein dennoch bis ins Detail an sein Vorbild erinnern und dabei auch dessen Umgebung am Golf von Neapel mit einbeziehen. So führen durch seinen Fuß dunkle Felsengänge zu romantischen Grotten wie auf Capri, trifft man auf die faszinierenden Tempel des Lichts und der Nacht, erblickt ein Kolumbarium, eine antike Grabkammer, mit vorgeschichtlichen Bestattungsurnen, die bei der Anlage des Parks gefunden wurden, und ein antikes Theater.

Seit diesem Jahr ist nicht nur der Skulpturenschmuck im Grottenbereich der Insel Stein wieder komplett. Auch die drei eleganten Räume der Villa Hamilton, die sich ebenfalls noch auf dem winzigen Eiland befindet, können nach abgeschlossener Restaurierung erstmalig wieder vollständig besichtigt werden. Der kleine klassizistische Bau ist ein reizendes Freundschaftsmonument für den englischen Gesandten Sir William Hamilton, den Fürst Franz während seiner Grand Tour in Neapel in dessen Villa Emma besucht hatte.

Gemeinsam waren sie am 28. Februar 1766 auf den Vesuv gestiegen. Als leidenschaftlicher Antikensammler und Geologe soll Hamilton unbestätigten Berichten zufolge insgesamt 140 Exkursionen zu dem Vulkan unternommen haben. Für die Reisegesellschaft des Fürsten war die einmalige Besteigung aufregend genug. Fürst Franz hatte den Vesuv rauchend und feuerspeiend erlebt. Ein unvergessliches Erlebnis! Um dessen gesamte Aktivitäten zu Hause darzustellen, besitzt die Wörlitzer Kopie sogar einen Wasserfall, der sich angestrahlt wie glühende Lava in den Wörlitzer See ergießt. Helga Schnehagen


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