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08.09.12 / Fakten geschönt und bemäntelt / Berlin stellt »Kriminalitätsaltas« vor: Wie man die Wahrheit hinter Zahlenbergen versteckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

Fakten geschönt und bemäntelt
Berlin stellt »Kriminalitätsaltas« vor: Wie man die Wahrheit hinter Zahlenbergen versteckt

Eine neue Statistik soll Verbrechensgefahren für den Einzelnen kleinrechnen – Tabus und bunte Balken statt Klartext.

Ein völlig neuer Kriminalitätsatlas für Berlin verwirrt mehr, als dass er aufklärt. Das Papier enthält einigen Sprengstoff: Einbrüche nehmen wegen reisender Banden stark zu. In bestimmten Kiezen ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Raub und Gewalt zu werden, hoch. Was der Bericht versteckt: Von den immer jünger werdenden Tätern haben 68,4 Prozent einen Immigrationshintergrund, die Zahl linker Straftaten einschließlich Gewalt ist hoch, auch die Gewalt gegen die Polizei alarmiert. Doch das Schönreden durch die Politik bleibt Programm.

„Kriminalitätsbelastung in öffentlichen Räumen (Kriminalitätsatlas) Berlin 2011“, so der Titel des erstmals von Berlins Polizeipräsidentin vorgestellten Werks mit absoluten Zahlen und prozentualen Entwicklungen zu 17 Arten von Straftaten. Der Atlas macht Aussagen zu Raub, Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Diebstahl, Brandstiftung, Sachbeschädigung und Drogendelikten für die Jahre 2006 bis 2011, die für den Zeitraum speziell aufbereitet wurden, sodass „Aussagen über regionale Schwerpunkte beziehungsweise auffällige Entwicklungen enthalten“ sind, wie das Vorwort verheißt, außerdem Empfehlungen.

Gegenmaßnahmen der Polizei stellt der Atlas ebenso vor und führt so Statistik und politische Reaktionen zusammen. Wer aber auf nachvollziehbare Strategien hofft, wird rasch enttäuscht: Eine Bewertung nach gleichen Kriterien für jeden Ortsteil lehnen die Macher als „nicht mehr zu rechtfertigenden Arbeitsaufwand“ ab. Das liegt vor allem an der regelrechten Besessenheit des Atlas von Häufigkeitszahlen. Das Werk soll nämlich eine Art Gefahrenatlas für den Bürger sein. Diese sogenannten Kennzahlen geben Bürgern vermeintlich Anhaltspunkte, wie groß oder besser gering das Risiko ist, an einem bestimmten Ort Opfer zu werden.

Auch „kiezbezogenen Straftaten“ widmet der Atlas viel Raum. Doch Politik und Polizeiführung ruderten zur Premiere der mithilfe der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik erhobenen Werte gleich zurück. Die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers: „Es gibt in Berlin keine No-go-Areas!“ – will heißen, Polizei und Politik haben alles unter Kontrolle, keine Gegend ist zu meiden.

Auffällig ist aber laut Bericht, „dass einige Ortsteile über die Jahre und zu unterschiedlichen Delikten immer wieder zu den Ortsteilen mit der höchsten Häufigkeitszahl zählen“. Spandau, Tiergarten und Mitte sind im Vergleich zur Einwohnerzahl am stärksten belastet. Die Kieze Wedding und Neukölln, soziale wie ethnische Brennpunkte, sind demnach am zweitstärksten betroffen. „Raub ist ein jugendtypisches Delikt und Neukölln einer der Ortsteile mit dem geringsten Durchschnittsalter der Einwohner“, heißt es zum dortigen Raub und Straßenraub lapidar. Das Papier verklappt „Raubtaten zulasten von Geschäften“ im Nebensatz. Wo keine Einkaufszentren sind, fehlten eben die Ladendiebe, so die allgemeine Schlussfolgerung zu „Einzelhandelsstrukturen“.

Nicht nur Geschäftsleuten könnte das wie Hohn vorkommen: Zu den grassierenden Brandstiftungen in der Stadt schreiben die Autoren des Atlas: „Die gemäß der Höhe der Fallzahlen unbedeutendste der 15 betrachteten Deliktgruppen stellt die Brandstiftung dar. Die gut 1300 Fälle machen nur 0,3 Prozent der Straftaten insgesamt aus.“ Im Gegenzug mengt der Atlas für den Bürger wenig bedrohungsrelevante häusliche Gewalt und Verwahrlosung den Kieztaten unter, trotzdem gilt: „40 Prozent der kiezbezogenen Straftaten sind Körperverletzungen.“

Schwer nach Betriebsblindheit klingen auch Satzverbindungen wie: „In Neukölln und Gesundbrunnen geht ein junges Durchschnittsalter der Wohnbevölkerung auch mit einem hohen Migrantenanteil einher, der sich aus der positiven kulturellen Durchmischung der Bevölkerung Berlins ergibt. Der Anteil von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund an allen Tatverdächtigen unter 21 Jahren liegt zum Raub bei 68,4 Prozent“ – 68,4 Prozent Anteil bei den Raubdelikten als Ausfluss einer „positiven kulturellen Durchmischung“.

Die empfohlenen Gegenmaßnahmen erschöpfen sich in „Kräftesteuerung“ und „Lageauswertung“, man zählt „konfliktmindernde Maßnahmen“ im Mauerpark auf und den „Präventionsansatz Zivilcourage“. Für 14-jährige Erstdrogenkonsumenten empfiehlt der Atlas aufklärende Faltblätter.

Verbrechensschwerpunkte begründet die Studie unter anderem mit Tourismus und Großveranstaltungen. Lokal teils deutlich überhöhte Werte für Wohnungseinbruch oder Taschendiebstahl werden ebenfalls als Folge des Tourismus bemäntelt. Dabei haben Einbrüche deutlich mehr zugenommen als der Fremdenverkehr. Soll hier von hausgemachten Verwerfungen abgelenkt werden?

Der zunehmende Diebstahl treibt die Gesamtzahlen besonders nach oben. Gut 213000 Fälle 2011 und damit rund 43 Prozent aller Straftaten macht dieser Bereich aus – fünf Jahre zuvor trug Diebstahl nur zu gut 37 Prozent des Gesamttataufkommens bei. Verrohung und schwindender Respekt vor Staat und Gesetz treten auch bei der massiven Gewalt gegen Polizisten zutage. In der Studie bleibt dies jedoch unerwähnt, ebenso die Gefahren aus politischer Gewalt: 397 politische Gewalttaten sind laut Polizeistatistik auf linksextreme Täter zurückzuführen, 61 auf rechtsextreme.       Sverre Gutschmidt


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