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06.10.12 / Die Entdeckung des Expressionismus / 1912 − Mission Moderne: Die Jahrhundertschau des Sonderbundes wird in Köln wiederholt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-12 vom 06. Oktober 2012

Die Entdeckung des Expressionismus
1912 − Mission Moderne: Die Jahrhundertschau des Sonderbundes wird in Köln wiederholt

Die Klassische Moderne erfreut sich beim Publikum steigender Beliebtheit. Die wurde insbesondere von drei Großausstellungen begründet: der Kasseler documenta von 1955, dem Berliner Herbstsalon von 1913 und dem Kölner Sonderbund 1912. Letztere gab als erste einen zusammenfassenden Überblick zur modernen internationalen Kunst überhaupt.

Derzeit feiert das Kölner Wallraf-Richartz-Museum die Jahrhundertschau des Sonderbundes von 1912 mit einem Remake. Die Ausstellung von vor exakt 100 Jahren war mit 650 Werken, hauptsächlich Malerei, von 170 Künstlern aus zehn europäischen Ländern in Quantität und Qualität wegweisend für unsere Kunstwelt. Für die jetzige Schau hat man immerhin 120 hochkarätige Werke aus aller Welt nach Köln geholt, die auch schon 1912 zu sehen waren.

Kuratorin Barbara Schaefer berichtet: „Die Sonderbundausstellung gilt als Abschied von den konzeptionslosen Sammelschauen des 19. Jahrhunderts.“ Neu und wegweisend an ihr war seinerzeit, dass sie auf einem Programm basierte. Künstler, Sammler und Museumsleute hatten sich zusammengeschlossen, um ein breites Publikum mit fortschrittlicher Kunst vertraut zu machen.

Richard Reiche, Geschäftsführender Vorsitzender des Sonderbundes, schrieb im Katalog: „Die diesjährige vierte Ausstellung des Sonderbundes will einen Überblick über den Stand der jüngsten Bewegung in der Malerei geben, die nach einer Vereinfachung und Steigerung der Ausdrucksformen, einer neuen Rhythmik und Farbigkeit, nach dekorativer oder monumentaler Gestaltung strebt, einen Überblick über jene Bewegung, die man als Expressionismus bezeichnet hat.“

Die Auswahlkommission, die aus zwei Malern und zwei Museumsdirektoren bestand, bewies große Weitsicht und Treffsicherheit. Sie erkannte die Bedeutung der meisten Künstler der damals jungen Generation, die heute als berühmt gelten und stellte sie mit charakteristischen Werken vor. Als Wegbereiter der „Expressionisten“ wurden Vincent van Gogh, Paul Cézanne und Paul Gauguin mit einer umfang­reichen Bildauswahl gefeiert. Allein van Gogh war mit 125 Werken vertreten!

In der jetzigen Schau sind immerhin 15 Gemälde van Goghs zu sehen. Auf seinem faszinierenden Selbstbildnis von 1887 schaut er leicht gequält drein. Das in seinem Todesjahr 1890 geschaffene Gemälde „Die Grabenden“ beschrieb van Gogh als „ein Rübenfeld mit Frauen, die dabei sind, das grüne Kraut im Schnee zu pflücken“.

Nebenan besticht Paul Gauguin mit Südseeszenen. Zu ihnen gehört die in Gauguins Todesjahr 1903 gemalte „Beschwörung“: Fünf Frauen sind in einer Insellandschaft dargestellt, die in ihrer blauen, violetten und rosa Farbgebung ins traumhaft Unwirkliche entrückt ist. Cézanne glänzt mit Porträts, Stillleben und der mit flirrenden Farbflächen in Grün- und Blautönen aufwartenden „Allee bei Chantilly, II“ (1888).

Damals wie heute umfangreich vertreten ist das Schaffen Edvard Munchs. Besonders eindrucksvoll ist sein Gemälde „Das Biest“ (1902), eine üppige Dame mit geradezu hypnotisierendem Blick, die Munch als „schwarzhaarigen Halbakt mit starken Augen und Busen“ beschrieb. 1912 waren von Pablo Picasso 16 Bilder zu sehen. Heute sind immerhin zwei Gemälde ausgestellt, darunter der melancholische „Sitzende Harlekin“ (1901). Was aber nun im Vergleich zu damals fehlt, ist Picassos als „Kubismus“ berühmt gewordene Kunstrevolution.

Und da nun offenbart das auf den ersten Blick so bestechend erscheinende Konzept, im Jahr 2012 nur solche Werke zu zeigen, die auch schon in der Ausstellung von vor 100 Jahren zu sehen waren, unübersehbare Schwächen. Viele Bilder der alten Schau sind inzwischen zerstört, verschollen – oder werden nicht mehr ausgeliehen. Deshalb glänzen durch Abwesenheit zum Beispiel solche Hochkaräter wie Henri Matisse und Georges Braque. Von der expressionistichen Vereinigung „Blauer Reiter“ fehlen Franz Marc und Wassily Kandinsky ebenso wie die Vertreter der Künstlergemeinschaft „Brü­cke“, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff.

Gleichwohl ist die aktuelle Schau wegen zahlreicher Prunkstücke sehenswert. Zu den Höhepunkten zählen zweifellos Ferdinand Hodlers „Entzücktes Weib“ (1911) und Egon Schieles „Mutter und Kind II“ (1912), Erich Heckels „Fasanenschloss bei Moritzburg“ (1910) und August Mackes „Drei Akte mit blauem Hintergrund“ (1910). Ihre 1912 brandneuen, aber damals heftig umstrittenen Gemälde gelten heute als Meisterwerke der Kunst. Veit-Mario Thiede


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