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11.08.12 / Unübersichtlich / Autor erstellt Listen zur Vertreibungsliteratur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Unübersichtlich
Autor erstellt Listen zur Vertreibungsliteratur

Für den Laien nur schwer überschaubar ist die Literatur zu dem riesigen Themenfeld „Flucht und Vertreibung“. Mathias Beer vom Tübinger Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Leiter des Forschungsbereichs Zeitgeschichte, hat eine wissenschaftlich fundierte Übersichtsdarstellung mit dem Titel „Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen“ vorgelegt. Knapp gefasst und prägnant schildert der in Hermannstadt geborene Historiker die wichtigsten Fakten und Hintergründe nach dem neuesten Stand der Forschung, ohne jedoch immer auf die verschiedenen politisch-motivierten Interpretationen der Ereignisse einzugehen. Auf 200 Seiten findet man außer 160 Seiten reinen Text ein inhaltlich gegliedertes Literaturverzeichnis, Statistik und Karten, die den Blick auf die großräumigen Abläufe eröffnen.

Die Chiffre „Flucht und Vertreibung“ versteht Beer inhaltlich als einen Prozess von fünf Phasen. Damit sind Vorgänge und Auswirkungen von erheblicher geografischer und zeitlicher Spannweite umfasst. Wesentliche Ursache war die „ganz Europa überziehende, rassistischen Überzeugungen verpflichtete nationalsozialistische Eroberungs-, Besatzungs- und Vernichtungspolitik“, eine Entfesselung der seit Ende des 19. Jahrhunderts in der europäischen Politik praktizierten Aus- und Umsiedlungen als Instrumentarium zur Lösung angeblicher Minderheitenprobleme. Das Flüchtlingsproblem in den beiden verbliebenen deutschen Staaten führte zu Konflikten zwischen Alt- und Neubürgern, was wiederum anhand von Zeitzeugenberichten belegt wird. Bei Entwick-lung und Wiederaufbau leisteten die Vertriebenen in den beiden deutschen Staaten als „Neubürger“ und „Umsiedler“ – so die offizielle Bezeichnung in der DDR – einen wesentlichen Beitrag. Parallel dazu schwanden mit der Zeit die Rück-kehrwünsche, besonders bei der jüngeren Vertriebenengeneration.

Im letzten Kapitel ist von „‚Flucht und Vertreibung‘ als Erinnerungsort“ die Rede. Anhand von vier parteipolitischen Debatten im Bundestag zwischen 1949 bis 2002 wird der Wandel in der bundesdeutschen Erinnerungskultur deutlich. Er ist der Auffassung, dass die Politiker als Repräsentanten ihrer Parteien nicht primär an der Geschichte dieses historischen Phänomens interessiert seien, „sondern daran, den ‚Komplex Vertreibung‘ als Argument in der politischen Auseinandersetzung einzusetzen“. Zum Zankapfel avancierte das von der rot-grünen Regierungskoalition 2002 beantragte „Europäische Zentrum gegen Vertreibung“. Der Dialog mit den ostmitteleuropäischen Staaten führte, trotz des aufgelösten Ost-West-Konflikts, nicht zur Gründung eines solchen Zentrums, da es nicht nur eine deutsche, sondern auch eine ostmitteleuropäische Streitgeschichte über „Flucht und Vertreibung“ gab, gibt und wohl auch in Zukunft geben wird, so der Autor. Stattdessen kam es am 30. Dezember 2008 mit Konsens fast aller im Bundestag vertretenen Parteien zur Errichtung der Stiftung „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Dagmar Jestrzemski

Mathias Beer: „Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen“, Verlag C. H. Beck, München 2011, broschiert, 205 Seiten, 12,95 Euro


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