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06.10.12 / Landlust für gestresste Stadtleute / Bei Bauern am urbanen Rand sorgt die Erntezeit bei so manchem für Entspannung ­– dank eigener Mietgärten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-12 vom 06. Oktober 2012

Landlust für gestresste Stadtleute
Bei Bauern am urbanen Rand sorgt die Erntezeit bei so manchem für Entspannung ­– dank eigener Mietgärten

Die Zucchini machen einen traurigen Eindruck. Klein, matschig und eher grau als grün. „Die haben in den letzten Wochen zu viel Wasser abbekommen“, sagt Sonja von Behrens, „der ganze Sommer war einfach zu nass.“ Dafür haben wenigstens zwei Exemplare die feuchte Witterung überraschend gut überstanden und Hobbygärtnerin von Behrens freut sich, die gut 30 Zentimeter langen Prachtexemplare jetzt ernten zu können.

Nicht zu Hause am eigenen Beet und auch nicht im Schrebergarten, sondern auf einem richtigen landwirtschaftlichen Feld kann sie jetzt ihre Ernte einfahren. Nein, Bäuerin ist von Behrens keineswegs. Die 46-Jährige wohnt in der Stadt, arbeitet in der Medienbranche und kommt nur ein- bis zweimal pro Woche dazu, ihr Feld zu bestellen.

Wie viele andere, die in Stadtwohnungen leben, hat sie sich ihren Traum erfüllt, einen eigenen kleinen Garten anzulegen. „Eine Datsche mit vielen Blumen- und Gemüsebeeten wollte ich aber nicht haben“, sagt sie, „der zeitliche Aufwand dafür wäre für mich einfach viel zu groß gewesen.“ Da passte es gut, als sie davon hörte, dass Landwirte einen Teil ihrer Ackerfläche vermieten, damit man dort Kartoffeln, Gurken, Tomaten, Salate, Bohnen, Erdbeeren oder eben auch Zucchini anbauen kann.

„Meine Ernte“ heißt dieses Projekt, bei dem man in rund 20 stadtnahen Dörfern seinen eigenen Garten mieten kann. Von Aachen über Wiesbaden bis Berlin und Stuttgart finden sich solche paradiesische Ecken in ganz Deutschland verteilt.

Sonja von Behrens hat ihre Scholle in dem außerhalb Hamburgs gelegenen Norderstedt-Glashütte bei Bauer Rehders gefunden. Dicht an dicht finden sich hier gleich neben einem großen Maisfeld knapp 100 schmale Gärten, die verschiedenen Mietern gehören. Von Behrens’ kleines Stück Land befindet sich mittendrin. Wie sie ihren Abschnitt findet? Kein Problem: Vor jedem Garten befinden sich Schilder der Besitzer mit phantasievollen und ironischen Namen wie „Gemüserolle“, „Muttis Oase“ oder „Grünes Chaos“.

„Jungfern Garten“ heißt es bei von Behrens. Nur zwei Meter breit ist ihre Parzelle, dafür aber etwas über 22 Meter lang. Eine Grenze zum Nachbarn gibt es nicht. Augenmaß ist hier gefragt, um nicht die Früchte von Nachbars Garten zu ernten. „Gemüseklau gibt es hier nicht“, sagt die Hobby-Bäuerin, „ich ernte auf der kleinen Fläche ohnehin mehr als ich verbrauchen kann.“

Davon profitiert ihr Freundeskreis. Denn sie hat viel zu verschenken. Jetzt ist die Erntezeit von Wirsing, Rotkohl, Porree und Kürbissen. Anders als die Zucchini haben diese Gemüsesorten den vielen Regen gut überstanden. „Ich habe im ersten jahr viele Anfängerfehler gemacht und trotz Warnung des Landwirts, die Beete zusätzlich gegossen“, sagt von Behrens, „dabei war der Ackerboden bereits ausreichend feucht und vom Bauern vorher gut gedüngt.“ Die Verteilung der Wassermenge war anfangs ein Problem. Tomaten schlucken viel, Petersilie wenig Wasser. Also darf man sie nicht dicht nebeneinander anpfanzen.

