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13.10.12 / Idee und Wirklichkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-12 vom 13. Oktober 2012

Idee und Wirklichkeit
von Manuel Ruoff

Beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit verwies der Festredner Bundespräsident Norbert Lammert auf ein Zitat des deutschen Regisseurs Wim Wenders: „Aus der europäischen Idee ist die Verwaltung geworden, und jetzt denken die Menschen, dass die Verwaltung die Idee ist.“

Ein analoges Phänomen gab es schon vor zwei Jahrhunderten. Aus der Französischen Revolution war die napoleonische Unterdrückung geworden und nun dachten die Deutschen – und nicht nur sie –, dass die napoleonische Unterdrückung die Errungenschaft der Französischen Revolution sei. Von Friedrich Meinecke stammt die Erkenntnis, dass die Deutschen durch die Erfahrung der napoleonischen Besatzungszeit von „Weltbürgern“ zu „Nationalisten“ geworden seien. Meinecke bietet damit eine entscheidende Erklärung für den in der Bundesrepublik so gerne beklagten „deutschen Sonderweg“, wobei ebenso selbstverständlich wie stillschweigend impliziert wird, dass der Weg an der Seite der Westmächte der normale sei.

Analoge Phänomene sind auch außerhalb Europas zu finden. Nicht immer ohne Arroganz wird bei uns in Politik und Medien beklagt, dass es der nicht-westlichen Welt an Begeisterung für die westlichen Werte mangele. Dabei wird bewusst oder unbewusst ausgeblendet, dass viele Völker – nicht zuletzt der islamischen Welt – die Erfahrung machen mussten, dass aus den Werten des Westens der Imperialismus wurde. Da darf man sich nicht wundern, wenn nicht nur Moslems, sondern auch Russen und Chinesen der interventionistischen Politik der „westlichen Wertegemeinschaft“, die sich früher „freie Welt“ nannte und nun unter der Bezeichnung „internationale Gemeinschaft“ daher kommt, skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

So viel zu Vergangenheit und Gegenwart. Kaum abzuschätzen wären die Folgen, wenn die Deutschen aufgrund der Fortsetzung der gegenwärtigen „Euro-Rettung“ die Erfahrung machen müss­ten, dass aus der europäische Idee nicht nur die zwar lästige, aber vergleichsweise harmlose Verwaltung geworden ist, sondern auch eine Geldentwertung in der Tradition von 1923 und 1948. Wenn die Deutschen mit der europäischen Währungsgemeinschaft ähnliche Erfahrungen machen würden wie ihre Vorfahren mit Napoleon und die islamische Welt mit dem Imperialismus der Westmächte, dann könnte sich wiederholen, was Friedrich Meinecke für die napoleonische Zeit festgestellt hat: dass in Deutschland aus „Weltbürgern“ „Nationalisten“ werden. Und niemand soll sich dann wundern, wenn in dem Falle den Deutschen die Alternative eines „deutschen Sonderweges“ attraktiver erschiene als eine Fortsetzung der Westbindung, als die Weiterverfolgung der europäischen Idee.


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