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06.10.12 / Pickelhaube versus Blauhelm / Kriegsreporter verbindet eigene Erlebnisse mit denen seines Großvaters

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-12 vom 06. Oktober 2012

Pickelhaube versus Blauhelm
Kriegsreporter verbindet eigene Erlebnisse mit denen seines Großvaters

Nach dem Tod seines Vaters sollte Lutz Kleveman, Jahrgang 1974, eigentlich den Hof nahe Bremerhaven übernehmen. Um sich seinen familiären Pflichten für eine gewisse Zeit zu entziehen, beschloss er, um die Welt zu ziehen. Zehn Jahre lang reiste der Journalist zu den gefährlichsten Orten der Erde, vom Kosovo über Sierra Leone, Liberia und die Elfenbeinküste bis nach Nordkorea, Afghanistan und zum Irak. Öffentlichkeitswirksam berichtete er für den „Spiegel“ über kolumbianische Drogenringe, tschetschenische Rebellen und afrikanische Menschenhändler. In einem Interview bekennt Kleveman, „zornige junge Männer mit Schusswaffen“ seien damals sein Lieblingsthema gewesen. „Ich kam mit bösen Jungs immer gut klar. Mit Mut hatte das wohl wenig zu tun, ich fühlte mich einfach unverwundbar, wie ein verspielter junger Hund. Das Fürchten musste ich erst lernen.“

Auf schmerzhafte Weise erkennt er, wie sehr seine Faszination für Krieg und Gewalt in seiner eigenen Familiengeschichte wurzelt. Bereits sein Großvater Hans-Heinrich, ein preußischer Militarist, geriet als deutschnationaler Frontkämpfer während des Ersten Weltkriegs in russische Gefangenschaft. Enkel Lutz folgt seinem Weg mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Wladiwostok und verwebt die Erfahrungen seines Großvaters mit den eigenen. Ergebnis dieser doppelten Vergangenheitsaufarbeitung ist der autobiografische Entwicklungsroman „Kriegsgefangen. Meine deutsche Spurensuche“. Manchmal verhebt sich der Autor bei dieser Parallelmontage, wenn er sich altklug über die Kriegsgeneration zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhebt.

Dennoch bietet er einen spannenden, informativen und ehrlichen Einblick in seine Lehr- und Wanderjahre als Kriegsreporter. Erschreckend sind etwa seine Beobachtungen im Irak: „In einem Gebiet, so groß wie zwei Fußballfelder standen dutzende Männer und Frauen, mit Dischdascha-Kitteln bekleidet, und brachen mit Spaten, Schaufeln und manchmal ihren bloßen Händen den Erdboden um. Viele der Toten waren noch nicht völlig verwest, Haare und krustiges Fleisch hingen an ihren Knochen.“

Kritisch geht der Journalist mit sich ins Gericht und bezeichnet sich auch als „selbstsüchtigen jungen Schnösel“, der eine Straßensperre in Sierra Leone durchbricht, jähzornig einen einheimischen Fahrer wegen einer Kleinigkeit anschreit und leichtsinnig wettet, mit seinem alten Peugeot nach Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, durch tschetschenisches Krisengebiet zu fahren. Der deutsch-französische Publizist Peter Scholl-Latour, der ihm in Liberia das Leben rettete, ermahnte seinen Kollegen: „Sollten sich die Umgangsformen bei jungen Journalisten so degradiert haben, dass die spontane Solidarisierung in Krisensituationen, die wir älteren ein Leben lang als Selbstverständlichkeit betrachteten, heute nicht mehr zum elementaren Berufsethos gehören?“ Kleveman kontert: „Das war natürlich Unsinn, zumal zu guten Umgangsformen eher gehören sollte, dass man Menschen dunkler Hautfarbe nicht als Neger bezeichnet.“

Das Buch ist zudem ein Seitenhieb auf die heutige Medienwelt und den „Spiegel“: „Auf dem selbst ernannten Flaggschiff des deutschen Journalismus ging es unter Kapitän Stefan Aust oft erstaunlich dilettantisch zu.“

Kleveman hat dem Geschäft den Rücken gekehrt und arbeitet heute auf dem väterlichen Gut, das vor allem als Schulungszentrum genutzt wird. In seinem Nachwort sagt er rückblickend: „Der Journalismus, wie ich ihn ausgeübt habe, ist nichts für Erwachsene. Wer nicht spätestens mit Anfang 30 damit aufhört, wird Säufer oder geht seelisch daran zugrunde.“ Sophia E. Gerber

Lutz Kleveman: „Kriegsgefangen. Meine deutsche Spurensuche“, Siedler Verlag, Berlin 2011, geb., 480 Seiten, 22,90 Euro


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