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15.09.12 / Freie Fahrt für nicht zollfreie Waren / Am 1. Januar 2013 kann Hamburg seinen »Mauerfall« feiern, dann wird der Grenzzaun des Freihafens zerschnitten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-12 vom 15. September 2012

Freie Fahrt für nicht zollfreie Waren
Am 1. Januar 2013 kann Hamburg seinen »Mauerfall« feiern, dann wird der Grenzzaun des Freihafens zerschnitten

Nur noch drei Monate. Dann ist Schluss mit einer Geschichte, die ihren Ursprung in Preußen hatte. Das zollfreie Hamburger Staatsgebiet war der Berliner Reichsregierung ein Dorn im Auge. Das Reich wurde vom Hafen aus mit billigen Waren aus dem Ausland überschwemmt. Daher musste der Stadtstaat dem Zollverein 1888 beitreten. Nur ein mit einem Grenzzaun umschlossenes Hafengebiet blieb als Freizone erhalten.

„Haben Sie etwas zu verzollen?“ An diese Frage erinnern sich noch viele Reisende, wenn sie früher die deutsche Grenze überqueren wollten. Seitdem Deutschland – mit Ausnahme von der Schweiz – nur von EU-Staaten umgeben ist, kann man ungehindert in benachbarte Länder reisen, ohne von Zollbeamten kontrolliert zu werden.

Von Flughäfen einmal abgesehen, wo man bei Auslandsflügen Zollkontrollen passieren muss, gibt es sogar mitten in Deutschland noch eine existierende Zollgrenze – und zwar in Hamburg. Schuld daran ist der Hafen. Eine riesige Fläche von rund 1500 Hektar ist als Freihafen ausgewiesen. Hier werden Konsumgüter, welche die Container- und Frachtschiffe aus aller Welt anliefern, zollfrei umgeschlagen. Zollgebühren werden erst dann erhoben, wenn die Waren das umzäunte Gebiet für den Binnentransport Richtung EU verlassen.

Derzeit kontrollieren an der Freihafengrenze neun Zollstationen, ob die transportierten Elektrogeräte, Kleidungsstücke oder Nahrungsmittel ordnungsgemäß deklariert sind. Bis auf zwei Zollhöfe, die erhalten bleiben, ist es ab dem 1. Januar 2013 damit vorbei. Denn der Hamburger Senat hat vor drei Jahren die Auflösung des Freihafens beschlossen. Eine der letzten Zollgrenzen auf deutschem Boden fällt dann weg.

Da sie sich als unwirtschaftlich erwiesen haben, sind zuvor schon die Freihafenanlagen in Bremen, Emden und Kiel aufgegeben worden. Bis jetzt haben kleine Freizonen in Bremerhaven, Cuxhaven und Duisburg überlebt. Sogar das bayerische Deggendorf hat an der Donau einen freien Binnenhafen. Allerdings sind die Gebiete nicht umzäunt und bestehen im Grunde nur aus einer Zollstation.

Doch der Hamburger Freihafen ist der mit Abstand größte. Mit seiner Aufgabe endet eine weit über 125-jährige Geschichte, die ihren Ausgangspunkt in der Reichsgründung von 1871 hatte. Hamburg war bis dahin zollfreies Staatsgebiet. Um aber das Inland vor billigen ausländischen Konkurrenzprodukten zu schützen, drängte eine dem damals protektionistischen Denken verhaftete Reichsregierung den Stadtstaat dazu, dem deutschen Zollverein beizutreten, der 1834 im alten Preußen seinen Ursprung hatte.

Hamburg trat dem Zollverein jedoch erst 1888 bei. Doch ein genau begrenztes Hafengebiet wurde zum „Zollausland“ erklärt. Dieses Enklavenleben wird es aber nur noch bis Ende dieses Jahres haben.

„Die Zollgrenze ist zum Anachronismus geworden“, konstatiert Zollamtsleiter Michael Schrader, „da die Ware schon zollamtlich deklariert ist, bevor die Schiffe den Hafen erreichen, hat die Grenze den Güterverkehr mehr behindert als genutzt.“

Das moderne Computerzeitalter hat der Grenze den Garaus bereitet. Wenn ein Schiff Shanghai, Rio oder Sydney verlässt, weiß der deutsche Zoll bereits, wie viel Schuhe, Fernseher oder Bananen für den EU-Markt bestimmt sind. Denn die Waren werden bereits am Ausgangshafen elektronisch erfasst und in verplombten Containern transportiert. Der Hamburger Zoll kontrolliert dann im Freihafen, ob die Siegel intakt sind. „Im Prinzip ändert sich durch die Aufgabe des Freihafens nichts“, erklärt Schrader, „außer, dass die Transportgüter nicht mehr nur an den zwei Zollhöfen überprüft werden, sondern durch mobile Einsatzstreifen vor Ort beim Unternehmer.“

Die Spediteure profitieren dafür mit einem erheblichen logistischen Zeitgewinn. Stehen bislang die LKWs an den neun Zollstationen des Freihafens Schlange, um in Stoßzeiten bis zu acht Stunden auf ihre Abfertigung zu warten, können 90 Prozent von ihnen ab 2013 ungehindert vom Terminal zum Empfänger fahren.

