20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.09.12 / Nackte Tatsachen in den Dünen von Nidden / Ausstellung in Stade zeigt »Max Pechstein auf Reisen«. Seine bevorzugten Ziele: die Kurische Nehrung und Pommern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-12 vom 22. September 2012

Nackte Tatsachen in den Dünen von Nidden
Ausstellung in Stade zeigt »Max Pechstein auf Reisen«. Seine bevorzugten Ziele: die Kurische Nehrung und Pommern

Der „Brücke“-Maler Max Pechstein (1881–1955) war ständig auf Reisen. Auch in Ostpreußen und Pommern. Hier holte er sich an den naturbelassenen Stränden Anregungen für sein Werk. Eine Ausstellung in Goldaps Partnerstadt Stade zeigt das beeindruck­ende Ergebnis.

Der Schutzmann blieb unnachgiebig: „Ich zeige Sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses an.“ In der freien Natur wie in den Dünen von Nidden war es der Maler Max Pechstein gewohnt, genauso aufzutreten, wie seine Modelle, die er dort zeichnete: nämlich splitterfasernackt. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war FKK an der Kurischen Nehrung eben noch nicht en vogue.

Pechstein konnte von Glück reden, dass es nur bei der Anzeige blieb und die Obrigkeit nicht zusätzlich seine Skizzenblätter konfiszierte. Denn die sind nun in einer kleinen, aber feinen Wanderausstellung ebenso zu sehen wie die Ölbilder, Holzschnitte, Aquarelle, Tusche- und Kreidearbeiten, die er nach diesen Vorlagen angefertigt hatte.

„Utopie und Wirklichkeit – Max Pechstein auf Reisen“ heißt die Schau von 138 zum Teil bislang unveröffentlichten Arbeiten des expressionistischen Malers, die noch bis zum 20 Januar 2013 im Kunsthaus Stade zu sehen ist. Danach wird sie noch vom 9. Februar bis 12. Mai 2013 in den Kunstsammlungen von Pechsteins Geburtstadt Zwickau und vom 1. Juni bis 1. September 2013 im Kulturspeicher Würzburg gezeigt.

Dass die niedersächsische Stadt vor den Toren Hamburgs den Anfang macht, kommt nicht von ungefähr, ist Stade doch Partnerstadt von Goldap. So zog es auch Pechstein immer wieder zur ostpreußischen Küste. Zwischen 1909 und 1939 machte er sich insgesamt sechs Mal von Berlin aus auf den beschwerlichen Weg über Königsberg per Zug, Boot und Droschke nach Nidden, um sich dort von der noch ganz urwüchsigen Seenlandschaft künstlerisch anregen zu lassen.

„Pechstein suchte Authentizität und unverfälschte Natur, deshalb ist er an den äußersten Zipfel des deutschen Reiches gereist, also dorthin, wo es noch nicht touristisch erschlossen war“, so Kuratorin Ina Ewers-Schultz.

Vor den Touristen und sogar noch vor Pechstein haben Malerkollegen wie Lovis Corinth und Karl Schmidt-Rottluff den Ort Nidden auf die künstlerische Landkarte gesetzt. Später kaufte sich Thomas Mann hier ein Ferienhaus, in dem er an seinem „Joseph“-Roman schrieb.

In Nidden malte Pechstein alles mögliche: Dünen-Landschaften, Bewohner, Fischer, Feldarbeiter, Steinklopfer und Badende – nack­te Badende. Damals war das noch skandalös. Aber Pechstein entfloh bewusst den stickigen Ateliers, in denen man meistens auf statische Nacktposen setzte. Er malte Akte, die in Bewegung sind und die sich in einer natürlichen Ausdrucksform zeigen.

Sein Lieblingsmodell war stets mit dabei: Lotte, seine Muse und spätere erste Ehefrau. „Eigentlich ist auf seinen frühen Bildern immer nur Lotte zu sehen“, erklärt Ewers-Schultz, „wenn er am Strand eine Gruppe von sieben nack­ten Frauen skizzierte, so sehen wir im fertigen Ölbild im Prinzip sieben Mal Lotte.“

Anders als seine Malerfreunde der Künstlervereinigung „Die Brücke“ wie Erich Heckel oder Ernst Ludwig Kirchner, schuf Pechstein kaum Bilder von dem pulsierenden urbanen Leben des frühen 20. Jahrhunderts. Zwar machte er 1907 die obligatorischen Bildungsreisen nach Rom und Paris, doch seine Sehnsucht galt der See.

1914 reiste er zu den Südsee-Inseln von Palau, die damals noch eine Kolonie des deutschen Reiches waren. Ein befreundeter Kunsthändler sponserte Pechstein, der zu der Zeit noch nicht groß von seiner Kunst leben konnte, die Reise. Zum Dank malte er nach seiner Rückkehr binnen eines Jahres rund 100 Ölbilder, von denen die Hälfte allerdings verschollen sind. Der Grund liegt darin, dass Pechstein in der NS-Zeit mit zu den „entarteten Künstlern“ zählte und man seine Bilder aus dem Verkehr zog. Ein anderer Teil dürfte bei den alliierten Bombenangriffen verbrannt worden sein. So gelten seine in historischen Galeristen-Katalogen fotografisch dokumentierten Arbeiten vom Fischerleben in Nidden als komplett verloren.

Nach 1945 versuchte Pechstein, seine verlorenen Werke nachzumalen. Doch die expressionistische Ära war endgültig vorbei, und dem Maler gelang es nicht mehr wie einst in Nidden, seine Utopie einer unverfälschten Einheit von Mensch und Natur wiederzugeben.

Als nach dem Ersten Weltkrieg eine Grenze quer durch die Kurische Nehrung gezogen und Nidden litauisch wurde, suchte und fand Pechstein mit dem pommerschen Seebad Leba eine neue, unberührte Inspirationsquelle. „Fortwährend habe ich mein Skizzenbuch in der Hand und wenn ich nur ein Zehntel so viel male, als ich zeichne, so platzt mir der Schädel“, schrieb er.

Anders als auf seinen Auslands-Abstechern wie zum Beispiel in die Schweiz oder nach Südfrankreich fühlte er sich an der Ostseeküste in seinem Element. In Leba wie auch später in Ückeritz auf Usedom setzte er Marta, seine zweite Frau, nackt in Szene. Und hier konnte er selbst frei und ungezwungen im Adamskostüm malen – diesmal unbehelligt von den Sittenwächtern. Harald Tews

Zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag ein 176-seitiger Katalog erschienen. Preis: 24,90 Euro im Museum, sonst 34,90 Euro im Buchhandel.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren