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13.10.12 / Wie Libyen italienisch wurde / Vor 100 Jahren endete der italienisch-türkische Krieg – Erster Luftangriff der Weltgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-12 vom 13. Oktober 2012

Wie Libyen italienisch wurde
Vor 100 Jahren endete der italienisch-türkische Krieg – Erster Luftangriff der Weltgeschichte

Schon bevor das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg den finalen Todesstoß erhielt, war es nicht mehr gesund gewesen. Als „kranker Mann am Bosporus“ war es bereits im 19. Jahrhundert bezeichnet worden. Das einst das christliche Europa in Angst und Schrecken versetzende Reich war von einem Subjekt zu einem Objekt geworden. Dieses macht sehr schön eine Karikatur in der britischen Satirezeitschrift „Punch“ deutlich, die den Sultan zeigt, wie er erstaunt von einer Bekanntmachung Kenntnis nimmt, dass Russland, Frankreich und Großbritannien die Umwandlung seines Staates in eine Beteiligungsgesellschaft beschlossen hätten.

Doch nicht nur die Großmächte versuchten, das durch die Schwäche der Osmanen entstandene Machtvakuum zu füllen. Vielmehr war der rückständige Vielvölkerstaat von einer Reihe hungriger, nicht saturierter junger Nationalstaaten umgeben, die nach ihrem Teil von der augenscheinlich zu verteilenden Beute strebten. Das waren nicht nur die Nachbarn auf dem Balkan, sondern auch die die Gegenküste des osmanischen Tripolitanien bewohnenden Italiener.

Italien war schon damals ein Krisenstaat. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme waren groß, so dass der Auswanderungsdruck stark war. Allein zwischen 1901 und 1911 wanderten mehr als eineinhalb Millionen Italiener nach Amerika aus. Ähnlich wie in anderen Ländern gab es in Italien den Versuch, den Auswanderungswilligen als Alternative zu den klassischen Auswanderungsländern eigene Kolonien anzubieten, um sie dem Volkstum zu erhalten. Die Italiener waren indes eine verspätete Nation, hatten erst spät einen eigenen Nationalstaat gebildet und sahen sich deshalb vor der Herausforderung, im Eiltempo ein Kolonialreich wie die anderen Großmächte aufzubauen, denn immerhin betrachtete man sich ja zumindest selber auch als Großmacht.

Das Auge der italienischen Regierung fiel dabei auf die nordafrikanische Küste auf der anderen Seite des Mittelmeers, wo auch schon das Römische Reich Besitzungen gehabt hatte. Gegen die im Nordwesten Afrikas sitzenden Franzosen rechneten sich die Italiener keine realistischen Chancen aus. Aber dem kranken Mann am Bosporus seinen Teil Nordafrikas zwischen dem britischen Ägypten und Französisch-Nordafrika wegzunehmen, trauten sich die Italiener schon zu. Im Vergleich zu West- und Mitteleuropa war man zwar rückständig, aber im Vergleich mit dem Osmanischen Reich die reinste Hightech-Nation, auch auf militärischem Gebiet. So verfügten die italienischen Streitkräfte über Motorräder, Automobile, Funktelegrafie sowie Luftschiffe und Flugzeuge.

 Am 26. September 1911 forderte die italienische Regierung von der osmanischen Regierung ultimativ die sofortige Abtretung Tripolitaniens und der Cyrenaika. Als die Forderung nicht fristgerecht erfüllt wurde, erklärte das Königreich Italien dem Osmanischen Reich drei Tage später den Krieg.

Zur Vorbereitung der geplanten Invasion versuchten die Italiener als erstes, die Seeverbindung zwischen dem osmanischen Mutterland und seiner nordafrikanischen Exklave abzuschneiden und hierfür die Seeherrschaft über die Adria und das Ionische Meer zu gewinnen. Bereits am ersten und zweiten Kriegstag wurden drei osmanische Torpedoboote vor der albanischen Küste versenkt, womit dieses Ziel erreicht war.