Nur rund zehn Prozent der Transporte werden kontrolliert. Etwa 120 Zollbeamte nehmen dann mit neuen Einsatzfahrzeugen im Hafengebiet Stichproben vor. Bei rund zehn Millionen Containern, die pro Jahr umgeschlagen werden, haben die Beamten rund um die Uhr alle Hände voll zu tun. Und die Arbeit wird nicht weniger. Bis 2015 prognostizieren Experten sogar eine Verdoppelung auf 20 Millionen Container.

Dass dem Zoll dabei einiges durchschlüpft, liegt auf der Hand. „Wir können nicht jedes Zigarettenpaket finden, das ein LKW-Fahrer unterm Sitz versteckt hält“, gibt Schrader zu, „aber bei den großen Fischen wissen wir ganz genau, wo wir suchen müssen.“

Schiffsladungen aus Afrika und Lateinamerika stehen dabei besonders im Fokus. Denn die meisten Häfen dort entsprechen nicht dem ISPS-Code, mit dem sich Häfen seit den Anschlägen von 2001 in New York gegen den Terrorismus schützen und Maßnahmen zur Sicherheit in der Lieferkette vorgenommen haben.

Gerät ein Schiff ins Visier der Fahnder, wird schweres Geschütz aufgefahren. Dann rückt schon einmal die „Schwarze Gang“ aus, so benannt nach ihren dunklen Tauchanzügen. Die Taucher suchen die äußeren Bordwände nach wasserdicht ver­pack­ten Drogenpaketen ab. Oder es kommt eine überdimensionale Röntgenanlage zum Einsatz, mit der ganze Containerladungen durchleuchtet werden. Neben Waffen könnte man so illegale Einwanderer aufspüren und vorm Ersticken retten.

Wie trick­reich die Schmuggler dabei vorgehen, kann man im Zollmuseum in der im nördlichen Hafengebiet gelegenen Speicherstadt ansehen. In diesem denkmalgeschützten roten Backstein-Ensemble wurden früher Kakao, Getreide oder Kaffee zwischengespeichert. Bis 2003 gehörte das Gebiet ebenfalls zum Freihafen, ehe Teile davon im Rahmen von Europas größter Baustelle zur neuen Hafencity ausgebaut wurden.

Hier ist die Elbphilharmonie im – nicht enden wollenden – Bau, hier legt am neuen Kreuzfahrer-Terminal regelmäßig der Ozeanriese „Queen Mary 2“ an, und hier sind teure Wohnanlagen mit exklusivem Elbblick entstanden.

Dieser rosigen Immobilien-Zukunft blickt auch der verbliebene Freihafen ab 2013 entgegen. Denn bis jetzt darf niemand in diesem Gebiet wohnen. Das wird sich ändern, wenn die riesigen Lagerflächen frei werden, die man nicht mehr als Wirtschaftsareale benötigt. Die dort befindlichen Fleete und Kanäle wurden früher massenhaft von kleinen Schuten befahren. Aufgrund des heutigen LKW-Verkehrs ist das nicht mehr wirtschaftlich. Die Folge: Kleinere Gewässerabschnitte wie zum Beispiel der Spreehafen bieten mit ihren angrenzenden brachliegenden Flächen einen völlig trostlosen Anblick. Wenn der Grenzzaun dort herum abgebaut ist, sollen die Anwohner der benachbarten Stadtteile diese Gebiete nach und nach erobern und zu neuem Leben erwecken.

Und die Stadt Hamburg profitiert dabei, denn ihr gehört das Freihafen-Gebiet. Aus dem Verkauf von Grundstücken kommen riesige Einnahmen auf die Stadt zu. Schon jetzt denken Stadtplaner mit einem „Sprung über die Elbe“ über eine zweite Hafencity südlich der Elbe nach.

Die Einwohner werden dann noch häufig auf Zollbeamte treffen, die in dem Gebiet auf Streife sind. „Es kommt bei uns schon leichte Wehmut auf, wenn die Zollgrenze Anfang nächsten Jahres wegfällt“, sagt Hamburgs oberster Hafenzöllner Schrader, „heute kennt man die LKW-Fahrer persönlich, die täglich zu einer bestimmten Zeit die Zollschranke passieren, um sich die Zollpapiere abstempeln zu lassen. In Zukunft wird zwar alles viel schneller, dafür aber auch viel anonymer vor sich gehen.“

Dass es weniger menschlich zugeht, ist aber nicht nur beim Zoll der Preis des Fortschritts. Harald Tews


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