26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.10.12 / Wider die Wirklichkeitsverweigerung / Der bürgerliche Soziologe Helmut Schelsky plädierte dafür, sich von Sachgesetzen statt von Ideologien leiten zu lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-12 vom 13. Oktober 2012

Wider die Wirklichkeitsverweigerung
Der bürgerliche Soziologe Helmut Schelsky plädierte dafür, sich von Sachgesetzen statt von Ideologien leiten zu lassen

In Zeiten, in denen die Finanztöpfe für eine Heerschar von Wissenschaftlern, Journalisten und Kulturschaffenden aus „Kampf gegen Rechts“, „Gender Mainstream“ oder einer ineffektiven „Entwicklungshilfe“ bestehen und die geistige Korruption entsprechend um sich greift, wären Soziologen vom Schlage Schelskys wichtiger denn je. Am 14. Oktober wäre der gebürtige Chemnitzer 100 Jahre alt geworden.

Helmut Schelsky wuchs zur Zeit der politischen Jugendbewegung auf. Dem Nationalsozialismus schloss er sich an, war dem NS-„Weltanschauungspapst“ Alfred Baeumler aber ohne Sinn für die Rassenlehre. Schelsky wurde Assistent von Arnold Gehlen in Leipzig und Königsberg, auch von Hans Freyers in Budapest. Aus dem Kampf um Ostpreußen kam Schelsky 1945 als Verwundeter nach Flensburg. Er baute den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) auf, wurde zum Gegenspieler der Frankfurter Schule und forderte, was heute so wichtig ist: Realitätssinn.

In der jungen Bundesrepublik machte sich Schelsky zunächst als Hamburger Jugend- und Familiensoziologe einen Namen. Die 1953 vorgelegte Untersuchung „Wandlungen der Deutschen Familie in der Gegenwart“ behauptete eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ durch Aufstiegsmöglichkeiten auch der Vertriebenen. Ein Rückfall in totalitäre Borniertheit hielt Schelsky für strukturell unwahrscheinlich. Die Jugend von damals sei auch keine überschwängliche, sondern „Die skeptische Generation“, so der Titel eines 1957 in Düsseldorf veröffentlichten Werkes.

Zu dieser Zeit arbeitete Schelsky gewerkschaftsnah, war der SPD unter Willy Brandt aber bald zu konservativ. Er wagte es, die heilige Kuh „Mehr Demokratie wagen!“ zu schlachten. Der Aufsatz „Mehr Demokratie oder mehr Freiheit?“ von 1973 wurde zur Initialzündung für den erfolgreichen CDU-Slogan „Freiheit statt Sozialismus“. Es ging Schel­sky um die Behauptung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – nicht nur um eine demokratische Grundordnung. Doch es setzte sich bundesweit die Strategie durch, das gewaltenteilig geprägte Demokratieverständnis als undemokratisch abzutun. Der „Kampf gegen Rechts“, der immer auch als einer für mehr Demokratie ausgegeben wird, konnte daher im wiedervereinten Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen. Eine Demokratie, die nicht zwei Pole gleichberechtigt in sich aufnimmt, ist eine Farce, wusste Schelsky noch. Er bezog „bewusst konservative Denker“ wie Armin Mohler, Gerd-Klaus Kaltenbrunner oder Caspar von Schrenck-Notzing in seine Überlegungen ein, meinte für sich aber mehr ein Liberaler zu sein. Das war in den 1970er Jahren. Heute bezieht sich kaum jemand auf bekennende Konservative; sie bleiben auf Nischen verwiesen und dienen als Auslöserreiz für Abwehrreflexe einer nach Identität ringenden Linken. 

Für Schelsky gab es zwei Arten, Demokrat zu sein; erstens eine, bei der Demokratie für sich in Anspruch genommen wird, um sie anderen um die Ohren zu hauen; zweitens eine, die gelebt werden muss durch Respekt vor Andersdenkenden. Letzteres werde seltener. Darauf hätte sich die in den 1960er Jahren geborene Generation einzustellen, sie müsse „in den Untergrund gegenüber der herrschenden Publizität, Politisierung, Verschulung und Verwaltung“ gehen. „Eine neue Front des langen Atems“ sei nötig, „das kulturelle Erbe zu retten“.