Für Düngung und Anbau brauchen die Mietgärtner nicht zu sorgen. Die Bauern, die im Rahmen von „Meine Ernte“ die Felder zur Verfügung stellen, pflügen Ende Oktober/Anfang November alles um. Im März säen und pflanzen sie maschinell 20 Gemüsesorten und Blumen für den kommenden Sommer. Jeder Minigärtner erhält so je eine Reihe mit Spinat, Bohnen, Zuckerschoten, Porree, Radieschen, Rote Beete, Zwiebeln, Möhren sowie Kornblumen oder Sonnenblumen.

Letztere lassen jetzt kräftig die Köpfe hängen: zu wenig Sonne, zu viel Regen. Aber als von Behrens im Mai die erste Ernte einfuhr, war das ein Erlebnis: „Es lässt einem das Herz höher schlagen, wenn man im Frühjahr Radies­chen, Spinat oder Mangold oder Erdbeeren eigenhändig erntet. Es ist pure Freude.“

Eine Freude, die sie mit vielen anderen Mietgärtnern teilt. Wenn die Sonne scheint, bringt so mancher schon mal einen Liegestuhl mit und sieht von der Position aus seinen Pflanzen praktisch beim Wachsen zu. Die frische Landluft entspannt und entschädigt für die oft weite Anfahrt von der Stadt.

Doch auch Rückschläge müssen die Laienbauern verkraften. So war in diesem Jahr der Kohlrabi von der Kohlfliege befallen, die darin ihre Eier ablegt. Ernteausfälle gab es auch beim Weißkohl und Spinat, die beide von Würmern und Schnecken befallen waren. Das ist eben der Preis von „Bio“ und „Öko“, denn die Mietgärtner haben sich dazu verpflichten, keine leichtlöslichen Mineraldünger und chemischen Pflanzenschutzmittel einzusetzen.

Da ein Teil des Gartens frei bepflanzbar ist, muss man auch hier mangelnden bäuerlichen Erfahrungen Tribut zollen. So darf man zum Beispiel Petersilie nicht zu eng an Schnittlauch pflanzen, sonst graben sich die Pflanzen sprichwörtlich ge­gen­­seitig das Wasser ab und gehen ein. Erbeeren mögen keinen Schatten und Feuerbohnen brauchen lange Stangen, an denen sie ranken können.

„Das musste ich erst alles lernen“, sagt von Behrens, die ihre Bohnen jetzt an den Stängeln der Sonnenblumen ranken lässt. Und auch die Möhrenernte ging fast gründlich daneben. Da sie das junge Möhrenkraut anfangs nicht von Unkraut unterscheiden konnte, hatte sie beinahe alles gejätet.

Damit keine Tabula rasa auf dem Ackerland veranstaltet wird, hält Bauer Rehders wöchentlich eine Sprechstunde ab. Über einen Newsletter der bundesweiten Initiative „meine-ernte.de“ gibt es weitere Tipps für Anfänger.

Außerdem stehen Hacken, Spaten, Gießkannen und Eimer zur Verfügung, damit keiner sein Gartengerät mitbringen muss. 179 Euro kostet der Spaß für 45 Quadratmeter Land pro Jahr. „Es lohnt sich“, sagt von Behrens, „es ist ein Unterschied, ob man Lebensmittel mit eigener Hand anbaut oder vom Supermarkt holt. Es schmeckt tausendmal besser.“

Was zum perfekten Abendessen noch fehlt, ist der eigene Wein. Aber Hamburg liegt nun einmal nicht in einer Weinregion, sonst könnte man seinen eigenen Weinstock mieten. Viele Winzer an Moser, Saar oder an Saale-Unstrut bieten Patenschaften für einen Teil ihres Anbaugebiets an. Dafür erhält man seinen in separaten Fässern exklusiv hergestellten Wein mit eigenem Namenslabel. Je nach Jahrgang kann Ertrag und Qualität zwar erheblich schwanken, aber diese Erfahrung machen auch die Mietgärter.

Von Behrens Fazit für diese Erntesaison: „Ich konnte nicht einen Kohlrabi ernten, dafür aber gibt es jetzt Kürbis in allen Varianten zu essen.“ Wie so oft hat man von dem einen zu viel und vom anderen zu wenig, Harald Tews


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