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25.08.12 / Adebar geht auf die große Reise / Der Storchenzugtag im ostpreußischen Kalender

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-12 vom 25. August 2012

Adebar geht auf die große Reise
Der Storchenzugtag im ostpreußischen Kalender

Wenn meine Mutter das alte Kalenderblatt abriss und als Datum der 24. August erschien, pflegte sie zu sagen: „Heute ist Storchenzugtag“! Sie hatte dieses Datum nie vergessen, obgleich sie schon jahrzehntelang in der Großstadt lebte und weit und breit kein Storchennest auf den Dächern der Mietshäuser zu sehen war. So eingeprägt hatte sich der Tag, an dem der Adebar gemäß einer „eingebauten Zeituhr“ das heimatliche Nest verließ, um sich mit seinen Artgenossen zum Abflug auf einer Wiese zu treffen und dann nach Süden zu ziehen, 10000 Kilometer weit bis ins ferne Afrika. Unvorstellbar für ein ostpreußisches Landkind, das mit den Fingern auf der Karte im Schulatlas reisen musste und dies mit großem Lerneifer tat. Deshalb konnte sich auch die Schriftstellerin Toni Schawaller im späten Alter noch an den Tag erinnern, an dem sie diese wunderbare Storchenversammlung erlebte. „Sie fand auf der großen Wiese am Spukberg statt. Vom Dorf her schwenkte eine ganze Schar Störche auf die Wiese ein, die von Gestrüpp und uralten Bäumen umgeben war. Stolz schritten die Storchenväter auf und ab, warfen die Köpfe nach hinten und klapperten mit den Schnäbeln. In ihrer Mitte standen erwartungsvoll die jungen Störche. Immer aufgeregter klapperten die Alten und mit einem Mal erhob sich eine ganze Schar Jungstörche zum Flug, stieg höher und höher in die klare Luft. Einige fingen an zu taumeln und landeten wieder auf der Wiese. Aufgeregt liefen die Altstörche hin und her und teilten Schnabelhiebe aus. Wieder mussten die Jungen aufsteigen, und beifälliges Klappern belohnte die Tüchtigen. Die Storchenmütter standen abseits und mischten sich nur dann mit Geklapper ein, wenn ein Storchenvater seinen flugfaulen Sprössling mit allzu harten Schnabelhieben bestrafte.“

So die Erinnerungen von Toni Schawaller an diesen Augusttag, auf dem schon ein leicht wehmütiger Hauch lag, denn mit dem Abflug der Störche ließ auch der Sommer seinen baldigen Abschied erahnen. Wie es Agnes Miegel in ihrem Gedicht „Spätsommer“ so einfühlsam in Worte fasst: „Ich gehe still entlang das Stoppelfeld, die Grillen singen und die wilden Bienen. Spätsommerglut vergoldet meine Welt, und stark und süßlich duften die Lupinen. Das Storchennest am nahen Nachbarhaus steht leer und ledig schon seit gestern Morgen …“ Ja, auf einmal war die Stille spürbar, kein Adebar weckte mit seinem Geklapper am frühen Morgen die Leute im Dorf, in dem es auf fast jedem Scheunendach ein Storchennest gab. Ostpreußen mit seinen weiten Feuchtgebieten war das ideale Storchenland und konnte das mit Zahlen beweisen: Die letzte Zählung im Jahr 1934 ergab 18270 Storchenpaare, das war weit über die Hälfte aller Storchenpaare im damaligen deutschen Reichsgebiet. Kein Wunder, dass es auch zum Kernland der Storchenforschung wurde, genauer: der Erforschung des Vogelzugs, für die der Weißstorch das ideale Versuchstier war. Das erkannte der Gründer der Vogelwarte Rossitten, Professor Dr. Johannes Thienemann, der seine ersten Forschungsobjekte sozusagen vor der Haustür seines Königsberger Domizils im stadtnahen Seligenfeld fand, einem der storchenreichsten Dörfer überhaupt, in dem es allein auf einem Scheunendach fünf Storchennester gab und selbst der Staffelgiebel des Kirchturms mit mehreren Nestern besetzt war. Dort fanden die ersten Beringungsversuche statt, die dann zum weltweit anerkannten Erfolg der Forschungsarbeit der Vogelwarte Rossitten und ihres Leiters führten. Ich hatte als Heranwachsende das Glück, von dem „Vogelprofessor“ selber durch die Räume seiner Vogelwarte geführt zu werden, die Eindrücke wurden noch durch spätere Begegnungen vertieft. In einem so langen Leben in und für Ostpreußen gibt es eben immer Fixpunkte, an denen sich die Erinnerung festhaken kann, wenn ein bestimmtes Thema angesprochen wird. Das betrifft auch die Zeichnung „Ziehende Störche“, die wir heute bringen. Sie stammt von Prof. Walther Klemm, Weimar, und ist Teil einer Mappe mit zwölf Federzeichnungen, die zwei Archivarinnen in dem Nachlass des 1957 verstorbenen Künstlers entdeckt hatten. Da auf dem Umschlag mein Name verzeichnet ist, waren sie froh, mich zu finden – und ich bin es nicht minder, denn es handelt sich um die Illustrationen zu einem Buch, das ich als 27-Jährige schrieb und das bereits in Leipzig in Druck stand. Durch Bombenangriffe wurde alles vernichtet, mein Urmanuskript verbrannte in Königsberg, nichts blieb mehr übrig als diese erst jetzt in Weimar entdeckten Zeichnungen. Sie werden in keinem Buch mehr erscheinen, aber wenigstens kann ich heute unserer Ostpreußischen Familie diese Originalzeichnung von Prof. Wal­ther Klemm beisteuern. Als Symbol für unsere Heimatliebe, denn den „Oadeboars“ blieb ja die Heimat, sie sind ihrem Nest sogar treuer als ihrem Brutpartner, wie die Forscher feststellten. So kehren sie ungeachtet aller irdischen Grenzen in jedem Jahr zu ihrem Nest zurück. Und das werden sie auch am 25. März 2013 tun – denn dann ist wieder Storchenzugtag, aber diesmal in Richtung Heimat. R.G.


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