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08.09.12 / Bewunderung für ostpreußische Gutsherren / Ein junger Lehrvikar zu Besuch bei den »Großagrariern« − Gutshäuser als Zentren theologischer Bildung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

Bewunderung für ostpreußische Gutsherren
Ein junger Lehrvikar zu Besuch bei den »Großagrariern« − Gutshäuser als Zentren theologischer Bildung

Vergilbt ist der mit „Ostpreußische Gutsherren“überschriebene Auschnitt der Publikation „Brücke zur Heimat“, deren Erscheinungsdatum nicht bekannt ist. Autor Harry Goronzy beschreibt darin seine Begegnung mit ostpreußischen Gutsherren, darunter die mit der Großmutter des Alt-Sprechers Wilhelm v. Gottberg.

Als ich heute im Ostpreußenblatt die Tagebuchaufzeichnungen des Herrn von Sanden las, die er in den letzten Wochen niedergeschrieben hat, ehe die Walze der Zerstörung über unsere ostpreußische Heimat hinging, da standen sie mit einem Male vor mir, jene Gutsherren meiner Heimat, die mir begegnet sind, und ich dachte, man müsste einmal von ihnen und der Welt, in der sie lebten, erzählen. Es ist eine versunkene Welt, von der ich berichte, und sie wird so, wie sie war, nicht mehr wiederkehren. Aber es wäre ein tiefer Schade, wenn zu ihrem äußeren Verlust nun noch das völlige Vergessen träte.

„Großagrarier“ wurden sie genannt, diese Herren auf ihren großen Gütern, und wer sie nicht oder nur von außen kannte, mochte sie mit diesem Namen schmähen wollen. Natürlich, es war nicht alles Gold, was glänzte, und auch auf sie konnte die ostpreußische Redeweise Anwendung finden: „Es gibt so’ne und so’ne und Pillkaller!“ Sie waren nicht alle fromm und gottesfürchtig; mancher mochte „Schulden haben wie ein Major“, nicht jeder war von jener altväterlich anmutenden Fürsorge für seine „Leute“ erfüllt, und dieser und jener mochte fälschlich konservativ nennen, was in Wahrheit unfruchtbar gewordener Rückschritt war. Aber was bedeutete das für den, der sie nun kennenlernte und unter ihnen wunderbaren Gestalten begegnete, die man nicht vergessen sollte!

Als ich vor über zwanzig Jahren als junger Lehrvikar in den durchaus großargraischen Kreis Mohrungen kam, gehörte der Antrittsbesuch auf den großen Gütern der Gemeinde noch zu den selbstverständlichsten Gepflogenheiten, wie es auch selbstverständlich war, dass man dann im Winter zu den reihum stattfindenden Einladungen gebeten wurde. Da hielt dann die geschlossene Kutsche, die uns abholte, vor der Tür. Welch ein Gespann mochte man deuten, aber was ein Wunder, wenn doch unser Gastgeber ein kleines Privatgestüt von 50 Pferden hatte. Dann fuhren wir über den riesigen Hof, dort vor dem Dorf war das Herrenhaus, jetzt noch eine elegante Biegung, und wir – ja, wir „donnerten auf die Rampe“, denn so gehörte es sich. Da war die Freitreppe, und dort an der breiten Tür stand wahrhaftig der zweite Kutscher mit einem Windlicht. Das gab es also wirklich und nicht nur in den Romanen aus der „guten, alten Zeit“.

Wir treten in die Halle, dort der riesige Erntekranz, Bilder und Geweihe, und eine breite, sich nach oben schwingende Treppe. Dann die kleine Feierlichkeit der Begrüßung, man steht ein wenig herum und begrüßt die anderen Gäste: man hat inzwischen erfahren, wen zu Tisch zu führen man gebeten wurde, und schließlich der ein wenig feierliche Zug in den Speisesaal. Natürlich betet der Herr Superintendent zu Tisch und nun sitzen wir an der langen Tafel, nach einer geheimen Rangordnung gesetzt. Da ist das alte Tafelsilber, wirklich alte Erbstücke, denn hier ist nichts neu, es wäre nur verdächtig. Dann die kleine Zeremonie, wie der Hausherr mit der Geflügelschere hantiert, eine kleine Tischrede steigt, ein Glas auf die Damen und als wir uns dann von der Tafel erheben, da küssten nicht nur die jungen Herren der Hausfrau die Hand, während die jungen Damen einen Knicks machten. Nur der Herr Superintendent ist vom Handkuss befreit, das lässt sein Amt nicht zu, wiewohl er es am Vollendesten könnte, denn er ist auch einmal jung gewesen. Nur zu Haus an seinem eigenen Tisch beobachte ich täglich wie reizend er sich nach dem Essen mit einem Handkuss bei seiner Frau „für das schöne Mittagessen“ bedankt.