Es folgte die Invasion mit einem 40000 Mann starken Expeditionsheer. Nachdem Tripolis am 3. Oktober sturmreif geschossen worden war, erfolgte am darauffolgenden Tag die Einnahme von Tripolis und Tobruk. Bis zum 14. Oktober nahmen die Italiener alle wichtigen Küstenorte Tripolitaniens und der Cyrenaika ein. Die Verteidiger zogen sich ins Landesinnere zurück.

Allerdings erwies sich die Eroberung des Landesinneren als schwieriger denn erwartet. Statt die Italiener als Befreier zu unterstützen, solidarisierten sich die dortigen Moslems eher mit ihren osmanischen Glaubensbrüdern als mit den europäischen Christen. Am 23. Oktober bereiteten die Araber mit den Türken den Italienern nahe der Oase Sciara Sciat eine empfindliche Niederlage. Die Frustration ob der eigenen Niederlage und die Enttäuschung über das Verhalten der Einheimischen entluden sich in einem Pogrom an der einheimischen arabischen Bevölkerung. Tausende Menschen wurden ermordet oder deportiert, Häuser verbrannt, Vieh beschlagnahmt. Nicht ohne Grund bezeichnete Lenin den Krieg als „ein vervollkommnetes, zivilisiertes Massaker, ein Abschlachten der Araber mit neuzeitlichsten Waffen“.

Im Zuge dieser vermeintlichen Strafaktion für den „Verrat der Araber“ kam es zu einer Premiere der Luftstreitkräfte. Am 1. November warf in der Nähe von Tripolis der italienische Leutnant Giulio Cavotti von einem Flugzeug aus eigenhändig über zwei Oasen Zwei-Kilogramm-Bomben auf lebende Ziele. Es ist bemerkenswert, dass bereits dieser frühe Luftangriff nicht legitimen militärischen Zielen galt, sondern der Terrorisierung der Bevölkerung diente.

Die Italiener versuchten es nun mit der Brechstange. Sie vergrößerten das Expeditionsheer auf 100000 Mann. Obwohl ihnen nur 20000 Araber und 8000 Türken gegenüberstanden, gelang auch damit nicht der Durchbruch. Die nächste Stufe der Eskalation war, dass die Italiener dazu übergingen, das Kriegsgebiet auszuweiten und die Osmanen frontal anzugreifen, wo sie sie treffen konnten. In den ersten beiden Monaten des Jahres 1912 vernichteten sie im Roten Meer sieben veraltete Kanonenboote sowie vor Beirut einige Barkassen, ein Küstenpanzerschiff und ein Torpedoboot. Auch wurde nun osmanisches Territorium außerhalb Afrikas angegriffen und Rhodos wie der Dodekanes gar besetzt.

Friedensbereit machte die Osmanen jedoch etwas anderes. Ihre Nachbarn auf dem Balkan zeigten Gelüste, es den Italienern gleich zu tun und nun ebenfalls den kranken Mann am Bosporus zu überfallen. Das empfand die osmanische Regierung als eine viel größere Gefahr, denn die fernen Italiener hatten es nur auf osmanische Exklaven abgesehen, die unmittelbaren Nachbarn auf dem Balkan wollten mehr. Im Frühjahr schlossen Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland einen gegen das Osmanische Reich gerichteten Bal­kan­bund. Gegen sie wollte das Osmanische Reich den Rücken frei haben und gab deshalb Italien nach. Am 18. Oktober 1912 schlossen die beiden Staaten in der neutralen Schweiz den Frieden von Ouchy. Tripolitanien und die Cyrenaika wurden italienisch, der Dodekanes blieb italienisch besetzt. Wenige Tage vor dem Friedensschluss erklärten die Balkanbundmitglieder dem Osmanischen Reich den Krieg.            Manuel Ruoff


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