19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.09.12 / Der verkannte »Fürstenfreund« / Ansprechende Biografie über den Dichter Matthias Claudius

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-12 vom 22. September 2012

Der verkannte »Fürstenfreund«
Ansprechende Biografie über den Dichter Matthias Claudius

Ein einzelnes Gedicht machte den norddeutschen Dichter Matthias Claudius unsterblich: das schlichte, fromme „Abendlied“, beginnend mit dem Vers „Der Mond ist aufgegangen“. In der kongenialen Vertonung von Johann Peter Abraham Schulz von 1790 zählt es zu den bekanntesten deutschen Volksliedern und fand Eingang ins Evangelische Gesangbuch. Obwohl seinerzeit eine Randfigur im Literaturbetrieb, hat Matthias Claudius (1740–1815) einen festen Platz in der Literaturgeschichte, nicht zuletzt als Freund und Briefpartner zahlreicher Dichter und Geistesgrößen. Claudius, der mit seiner großen Familie im damals holsteinischen Dorf Wandsbek vor den Toren Hamburgs lebte, bezeichnete sich selbst als einen „homme de lettres“.

Mit ihrer Romanbiografie „Matthias Claudius“ wählte die Kölner Autorin Tanja Schurkus einen Mittelweg zwischen einer wissenschaftlichen Darstellung und der literarischen Form des Romans, um sich mit Leben und Werk des „Wandsbeker Boten“ auseinanderzusetzen; so lautet der Beiname, der Claudius aufgrund seiner Redaktionstätigkeit für die Zeitung „Der Wandsbecker Bothe“ von 1771 bis 1775 anhaftet. Zufall oder nicht, erschien im vergangenen Jahr auch eine Biografie der Germanistin Annelen Kranefuß über Matthias Claudius, die erste nach rund 70 Jahren, abgesehen von ein paar sentimentalen Romanen. Wer anspruchsvolle Unterhaltung mag sowie schnelle Stil- und Epochenbeschreibungen und Lücken in Kauf nimmt, dürfte jedoch die Romanbiografie von Schurkus bevorzugen. In ihrem Nachwort nennt sie die zugrunde liegende Forschungsliteratur.

Schurkus wählte einen schlichten, dann und wann etwas antiquiert anmutenden Stil, um die fortlaufend an geeigneten Stellen eingefügten Originalzitate und Verse von Matthias Claudius nicht wie Fremdkörper in einem unpassenden Kontext auffallen zu lassen. Es zeigt sich, dass der ungekünstelte, originelle Ton, zu dem Claudius in seinen Gedichten und Betrachtungen fand, auch heute noch anspricht. Auch unterstützt die Autorin mit der angestrebten sprachlichen Harmonie ihr erkennbares Anliegen, dass ihre Leser möglichst keine entschieden distanzierte Haltung gegenüber ihrem Protagonisten einnehmen sollen; vertrat der fromme Dichter doch als gereifter Mann restaurative, nicht nur in gegenwärtiger Zeit höchst unpopuläre Ansichten. Hatte er sich nach der Französischen Revolution auf die Seite ihrer entschiedenen Gegner gestellt, so sprach er sich später sogar gegen Forderungen der Aufklärer wie Pressefreiheit aus. Damit stieß er auf Unverständnis bei fast allen seiner illustren Freunden. Man hatte ihn früher schon als „amtsscheu“ verspottet, nun aber wurde ihm das Etikett „Fürstenfreund“ verpasst. Voss machte ihn in einer Fabel zum „Kauz“, der „den Hahn beim König Adler“ denunziere. Der Vorwurf lautete dementsprechend, er habe sich mit seiner königlich-dänischen Apanage für eine Tätigkeit, die ihn kaum beanspruchte, zum Verteidiger der absolutistischen Herrschaft bestellen lassen.

In ähnlicher Weise urteilten über ihn auch Literaturforscher des 20. Jahrhunderts. Schurkus hat Claudius jedoch wohlwollend porträtiert, ohne ihn zu idealisieren, auch in seiner Rolle als fürsorglicher Vater und Ehemann von Rebekka, der Tochter eines Wandsbeker Zimmermanns. Ausgehend von den Kriegsereignissen im Mai 1813, als französische Truppen Hamburg belagerten, inszeniert die Autorin in Rückblenden einige historisch belegte Ereignisse aus Claudius’ Leben. Nachdem das Erscheinen des „Wandsbecker Bothen“ eingestellt worden war, veröffentlichte Claudius ab 1775 in unregelmäßiger Folge insgesamt acht Bände unter dem Titel „Asmus omnia sua secum portans oder sämtliche Werke des ,Wandsbeker Boten‘“.

In seiner selbst gewählten Außenseiterrolle als volkstümlicher Schriftsteller und Poet ermunterte er seine Leser zur Frömmigkeit, beschrieb die Schönheiten der Natur, rezensierte und kommentierte neue Bücher und zeitgeistige Strömungen, was ihn mehrfach in Gegensatz zu Goethe, Schiller, Wieland und anderen brachte, die ebenfalls öffentlich mit ihm abrechneten. Als wichtigste Nebenfigur tritt Caroline Perthes auf. Die älteste Tochter von Matthias und Rebekka war mit dem Hamburger Verlagsbuchhändler Friedrich Perthes verheiratet, der 1813 maßgeblich am hanseatischen Aufstand gegen das napoleonische Frankreich beteiligt war. Spannung entsteht, als ein französischer Offizier in Wandsbek nach Perthes sucht. Ihn erwartet bei einer Verhaftung die Todesstrafe. Die klug konzipierte Romanbiografie bietet ein ansehnliches und anschauliches Spektrum aus einer Fülle von Fakten. Dagmar Jestrzemski

Tanja Schurkus: „Matthias Claudius“, Brunnen Verlag, Gießen 2012, geb., 256 Seiten, 16,99 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren