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20.10.12 / Wenn die Alten zum Problem werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-12 vom 20. Oktober 2012

Moment mal!
Wenn die Alten zum Problem werden
von Klaus Rainer Röhl

Immerfort hört ich, wie die Mütter die Söhne verlieren“, beginnt die Klage einer Mutter in einem Theaterstück von Bertolt Brecht. Letzte Woche klagte auch eine Mutter, die 48-jährige „FAZ“-Redakteurin Inge Kloepfer, den Lesern ihr Leid. „Die Alten rennen der Jugend hinterher. Die aber wendet sich ab“, meint die Autorin. Frau Kloepfer ist nicht irgendeine Mutter. Sie ist die Autorin einer Biografie über die mächtigste Frau der Bundesrepublik, die Erbin des Springerkonzerns, Friede Springer. Ein Bestseller mit Voraus-Garantie. Wer wird die Hofberichterstattung über Friede Springer kritisieren wollen? Und in welcher Zeitung? In der „FAZ“ sitzt ja Frau Kloepfer selbst. Und die hat nun ein neues Thema: „Die Alten wollen nicht alt werden. Mode kennt kein Alter mehr, Haut, Haar und Hüften keine Jahresringe. Auch die Lebenseinstellung ist unschlagbar jugendlich. Waren die typischen Werte des Erwachsenseins einmal Autorität, Rationalität und Verantwortung, erscheinen diese heute gänzlich demodé. Es zählen Spontanität, Emotionalität und die Freiheit, jederzeit das zu tun, nach dem einem gerade ist.“ Und die 48-Jährige erzählt als Beispiel für die Abwendung der Jungen von den sich ihnen anbiedernden Alten eine Geschichte, die sich verdammt nach „selbst erlebt“ anhört: Eine noch nicht ganz alte, gern jung bleiben wollende Dame hatte auf Facebook ein Schnappschuss-Foto ihrer 18-jährigen Nichte gesehen und das mit „cool“ und „georgeous“ (entzückend) kommentiert. Kloepfer: „Die kühle Replik der Göre (mit einem Mal ist es eine Göre!) folgte am nächsten Tag: ,Das geht gar nicht. Bitte kommentiere nicht mehr!‘“ Gleichzeitig hatte die 18-Jährige die Tante aus dem Kreis der Personen, die ihre Facebook-Nachrichten einsehen dürfen, aussortiert. Dieses Beispiel ist das einzige in einem sechsspaltigen Artikel, das belegen soll, dass sich die Jugend von den Alten abwendet.

Zurück zu Brecht: Die alte Kommunistin bei Brecht weiß natürlich einen Rat: „Immerfort hört man, wie die Mütter die Söhne verlieren. Ich aber behielt meinen Sohn. Wie behielt ich ihn? Durch die dritte, gemeinsame Sache. Er und ich waren zwei: Aber die dritte; gemeinsame Sache; gemeinsam betrieben, war es, die uns einte.“ Der Kommunismus. Alles klar. Aber Brecht, unser größter kommunistischer und zugleich auch größter antikommunistischer Dichter, gibt den Alten einen Ratschlag, der für alle politischen Richtungen passt: Die gemeinsame Sache.

Die gemeinsame Sache muss nicht unbedingt der Kommunismus sein. Es kann auch eine gemeinsame Firma, ein Bauernhof, das Christentum, der Patriotismus und auch die Liebe zur deutschen Sprache sein. „Die“ Jugend wendet sich keineswegs von den Alten ab. Höchstens von den verkrampften „Anti-Aging“ betreibenden Hysterikern mit den Botox-geplätteten Falten, den gefärbten Haaren und den vom Schönheitschirurgen entfetteten Bäuchen und eben der Facebook-Mitgliedschaft. Nicht unser Problem.

Es gibt aber schon ein Problem zwischen Jung und Alt. Die Jungen wenden sich nicht ab, sie können es manchmal gar nicht abwarten, bis die Alten sterben. Die haben, als sie jung waren, die Bundesrepublik aufgebaut und Häuser gebaut und Geld für die Alterssicherung auf die hohe Kante gelegt. Das war mehr als ein Wirtschaftswunder. Inzwischen haben sie auch im Osten ein bisschen was für die Kinder und Enkelkinder auf die Seite gelegt. Schon zur Jahrtausendwende hatten die Erbauer des Wirtschaftswunders in Deutschland ein Vermögen von 2000 Milliarden Mark vererbt. Noch einmal so viel steht für die Kinder in den nächsten Jahren zu erwarten. Wie sagt man da? Danke! Danke, Papa und Mama.

