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22.09.12 / Als Humanität noch ein Fremdwort war / Die Kriegführung im Zeitalter Friedrichs des Großen war auf allen Seiten grausam und unerbittlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-12 vom 22. September 2012

Als Humanität noch ein Fremdwort war
Die Kriegführung im Zeitalter Friedrichs des Großen war auf allen Seiten grausam und unerbittlich

Das Wort „Kabinettskriege“ suggeriert ein Bild von einer geregelten Kriegführung durch Militärs und einem daneben friedlich und fast ungestört verlaufenden zivilen Leben. Doch das täuscht über die die Grausamkeit und Wildheit der Kriegführung jener Zeit hinweg.

Die Verluste waren in jeder Schlacht, auch für den Sieger, ungeheuer hoch. Binnen weniger Stunden fielen auf engbegrenztem Raum, oft nur drei bis vier Quadratkilometer, zehntausende Soldaten oder sie wurden grässlich verstümmelt. Bei Zorndorf verloren die siegreichen Preußen 35 Prozent ihrer Gefechtsstärke, bei Torgau 29 Prozent, bei Leuthen 22 Prozent, bei Liegnitz und Mollwitz je 21 Prozent. Jeder dritte bis fünfte preußische Soldat musste also fest damit rechnen, nach einer Schlacht nicht mehr zu leben oder zeitlebens verstümmelt zu sein, und bei den Gegnern fielen das Zahlenverhältnis meist noch schlechter aus. Das Artilleriefeuer mit seinen massiven Eisenkugeln und die Kavallerieangriffe mit blankem Säbel führten zu einem unvorstellbaren, massenhaften Verlust von Gliedmaßen. Dazu kam die mangelhafte medizinische Versorgung, denn es gab kein Wundstarrkrampfserum, keine schmerzstillenden Morphine und keine Antibiotika gegen infizierte Wunden.

Der Sanitätsdienst im Felde oblag in der preußischen Armee den Regimentsfeldscheren/Ober­wundärzten der Regimenter und in den Kompanien den Kompaniefeldscheren/Unterwundärzten. Während einer Schlacht war dem Sanitätspersonal jede medizinische Hilfeleistung in der Gefechtslinie gemäß Reglement streng untersagt. Gehfähige Verwundete hatten vorbereitete Sammelpunkte selbständig aufzusuchen und die Nichtgehfähigen begann man nach Schlacht­ende aufzusammeln, wenn sie bis dahin nicht verblutet oder von Marodeuren totgeschlagen waren.

Über das Leiden der preußischen Verwundeten nach der blutigen Schlacht von Zorndorf 1758 schrieb der Pfarrer des unweit gelegenen Dorfes Neudamm: „Die Gesichter waren voll geronnen Blut, die Kleider damit begossen und der Leib verstümmelt und durchbohrt, die Hände und Arme waren zersplittert, die Füße zerschmettert. Vielen war ein Auge ausgeschossen, und vielen ein Arm oder Fuß von der Kanone geraubt. Andere suchten den Feldscher, um sich ein Arm oder Bein abnehmen zu lassen. Sonderlich war eine große Menge solcher Elenden, ja vielleicht die Meisten, die im Unterleib oder Gesäss durchschossen waren. Sie krochen die Straßen hin und wider und erfüllten die Luft mit ihrem Jammergeschrei. … Ein Anblick, den ich in zwei Häusern, wo ich hinkam, empfunden, war mir so rührend, dass ich ihn niemals vergessen werde. In dem einen lagen etliche Körper auf der Erde auf dem Stroh, ohne Arm und Füße und sonst verwundet noch, in ihrem Blute. Frau und Kinder, Brüder und Kameraden lagen auch bei ihnen und wuschen sie säuberlich ab, weil sie noch lebten.“ Eine Arm- oder Beinamputation schaffte damals ein geübter Feldscher in drei Minuten. Die Gliedmaßen wurden scharf abgebunden, um den späteren jähen Schmerz zu unterdrücken. Dann schnitt man oberhalb der Wunde oder des Bruchs mit einem schnellen Rundumschnitt Fleisch und Muskeln bis auf den Knochen durch und sägte diesen anschließend ab. Stoisch arbeiteten die Feldscher dabei unter den markerschütternden Schreien der Verwundeten und nur zehn Prozent der Operierten überlebten diese Prozedur. Noch schlimmer war bei Zorndorf das Schicksal der von ihrer Armeeführung im Stich gelassenen russischen Verwundeten, über welche derselbe Pfarrer schrieb: „Die Menge dieser Elenden machte des Nachts ein unglaubliche Geräusche, teils vor Ungeduld, teils vor Schmerzen, da sie Kugeln noch im Leibe hatten und am Wundfieber krank waren, teils wegen des Wetters, weil es des Nachts kalt und regnicht war. Ich besorgte gar einen Aufstand. Indessen ist nicht zu beschreiben, was die russischen Verwundeten für eine harte Natur haben und wie schwer es hergeht, ehe sie sterben können. Die Unsrigen gleichen ihnen darin garnicht.“

