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22.09.12 / Deutsch ist auf dem Rückmarsch / Aktuelle Kontroverse in Allensteins Grundschule Nr. 9 spiegelt grundsätzlichen Trend in der Republik Polen wider

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-12 vom 22. September 2012

Deutsch ist auf dem Rückmarsch
Aktuelle Kontroverse in Allensteins Grundschule Nr. 9 spiegelt grundsätzlichen Trend in der Republik Polen wider

In diesem Jahr begann das Schuljahr mit Streit um den Deutschunterricht an einer der Allensteiner Lehranstalten, der Grundschule Nr. 9. Sie ist die einzige in der Stadt, an der kein Englisch-, sondern nur Deutschunterricht angeboten wird. Dies ist die Folge einer langjährigen Schirmherrschaft des Goethe-Instituts in Warschau, das den Schülern ein spezielles Stipendienprogramm anbietet sowie die Teilnahme an verschiedenen Sprachwettbewerben und Prüfungen ermöglicht. Beispielsweise fahren Jahr für Jahr etliche Kinder im Rahmen eines Austauschprogramms in die Bundesrepublik. Die Schule wurde mit vielen Hilfsmaterialien wie etwa einer interaktiven Tafel, Wörterbüchern und anderen audio-visuellen Medien ausgestattet. Ihre Absolventen zeichnen sich oft durch die hier erworbenen Deutschkenntnisse aus und schneiden bei fremdsprachlichen Wettbewerben gut ab.

Die Kehrseite ist, dass nun manche Eltern beklagen, dass die Grundschule Nr. 9 keine andere Fremdsprache, etwa Englisch, im Angebot hat. Sie pochen auf möglichst schnelle Änderung in der Weise, dass Deutsch als Pflichtfach abgeschafft wird oder Englisch zusätzlich angeboten wird.

Die zusätzliche Unterrichtung der Kinder in Englisch neben Deutsch ist derzeit nicht möglich, da die Bestimmungen des staatlichen Referenzrahmens nur eine einzige Fremdsprache binnen der sechs Jahre dauernden Grundschulzeit vorsehen. Erst in dem darauf aufbauenden, in Polen obligatorischen dreijährigen Gymnasium ist das Angebot einer weiteren Fremdsprache vorgesehen. Allerdings belassen es die meisten Schüler bei einer Fremdsprache aus Unlust, eine zusätzliche zweite zu erlernen. Da die Polen Englisch Deutsch vorziehen, ist die Sprache der Dichter und Denker der große Verlierer.

Dafür, dass das Deutsche gegenüber dem Englischen ins Hintertreffen geraten ist, gibt es sicherlich eine ganze Reihe von Gründen. Zusätzliche Attraktivität hat die englische Sprache dadurch gewonnen, dass sich mit dem polnischen Beitritt zur Europäischen Union der Arbeitsmarkt der englischsprachigen Länder Europas den Polen öffnete, während der bundesdeutsche und österreichische ihnen fürs erste verschlossen blieb. Zu Hunderttausenden wanderten meist junge Arbeitskräfte aus Polen nach Großbritannien und Irland aus. Diese Ausreisewelle spornte wie nichts anderes zuvor Polens Jugend zu einem intensiven Englischunterricht an. Verschlechtert wurde die Lage des Deutschen noch durch den bei vielen deutschen Politikern und Managern zu beobachtenden Trend, weniger die eigene Muttersprache, sondern Englisch als eine Weltsprache in der Öffentlichkeit zu fördern.

Die Folge ist nicht nur die Kontroverse an der Allensteiner Grundschule Nr. 9. Viel gravierender ist, dass die polnischen Hochschulen immer häufiger Schwierigkeiten haben, Neuzugänge für die germanistischen Studiengänge zu gewinnen. Die Ermländisch-Masurische Universität in Allenstein stellt dabei keine Ausnahme dar. Der Mitte der 90er Jahre an der dortigen Fakultät für Geisteswissenschaften ins Leben gerufene Lehrstuhl für Deutsche Philologie leidet schon seit langem unter Studentenmangel. Nicht anders sieht die Lage im studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht aus, der inzwischen ausschließlich auf das Englische umorientiert wurde. Dozenten für andere Fremdsprachen müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass es für sie in Zukunft überhaupt keinen studentischen Nachwuchs mehr geben könnte. Dadurch würde die so oft in der EU gepriesene Mehrsprachigkeit gefährdet und durch eine alleinige Vorherrschaft des Englischen bedroht.

Im 19. Jahrhundert forderte der große deutsche Sprachforscher Wilhelm Viëtor ein Umdenken im Bereich des Fremdsprachenunterrichts. Seine Meinung dazu fasste er im Buch „Der Deutschunterricht muss umkehren“ zusammen, wobei er eine neue Methodik im Sinne hatte. Vielleicht muss heutzutage der Fremdsprachenunterricht in Polen um einst schon bewährte oder ganz neue Mittel und Ziele bereichert werden. Der aktuelle Fall der Allensteiner Grundschule Nr. 9 liefert aber einen Hinweis darauf, dass die gegenwärtige Fokussierung auf den Englischunterricht nur schwer abzuwenden ist. Stellungnahmen im Internet lassen etwas Hoffnung keimen. Eine weitere Unterstützung aus der Bundesrepublik Deutschland in Sachen Förderung des Deutschen im Nachbarland würde wahrscheinlich ebenfalls niemandem schaden. Grzegorz Supady

Der Autor dieses Beitrages lehrt Germanistik an der Ermländisch-Masurischen Universität in Allenstein.


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