Schelsky war zur Zeit der Planungseuphorie Planungsbeauftragter für die Reformuniversität Bielefeld. Diese Tätigkeit war Schelsky Ansporn, der Betreuung und Beplanung von Menschen soziologisch nachzugehen. Das war Teil einer „Suche nach Wirklichkeit“, wie sie Schelsky 1965 zum Titel seiner Schlüsseltexte erhöhte. 1973 referierte Schelsky dann zum Thema „Der selbständige und der betreute Mensch“, ein ganzer CSU-Parteitag jubelte zu. Der unter diesem Titel erschienene Band analysiert die heute Political Correctness genannte „Sprachherrschaft“, auch das „geborgte Elend“, mit dem eine wachsende Schar Linksintellektueller für immer mehr Umverteilung sorge, vor allem für sich selber. Die mit dieser Stoßrichtung 1975 vorgelegte Monografie „Die Arbeit tun die anderen“ wurde zum Bestseller.

Fachlich widmete sich Schelsky damals zunehmend der Rechtssoziologie. Er wollte die Bedingungen personaler Freiheit in Staat und Organisationen klären. Die Jurisprudenz dürfe sich nicht durch Politisierung außerjuristische Maßstäbe zu eigen machen. Das war vor allem gegen die Diskursethik von Jürgen Habermas gerichtet. Die Politisierung des Beamtentums war Schelsky nichts anderes als parteipolitische Ämterpatronage. Dass die Entfremdung von gewaltenteiligen Prinzipien unterhalb der Schwelle des rechtlich Greifbaren ablief, war Schelsky zu betonen wichtig. Denn hier fand die Schutzbehauptung ihren Ausgang, die angestellten Analysen seien wenig greifbar und sollten nicht wichtig genommen werden.

Schon länger ging es Schelsky um die Beachtung von Sachgesetzlichkeiten. Er schrieb 1961 die Abhandlung „Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation“, die zum Abstraktesten gehört, was er aufbot. Um so leichter konnten Kritiker Gegenbeispiele anmelden, die aufzeigen sollten, wo überall Demokratie oder Politisierung sinnvoll zum Zuge kommen sollten, statt auf Sachgesetze zu pochen. Der theoretische Gehalt ist allerdings schwer abweisbar: Wenn Sachgesetze durch Politisierung einfach überstimmt werden, wachsen sie wie Geschwüre. Abzulesen ist das an steigenden Staatsschulden. Auch die Einführung des Euros ließe sich als politisch motivierte Ignoranz gegen­über rechtzeitig angemeldeten Sachgesetzlichkeiten deuten.

Die Realität ist wie so oft komplex. Dieser Komplexität gerecht zu werden kann nur gelingen, wenn sich niemand von vornherein für einen besseren Demokraten hält, für besser aufgeklärt oder im Vollbesitz der Kenntnisse von Sachgesetzen. Schelsky wußte das, und er schloss ausdrück­lich auch seine eigene Fehlbarkeit ein. Er kritisierte 1975 in „Die Arbeit tun die anderen“ entsprechende Selbstherrlichkeiten bereits im Untertitel als Streber nach Priesterherrschaft im intellektuellen Gewand. Die treibende Kraft war für Schelsky bei alledem die Soziologie, weshalb sich der am 24. Februar 1984 in Münster gestorbene Wissenschaftler auch als – soziologisierenden – „Anti-Soziologen“ bezeichnete. Volker Kempf

Der Verfasser dieses Beitrags ist Autor des Buches „Helmut Schelsky – Wider die Wirklichkeitsverweigerung. Leben, Werk, Aktualität“, Olzog Verlag, München 2012.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren