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11.08.12 / Liebstöckel, Marienblatt & Co. / Kleine ostpreußische Kräuterkunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Liebstöckel, Marienblatt & Co.
Kleine ostpreußische Kräuterkunde

Der „Lippstock“ geistert noch immer durch unsere Familie, obgleich wir ja nun die Gewissheit haben, dass es sich um den „Liebstöckel“ handelt, der unseren Gemüsesuppen Würze gibt. Dass es aber für viele weitere Anwendungsmöglichkeiten gut ist, wie eine aufmerksame Leserin feststellte, hat doch überrascht. Unseren Landsmann Peter Perrey ließ diese kleine „Liebstockgeschichte“, die wir in Folge 29 brachten, nicht ruhen, denn wenn Frau Hanna Hoefer die Erklärungen in einem „Schleswig-Holsteinischen Wörterbuch“ gefunden hat, dann sollten sie wohl auch im „Preußischen Wörterbuch“ enthalten sein, folgerte Herr Perrey – und wurde fündig. Er fand den „Lippstock“ in Band III, Spalte 040, und entschlüsselte gleich die im Wörterbuch benutzten Kürzel: „Liebstock, maskulin, Pflanzenname Liebstöckel (Levisticum officinale Koch) Mennoniten-Niederdeutsch“. Herr Perrey meint dazu, dass wir anhand des literarischen Belegs der Autorin Kathrina Botsky – in einer ihrer Novellen war dieser Ausdruck enthalten, der zur Nachfrage führte – sehen können, dass dieses Bezeichnung nicht auf das Mennoniten-Niederdeutsch des Weichselgebietes beschränkt blieb. Es war somit belegbar auch nach Königsberg gekommen und hat sich auch auf andere niederdeutsche Gebiete ausgeweitet, wie ja das „Schleswig-Holsteinische Wörterbuch“ beweist. Ausgesprochen wird Lippstock mit kurzem „i“ beziehungsweise „e“ und mit folgendem „b“. Dies und noch mehr teilte uns Herr Perrey mit – aber nun ist genug geliebstöckelt, lassen wir das Kraut in der Suppe.

Denn noch andere Gewächse beschäftigen unsere Leserinnen und Leser wie „das Kraut, das ins Gesangbuch gelegt wurde“. Da brauche ich unsere Ostpreußische Familie nicht zu bemühen, denn darüber habe ich schon geschrieben, und ein Blättchen von vielen, die ich aus unserem Familienkreis erhielt, habe ich treu bewahrt. Es handelt sich um das Marienkraut, das „Marjeblattche“, das in jedem ostpreußischen Bauerngarten an einer warmen, sonnigen Stelle wuchs, wo sich in der Pflanze die ätherischen Öle bilden konnten. Diese belebten dann die Kirchgängerinnen, wenn der Herr Pfarrer allzu langatmig predigte, und die von einer harten Arbeitswoche müden Frauen einzunicken drohten. Dann wurde schnell am Marjeblattje geschnüffelt – und man war wieder munter. Der scharfe Geruch des getrockneten Blattes ist viel intensiver als der Duft der frischen Pflanze, eine Mischung aus Menthol, Melisse und Salbei. Nicht umsonst wird das Marienblatt auch „Balsamkraut“ (Tanacetum balsamita) genannt und ist eine kleine Hausapotheke für sich. Es soll gegen Kopfschmerzen, Leberbeschwerden und Milzstechen helfen, frische zerriebene Blätter werden auf kleine Wunden und Schwellungen gelegt, auch bei Insektenstichen soll es wirken. Und wenn das Marjeblattche auch in den Wäscheschränken vieler Haushalte zu finden war, so hat das sogar königliche Tradition: Schon die englische Königin Elisabeth I. ließ das Marienkraut in die Schränke legen und sogar den Fußboden bestreuen als aromatisierendes und desinfizierendes Mittel. Aber dazu hatten wir ja tohuus den Kalmus!

Und worunter steht das „Co.“? Eine Leserin verhalf zu diesem dritten Gewächs im Titel, denn sie erinnerte sich an die kleinen „Korinthen“, die sie als Kind gegessen hat und die von einem Baum aus dem elterlichen Garten stammten. Sie schmeckten tatsächlich fast wie „echte“ Korinthen, die kleinen dunklen Rosinen, und wurden auch so verwendet, gaben dem Napfkuchen oder Striezel die besondere Note. Und nicht nur Mus und Marmelade aus den „Krinnten“ schmeckten gut, sie machten auch Flinsen süßer und leckerer. Die dunklen Beeren gaben dem Baum, auf dem sie wuchsen, den nur in Ostpreußen gebräuchlichen Namen: Korinthenbaum. Es handelt sich um die Felsenbirne, auch Felsenmispel genannt. Im Frühling ein weißer Blütentraum leuchtete ihr Laub im Herbst blutrot. Die Felsenbirne gibt es auch hier und heute, sie wächst vor allem in Anlagen und Parks, aber kaum jemand beachtet die blauschwarzen Beeren – nur die Vögel, die wissen, was schmeckt. Diese Art (Amlanchier lamarckii) wurde nach dem Krieg vermehrt als schnellwüchsiger Strauch angepflanzt. Als Baum kann die Felsenbirne sehr alt werden. Manche Königsberger erinnern sich noch an das Lokal „Zum Korinthenbaum“ an der Lawsker Allee/Ecke Alte Pillauer Landstraße, das nach einem stattlichen Exemplar der „Canadischen Felsenbirne“ (Amelanchier canadensis) benannt wurde. Wie stark der Korinthenbaum mit Ostpreußen verbunden war, beweist das Lied „Es dunkelt schon in der Heide“, in dem ein Baum „in meines Vaters Garten Braunnägelein trägt“. Einer Lesart nach soll es sich um die „Korinthen“ der Felsenbirne handeln. Aber da lasse ich mich gerne belehren. R.G.


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