Versteht ihr, dass man das nicht nachmachen kann? Dazu gehört lange Überlieferung, das muss man im Blut tragen, man muss bis zum Horizont über sein eigenes Feld sehen können, man muss Reiter sein und von Pferden mehr verstehen als von den „vertrackten Autos“, wiewohl man selbstverständlich drüben auf dem Hof einen ganzen Park von Motoren und Maschinen besitzt. Wird man es nicht falsch verstehen, wenn ich sage, dass wir mit dem Versinken dieser Welt etwas verloren haben, was ein Volk ohne Schaden zu nehmen, nicht verlieren darf, nämlich das, was man „Herren“ nennt? Begreifen wir, was eine bewusste Zerstörung aller Tradition für ein Volk bedeutet? Wie da die Einebnung alles Menschentums einsetzt, die den Menschen zum Gegenstand für die dunklen Pläne unbekannter Mächte macht? Aber ich will ja von diesen Herren erzählen. Unvergesslich stehen mir jene Gestalten vor Augen, die ihr Herrentum nur in einem abgeleiteten Sinne verstanden, weil sie über sich „Gott, den Herrn“ wussten. Ich weiß noch wie heute, wie es mich berührte, als ich zum ersten Male die große Halle des Herrenhauses in Gergehenen betrat. Es war wie überall, aber dort an der Wand stand unübersehbar für den Besucher geschrieben: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“ Mochte die Welt untergehen, aber würde sie nicht ewig stehen, diese unerschüttert stehende Welt? Aber da stand dieses Wort an der Wand, und es war mir wie ein Sinnbild für die Haushalterschaft, in der sich viele dieser Herren selbst mit ihren großen Besitztümern verstanden. Es gab nicht wenige, die wussten, dass sie nichts in die Welt gebracht hatten und auch nichts hinausnehmen würden. Was waren das nur für Leute, die so dachten? Da öffnete dieser Herr sein großes Haus der Berliner Missionsgesellschaft und lud alle seine Nachbarn dazu ein, bewirtete sie tagelang und ließ sie in den Vorträgen an der Weltweite der Mission teilnehmen, und man konnte sicher sein, dass diese Vorträge oft mehr Horizont hatten als alle Berichte des Auswärtigen Amtes. Dann stand ich mit ihm an der Flügeltür des Speisesaals und den Sammeltellern. „Schönen Dank, Nachbar“, hörte ich ihn sagen, während sie ihre Scheine gaben. Und dann entschuldigte er sich: „Mein Vetter X kann noch nicht geben!“, weil er nach seiner Meinung etwas knauserig gewesen war.

Die alte Frau von Gottberg machte es wieder anders. Sie lud einen Theologieprofessor von Königsberg in ihr Haus und die Nachbarn dazu, und nun hörten sie Vorträge über den neuesten Stand der theologischen Forschung, und es war nicht nur Anteilnahme geistig bewegter Menschen, sondern hier ging es um letzte Dinge. Als ich sie anlässlich einer Volksmission, die ich in ihrer Gemeinde hielt, besuchte, nahm sie mich – ich muss schon sagen – regelrecht ins Verhör. Aber was wusste sie auch alles, und was war sie nur für eine wunderbare Frau! Ehe ich ging, schloss sie die Tür, durch die ich wie zu einer großen Dame geführt worden war, und dann kniete diese alte weißhaarige Frau mit mir nieder und betete. Ich werde dieses Gebet nie in meinem Leben vergessen! Versteht ihr, dass die Gutsleute für ihre „Gnädige“ durchs Feuer gingen? Die Frauen schworen auf sie, weil sie sie in ihrer schweren Stunde nicht im Stich gelassen hatte, die Mädchen beichteten bei ihr, und die Männer hatten ganz einfach Achtung. – Ihr Sohn wohnte nur zwei Kilometer entfernt auf einem benachbarten Gut. Ich habe einmal in einem Winter eine Woche lang bei ihm gewohnt. Wisst ihr, wie das ist, aus dem Fenster auf einen verschneiten Park sehen zu können? Ich brauche nur die Augen zu schließen und erlebe noch einmal, wie die Dämmerung über diesen verschneiten Park mit seinen alten Bäumen sich senkt. Da kommt das Rehwild zur aufgestellten Raufe, und ein tiefer Friede liegt über dem allen. Um mich, schöne, alte Möbel und die Wärme eines Kachelofens.


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