Auf Befehl des preußischen Königs musste das Schlachtfeld aufgeräumt werden, wobei man die Preußen einzeln beerdigte, die Russen aber jeweils zu zehn Mann und einem Pferd in großen Löchern einscharrte. Über die dabei anfallende Beute und die vielen zivilen Plünderer schrieb der Neudammer Pfarrer: „Diese Lockspeise begieriger Seelen zog sogar von Berlin und Wriezen Leute zur Plünderung hierher, und man schleppte noch lange nachher Geld, Kupfer, Messing, Zinn, Silber, Wagen, Betten, Bücher, Zelte, Papier, Leder, Sättel, Trommeln, Hüte, Mäntel, Pelze, Hemden, Stiefel, Schuh und unzählige Dinge hinweg. Von Blei hat mancher 40 Pfund und eben so viel Messing gesammelt.“ Die aufgefundenen russischen Schwerverwundeten behandelte man unchristlich: „Die Russen welche noch lebten, wurden dabei auf den Kopf geschlagen oder durch einen Jäger, dergleichen zum Begräbnis kommandiert war, erschossen und mit eingescharrt. Dieses Verfahren schien wohl hart zu sein, aber es geschahe mit Bedacht; denn weil die Russen ein so hartes Leben haben, bei den Schwerverwundeten aber kein Mittel oder einige Hoffnung war, so musste man also mit ihnen verfahren.“ So sah die Beräumung eines Schlachtfeldes im Zeitalter der „Kabinettskriege“ aus.

Grausam ging es ebenfalls zu, wenn (geringe) Teile der von den Russen geschundenen Zivilbevölkerung, wie 1758 in Pommern, einen Freischärlerkrieg gegen die Invasoren führten. Jahrzehnte nach Kriegsende wurden nach einer vorangegangenen Denunziation der Müller Joachim Streitz, der Schuster Parlitz und der Ackersmann Martin Daniel Winde am 22. September 1773 in Stettin hingerichtet, nachdem König Friedrich der Große vorher persönlich das Todesurteil bestätigt hatte. Die drei Bewohner des pommerschen Städtchens Massows hatten nämlich nicht nur heimlich einen russischen Kosaken erschlagen und beraubt. Sie erschlugen auch mit Knüppeln brutal zwei durchreisende schlesische Kaufleute, beraubten und verscharrten sie. Zu ihrer Entschuldigung gaben sie während der Untersuchung an, diese Kaufleute für „russische Marketender“ gehalten zu haben. Das kaufte ihnen das Gericht jedoch nicht ab, denn im Todesurteil stand geschrieben: „Bey einem ausbrechenden Kriege denen Unterthanen gar nicht das Recht zustehe aus eigener Macht und ohne durch den Staat dazu bemächtiget zu seyn, Feindseligkeiten auszuüben, wie dieses alle Europäischen Mächte einstimmig annehmen, und sich in ihrem Verhalten darnach richten…“. König Fried­rich bemühte sich durch dieses Urteil, die Wildheit der sogenannten „Kabinettskriege“, zumindest bei der eigenen Bevölkerung, etwas zu zähmen.Jürgen W. Schmidt


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