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20.10.12 / Von Linken vereinnahmt / Biografie über den rastlosen Schriftsteller Kurt Tucholsky

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-12 vom 20. Oktober 2012

Von Linken vereinnahmt
Biografie über den rastlosen Schriftsteller Kurt Tucholsky

Auf seine preisgekrönte Karl -Marx-Biografie von 2010 hat der Produzent und Autor Rolf Hosfeldt unter dem Titel „Kurt Tucholsky. Ein deutsches Leben“ eine Biografie über Kurt Tucholsky (9. Januar 1890 bis 21. Dezember 1935) folgen lassen. Der politisch links stehende Satiriker, Gesellschaftskritiker, Kabarett-Liedtexter und Erzähler Kurt Tucholsky entstammte einer großbürgerlichen, jüdischen Familie. Sein Werk wird nach wie vor gelesen; es reflektiert wie kaum ein anderes den Zeitgeist des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik.

Nicht von ungefähr hat sich Rolf Hosfeldt der neuen Herausforderung zugewandt, ist er doch Verfasser mehrerer Bücher zur jüngeren deutschen Geschichte und hat über Heinrich Heine promoviert, den Tucholsky als Vorbild verehrte. Aufgrund der bis 2011 ausgelieferten 22-bändigen Gesamtausgabe mit Texten und Briefen Kurt Tucholskys ergab sich die Grundlage für eine neue Biografie über diesen ungemein produktiven Autor, der seine Artikel in mehreren deutschen Wochenzeitschriften und Zeitungen unter fünf Pseudonymen erscheinen ließ.

„Die Vorgeschichte des immer nervöser werdenden Europa, der mit Urgewalt einbrechende Krieg und vor allem die Nachgeschichte dieser die ganze Welt moralisch verändernden Ka­ta­strophe – das war der geschichtliche und seelische Rahmen für Kurt Tucholskys kurzes und intensives Leben.“ Der Satz steht am Ende des Auftaktkapitels; er lässt sich als Quintessenz eines Vorworts auffassen, das dem Buch leider fehlt. Dieses beginnt mit einer Reise nach Rheinsberg, die der 21-jährige Jurastudent im Sommer 1911 mit seiner Freundin und späteren ersten Ehefrau Else Weil unternahm. Der Ausflug inspirierte ihn zu dem

heiter-ironischen Capriccio „Schloss Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“, das wie sein spätes Echo „Schloss Gripshom“ (1931) zum Klassiker avancierte. Tucholsky fand in der Liebesgeschichte zu dem für ihn typischen Ton mit trocken-süffisanten, mitunter albernen Berliner Dialogen. Doch war diese Sprache nur eines von verschiedenen Ausdrucksmitteln, deren er sich wahlweise bediente. Für das links-intellektuelle Publikum von Siegfried Jacobsohns „Weltbühne“ verfasste er als freier Journalist politisch scharfe Essays, für die „Vossische Zeitschrift“ charmante Feuilleton-Kritiken.

Als ein Verfechter von bürgerlichen Werten und Normen ließ sich der linke Publizist weder von den Kommunisten noch von der SPD vereinnahmen. Hosfeldt stellt Tucholsky als zunehmend verzweifelnden Einzelkämpfer dar, der schließlich kapitulierte. Anfangs gehörte er zu der kleinen Gruppe von Intellektuellen, die an die Möglichkeit einer Demokratie und einer Republik glaubten. Nach den politischen Morden von 1922 warnte er immer eindringlicher vor einer Gefährdung von Frieden und Demokratie durch ein militaristisches Erbe des untergegangenen Kaiserreichs, wie Hosfeldt hervorhebt.

Vermittelt wird Tucholskys widersprüchlicher Charakter, werden seine innere Zerrissenheit und Rastlosigkeit, die durch häufige Ortswechsel und eine sich steigernde Reisetätigkeit zum Ausdruck kommt, aber auch durch seine Unfähigkeit, eine Ehe oder Beziehung länger als wenige Jahre aufrecht zu erhalten. Allerdings wird nicht recht klar, warum genau er sich von seiner zweiten Ehefrau trennte, der Deutschbaltin Mary Gerold. Sie war seine große Liebe.

Nach Hitlers Machtübernahme wurde Tucholsky die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Im Mai 1933 brannten auch seine Bücher auf den Scheiterhaufen der Nationalsozialisten. Gesundheitlich schwer angeschlagen starb Tucholsky am 21. Dezember 1935 in seinem schwedischen Exil – ob durch Selbstmord oder eine versehentliche Überdosierung von Schlaftabletten vermischt mit Alkohol, diese Frage konnte nie geklärt werden; Hosfeldt legt offenbar Wert auf diese Feststellung.

Nach dieser Lektüre versteht man zahlreiche zeitgeschichtliche Zusammenhänge viel besser, doch die komplexe Persönlichkeit dieses Ausnahmeschriftstellers bleibt im Grunde ein Rätsel. Dagmar Jestrzemski

Rolf Hosfeldt: „Kurt Tucholsky. Ein deutsches Leben“, Siedler Verlag, München 2012, geb., 319 Seiten, 21,99 Euro


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