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29.09.12 / Politik hilflos gegen Räuberbanden / Grenzregion Oder-Neiße: Diebstahlslawine, weil niemand über Grenzkontrollen reden will

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-12 vom 29. September 2012

Politik hilflos gegen Räuberbanden
Grenzregion Oder-Neiße: Diebstahlslawine, weil niemand über Grenzkontrollen reden will

Immer weitere Sonderkommissionen der Polizei sollen Handlungsfähigkeit der Politik im Kampf gegen die Grenzkriminalität an Oder und Neiße beweisen. Besonders wirksam war der Aktionismus bisher nicht, doch die effektivste und kostengünstigste Lösung zur Bekämpfung der Grenzkriminalität gilt nach wie vor als Tabu.

Es ist eine unrühmliche Spitzenstellung, zu der es die Grenzgebiete Brandenburgs und Sachsens gebracht haben. Angeführt von Frankfurt an der Oder ist die Region zur Hochburg des Autodiebstahls mutiert. Bei einer Untersuchung des Verbraucherportals „geld.de“ sind gleich drei Städte entlang von Oder und Neiße auf der Liste der deutschen Kommunen gelandet, die besonders von Autodiebstählen betroffen sind. Für die Untersuchung war nicht wie sonst üblich die Anzahl der gestohlenen Fahrzeuge in Bezug zur Einwohnerzahl gesetzt worden, sondern zu den angemeldeten Autos.

In Frankfurt an der Oder wurden danach 2011 von je 100000 Fahrzeugen 781 gestohlen. Die Diebstahlsquote lag damit 562 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Platz zwei belegt das niederschlesische Görlitz, Cottbus belegt Rang sieben. Die Zahlen zeichnen ein deutlich dramatischeres Bild von der Wirklichkeit als das, was vom Potsdamer Innenministerium zu dem Thema veröffentlicht wurde. Danach ist die Zahl aller Straftaten um fast acht Prozent zurückgegangen, die Autodiebstähle sollen im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr sogar um 17 Prozent abgenommen haben.

Tatsächlich können die bejubelten Daten allerdings auch als Alarmsignal gedeutet werden. Die Kriminalitätszahlen sind nur leicht rückläufig, obwohl inzwischen ein massiver Aufwand betrieben wird: Seit Monaten sind mittlerweile mehrere Polizeihundertschaften und die hundertköpfige Soko „Grenze“ im Einsatz. Zudem dürften die Grenzkontrollen, die im Umfeld der Fußball-WM in Polen und der Ukraine für einige Wochen wieder durchgehend praktiziert wurden, die Statistik des ersten Halbjahres erheblich entlastet haben.

Und die offizielle Statistik gibt noch aus einem anderen Grund ein sehr unvollständiges Bild: Längst beschränken sich die überwiegend osteuropäischen Banden nicht mehr auf die unmittelbare Grenzregion. Über Berlin und den sogenannten Speckgürtel um die Hauptstadt rollt schon seit längerem eine Welle von Wohnungseinbrüchen hinweg. Wegen der erhöhten Polizeipräsenz an der Grenze steigt nun in Städten wie Potsdam und Brandenburg an der Havel die Zahl der Autodiebstähle an.

Die Langfinger erweitern nicht bloß ihren Aktionsradius, ihre kriminelle Energie findet auch neue Betätigungsfelder. Laut dem Polizeipräsidium Brandenburg wurden bis zum 30. August bereits 100-mal Diebstähle von Solarpanelen gemeldet. Geschätzter Schaden: Zwei Millionen Euro. Brandenburgs Antwort besteht neben der öffentlichkeitswirksamen Entsendung von vier Einsatzhundertschaften vor allem in der Bildung immer neuer Sonderkommissionen. Bereits seit 2010 versucht die Soko „Grenze“, vor allem Autodiebstähle einzudämmen. Nachdem im östlichen Berliner Umland die Zahl von Einbrüchen in Einfamilienhäuser spürbar zugenommen hatte, ist seit März die Soko „Villa“ dazugekommen. Soko „Sonne“ nennt sich die jüngste Spezialtruppe, die sich um die wachsende Zahl gestohlener Solaranlagen kümmert.

Nicht einmal diskutieren wollen die politisch Verantwortlichen indes eine Lösung, die angesichts der Brandenburger Lage am effektivsten und kostengünstigsten wäre: die ständige Wiederbesetzung der lediglich elf Straßen-Grenzübergänge an Oder und Neiße. Im Verdachtsfall wären sofortige Kontrollen möglich, gleichzeitig wäre die Abschreckungswirkung auf die professionell agierenden Banden am stärksten. Zumindest aus Sicht der etablierten Politik hätte diese Lösung allerdings einen entscheidenden Nachteil. Sie wäre das Eingeständnis, dass der Beitritt Polens zum Schengen-Raum im Jahr 2007 übereilt war, dass die Aufhebung der Grenzkontrollen eine politisch motivierte Fehlentscheidung gewesen sein könnte.

Ständig besetzte Grenzübergänge gelten ebenso als Tabu wie eine Lösung, die von den Niederlanden inzwischen praktiziert wird. Wer aus Deutschland oder Belgien mit dem Auto nach Holland einreist, wird per Videoüberwachung erfasst. Sind bestimmte Risiko-Merkmale wie Herkunftsland, Fahrzeugtyp oder Personenanzahl erkennbar, dann findet eine Verdachtskontrolle der niederländischen Polizei statt.

Der Brandenburger Landtagsabgeordnete Jürgen Maresch (Linke) hat darauf aufmerksam gemacht, dass es beim Problem der Brandenburger Grenzkriminalität noch einen weiteren Akteur gibt, der sich seiner Verantwortung fast unbemerkt weitgehend entledigt hat: der Bund. Nur zwei von sechs Grenzstreifen pro Schicht seien bei der Bundespolizei aktuell im Einsatz, so Maresch gegenüber der „Lausitzer Rundschau“. Während der Abgeordnete einen hohen Krankenstand und die Überlastung mit zusätzlichen Aufgaben als Gründe sieht, geht die Kritik des Vizechefs der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Sven Hübner, noch weiter: „Statt die ohnehin personell ausgedörrte Basis in den Dienststellen wenigstens technisch und baulich arbeitsfähig zu machen, beließ man es bei den langsamsten IT-Verbindungen der Polizeiwelt, gab sich mit einem wachsenden Anteil verschrottungsreifer Fahrzeuge zufrieden und setzte finanziell andere Schwerpunkte", so Hübner in einem Kommentar auf der Internetseite der GdP. Norman Hanert


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