Für manche jungen Leute tritt der „Erbfall“ offenbar nicht schnell genug ein, und das wird hinter vorgehaltener Hand diskutiert, auch in der CDU. Ist ja auch ein Problem: Da wird für 3200 Euro ein ultra-kleines Hörgerät angeschafft, zwei Monate später stirbt der Mann, und das Gerät ist hin. Ebenso wie die Zahnbrücke mit Platinspange für 5000 Euro.

Sie vergessen nur eins, meine Herren Politiker: Der 80-jährige Patient hat sein Hörgerät und die Platinbrücke selber bezahlt, auch wenn die Krankenkasse es ihm „bewilligt“. In diese Kasse hat er jahrzehntelang, seit seiner frühen Jugend, Beiträge eingezahlt. Er muss sich für die Gehhilfe, die Spange und den Ohrwurm nicht bedanken. Es war sein Geld, mit dem sie bezahlt wurden.

Die Alten leben zu lange, heißt es: Vorsorgeuntersuchungen mit den modernsten Methoden, bessere Medikamente und Heilungschancen bei Krebs, Herzschrittmacher, Kunstherz, Stents und Organ-Transplantationen bewirken, dass der Durchschnittsdeutsche heute viel länger lebt als vor 50 Jahren. Im Jahre 2030 wird der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung 29 Prozent betragen. Das ist ein Problem, sagen die Experten. Solch einen Experten möchte ich fragen: „Was sagen Sie Ihrem Vater, wenn er seinen 80. Geburtstag feiert: ‚Ich freue mich, dass du unter uns bist und wünsche Dir ein langes Leben‘ oder ‚Du bist ein Problem‘?“ Jemand, für den es keine Freude ist, dass sein Vater länger lebt, sondern ein „Problem“, hat übrigens Ursache und Wirkung verwechselt. Die Schuld liegt in der Regel bei ihm selbst: Er hat aus Egoismus und Bequemlichkeit zu wenig Kinder hinterlassen. Zu wenige Mitbürger also, die sich über unsere Anwesenheit freuen und bei den ersten Behinderungen oder Krankheiten helfen. So dass Altenpfleger aus dem Ausland angeworben werden sollen, wie gerade in Niedersachsen beschlossen.

Was tun, wenn die Alten zu lange leben? In dem amerikanischen Film „Soylent Green – Jahr 2022 … die überleben wollen“ werden alle Bürger in einem bestimmten Alter behördlich vorgeladen und in einen sanften Tod befördert: In angenehmer Umgebung sehen sie einen wunderbar plastischen und farbigen Film, der ihre schönsten Lebenserinnerungen widerspiegelt, zu denen man sich per Gehirnkontrolle Zugang verschafft hat, und sie zu sanfter Skill-Musik langsam einschläfert. Möge dieser Horrorfilm aus dem Jahre 1973 weiter nur eine Schreckensvision bleiben. Bis 2022 es ist es ja nicht mehr lange hin.

Ansätze zur Euthanasie werden noch vorsichtig diskutiert. Auffällig oft wird in den letzten Jahren empfohlen, bei klarem Verstand eine sogenannte „Patienten-Verfügung“, eine Art Testament, abzufassen. Ich finde das gefährlich. Sehr gefährlich. Wenn jemand sein Bewusstsein und seine Fähigkeit, sich zu artikulieren, verliert, soll die Verfügung gelten. Aber wer entscheidet dann über die Auslegung dieses Patienten-Testaments? Ärzte und Verwandte.

Ein Mann hatte einen Autounfall, fiel ins Koma und galt als unheilbar. Da er nicht mehr bei Bewusstsein war. Wäre jetzt sein Patienten-Testament zum Zuge gekommen, die lebensrettenden (teuren!) Apparate hätten abgestellt werden können, vielleicht wäre noch einiges an seinen Organen zur Transplantation tauglich gewesen! Der Mann aber erwachte aus dem Koma, wurde gesund und lebt heute noch. Er lebt gern. Wir auch.

Laufen wir der Jugend nicht nach. Freuen wir uns über gut geratene Kinder und Enkelkinder. Und wünschen wir uns, was man den älter Werdenden zu allen Zeiten gewünscht hat: Gesundheit und ein langes Leben!


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