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15.09.12 / Vertreter des Inneren Widerstands / Am 16. September vor 120 Jahren wurde der Schriftsteller Werner Bergengruen in Riga geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-12 vom 15. September 2012

Vertreter des Inneren Widerstands
Am 16. September vor 120 Jahren wurde der Schriftsteller Werner Bergengruen in Riga geboren

Noch bis weit über die Nachkriegsjahre hinaus gehörte Werner Bergengruens dichterisches Werk zum Literaturkanon und war Pflichtlektüre an deutschen Gymnasien. Besonders sein in viele Sprachen der Welt übersetzter Roman „Der Großtyrann und das Gericht“, aber auch verschiedene Novellen vermögen dem Leser wichtige Einsichten und Anregungen zu vermitteln, indem sie allgemein-menschliche Probleme und Gefährdungen aufdecken und zugleich Haltungen und Einstellungen anbieten, die in ihrer Orientierung an einem christlich-humanistischen Menschenbild so­wohl für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft von bleibender Bedeutung sind.

Der Sohn eines aus dem baltischen Riga stammenden Arztes war im März 1937 wegen seiner Ehe mit der „Halbjüdin“ Charlotte Hensel aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden. In der Begründung hieß es: „Da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten.“

Zwei Jahre zuvor war sein Hauptwerk „Der Großtyrann und das Gericht“ erschienen. Inhalt und Intention der Buches stellt der Autor in der Präambel vor: „Es ist“, schreibt er, „in diesem Buch zu berichten von den Versuchungen der Mächtigen und von der Leichtver­führ­barkeit der Unmäch­tigen und Bedrohten. Es ist zu berichten von unterschiedlichen Geschehnissen in der Stadt Cassano, nämlich von der Tötung eines und von der Schuld aller Menschen. Und es soll davon auf eine solche Art berichtet werden, dass unser Glaube an die menschliche Vollkommenheit eine Einbuße erfahre. Vielleicht, dass an seine Stelle ein Glaube an des Menschen Unvollkommenheit tritt; denn in nichts anderem kann ja unsere Vollkommenheit bestehen als in eben diesem Glauben.“

Darüber hinaus stellt der Roman, der in einer Millionenauflage erschien, aber auch ein Bekenntnis gegen den Totalitarismus dar: Kein Staat und kein Herrscher hat einen Totalanspruch auf den Menschen, sondern es macht die Würde und den Adel des Menschen aus, dass er nicht „auf die Stufe eines wohlgezogenen Haustieres oder gar eines Werkzeugs gesetzt“ ist, und „dass er in Entscheidungen und Kämpfe des Gewissens gestellt wird“. Und dass „alles menschliche Rechts- und Staatswesen es mit dem Bedingten zu tun hat, während dem Unbedingten ein Raum einzig in der Frömmigkeit zugewiesen worden ist“.

Durch diese Intentionen und Postulate kommt Bergengruens Werk eine allgemeingültige Bedeutung zu, auch was das Menschenbild und die Ansprüche der Staaten und Staatsgemeinschaften des 21. Jahrhunderts betrifft.

Während des Dritten Reiches gewann der Roman, wenngleich bereits vor Hitlers Machtantritt konzipiert, eine ganz besondere tagespolitische Aktualität und Brisanz.

Der Germanist Benno von Wiese (damals ein NSDAP-Mitglied) schrieb über die Wirkung, die der „Großtyrann und das Gericht“ seinerzeit auf die Leser ausübte: „Die meisten Leser von damals verstanden das von Bergengruen beschriebene ‚Klima‘, in dem die vor die Versuchung gestellten Figuren des Romans leben mussten, dieses Klima versuchter und dann doch erreichter ‚Gleichschaltung‘. Der Appell an das eigene Gewissen blieb für viele der mehr oder weniger Mitverstrickten nicht ohne Wirkung. Die Herrschenden konnte Bergengruen in seinem Roman nicht erreichen. Aber er erreichte die Ohnmächtigen, die Unsicheren, die der Lüge Preisgegebenen; er weckte die Instinkte des inneren Widerstandes; er zerstörte Illusionen; er bekämpfte den Hitler in uns selbst, und das bedeutete zu dieser Zeit schon sehr, sehr viel.“

Auch wenn Bergengruen aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden war − womit ein Schreibverbot einherging −, konnte er auf Grund einer Sondergenehmigung in der Hanseatischen Verlagsanstalt weiterhin publizieren. Das galt auch für den im Kriegsjahr 1941 erschienenen (und ein Jahr später verbotenen) Roman „Am Himmel wie auf Erden“. In ihm erwartet die Bevölkerung von Berlin und Cölln 1524 eine von dem Hofastrologen Carion für den St. Heinrichstag vorhergesagte Flutkatastrophe. Die Prophezeiung löst in der Bevölkerung Panik aus. Rechtlosigkeit und nackter Egoismus breiten sich aus. Bis es am Ende dem Kurfürsten gemeinsam mit anderen nüchternen Männern gelingt, dem Unglück verantwortungsvoll und entschlossen zu begegnen. Einem Unglück, welches im übrigen weit glimpflicher ausgeht, als es vorher allgemein befürchtet worden war.

Bergengruen hatte seinen Roman bewusst unter das biblische Motto „Fürchtet euch nicht!“ gestellt. Er wollte aufzeigen, dass die Welt und des Menschen Geschick immer noch − selbst bei Entfesselung dunkler, gottfeindlicher Kräfte und Mächte − in Gottes Hand liegen und nicht einem blinden Schick­sal ausgeliefert sind. Anstatt sich in Furchtsamkeit zu verzehren, gelte es, sich unbeirrt Gott anzuvertrauen und in der Verantwortung vor ihm das Leben zu gestalten.

Werner Bergengruen hatte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz niedergelassen. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück. Am 4. September 1964 starb er in Baden-Baden an einer schweren Erkrankung. Matthias Hilbert


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