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27.10.12 / Berlin, Totschlägerplatz / Gewalt eskaliert: Am Alexanderplatz offenbart sich Ohnmacht von Politik und Justiz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-12 vom 27. Oktober 2012

Berlin, Totschlägerplatz
Gewalt eskaliert: Am Alexanderplatz offenbart sich Ohnmacht von Politik und Justiz

In den 20er Jahren war „Berlin Alexanderplatz“ in Literatur wie Realität eine zweifelhafte Adresse. Nach einer Reihe brutaler Überfalle mit jüngst tödlichem Ausgang sind der von täglich gut 280000 Menschen besuchte Verkehrsknoten und die Sicherheit der Stadt insgesamt in Verruf. Schon 2011 hatte der Senat auf einem Gipfel zur inneren Sicherheit mehr Polizei versprochen. Doch die Metropole ist gefangen im Korsett aus Sparen und ideologischen Vorgaben.

Der aus Thailand stammende Jonny K. wurde nur 20 Jahre alt. Freunde beschreiben ihn als freundlich. Sie können nicht verstehen, warum er am 14. Oktober von einer Gruppe junger Männer nachts nahe dem Bahnhof Alexanderplatz solange getreten wurde, bis er ins Koma fiel. K. starb tags darauf im Krankenhaus trotz Intensivmedizin. Die Polizei geht von fünf türkischstämmigen jungen Männern als Täter aus. Einige von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die Gruppe hat demnach im nahen Klub „Cancun“ in einem abgetrennten Bereich mit gut 500 meist türkischen Gästen gefeiert. Beschreibungen der Fünf stimmen mit Zeugenaussagen über die Angreifer überein. Indes: Es gibt zwar Aufnahmen aus der Disco und Überwachungsbilder vom Bahnhof, aber keine der Tat. Noch immer ist die Videoüberwachung öffentlicher Räume unter Berlins Politikern und Verbänden umstritten und nur eingeschränkt möglich. Gut 40 Zeugen lieferten bisher bestenfalls einige Fotos ihrer Mobiltelefone von der Feier im „Cancun“. Sie dienen dem Abgleich mit Überwachungsbildern, denn die Täter brachen von dort Richtung Alex zur tödlichen Begegnung auf.

Früh legte die Presse sich auf eine Deutung als „rassistischer Übergriff“ fest. Die „südländische Herkunft“ der mutmaßlichen Täter trat zwar früh aus Ermittlungen zutage, wurde von den Medien aber weniger hervorgehoben. Dass bei Serientätern bestimmte Nationalitäten überdurchschnittlich häufig auftreten, ist nicht neu.

Am Montag war zumindest einer der fünf Täter namentlich ermittelt. Er ist der Polizei bereits durch andere Straftaten bekannt. Während die Beamten bei der Zeugensuche trotz 15000 Euro Belohnung gegen die Zeit arbeiten, diskutiert die Politik noch. Der in seiner eigenen Partei wegen Kritik an Parallelgesellschaften angefeindete Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), regte an, Fahrscheine um 30 Cent teurer zu machen als Beitrag für die Sicherheit. In einem Buch setzt er sich für Konsequenzen bei Regelverstößen und Straftaten ein: „Wo Staat drauf steht, muss auch Staat drin sein.“ Für solche Thesen erntete er bei einer jüngst eigens einberufenen Diskussion in der SPD-Parteizentrale herbe Kritik seitens führender Genossen. Der für die Veranstaltung angekündigte Bundesparteichef Sigmar Gabriel erschien gar nicht erst. Partei-Migrationsexperte Aziz Bozkurt wetterte hingegen heftig gegen Buschkowsky. Nun prescht Bozkurt im Chor mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor und fordert wie zahlreich andere Politiker mehr Polizei an städtischen Brennpunkten – „je mehr, umso besser“, so Friedrich. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) prüft, regelmäßig einen Streifenwagen am „Alex“ einzusetzen.

Die Idee einer festen Wache hat die für Polizeieinsparungen verantwortliche Politik bereits verworfen. Große Bahnhöfe wie Berlins Bahnhof Zoo beherbergten früher eine Nebenwache. Als die Bahn die Fernverbindungen vom Zoo abzog, bot sich ein Anlass, auch die Polizeiwache in Bahnhofsnähe einzusparen. Immerhin begrüßte Henkel Rufe nach mehr Bildüberwachung kriminalitätsbelasteter öffentlicher Räume, sagte aber auch: „Die Maschine kann den Menschen nicht ersetzen. Deshalb setze ich vor allem auf Polizeipräsenz.“

Die bleibt angesichts der Sparzwänge des Senats eine echte Herausforderung. Laut Medien ereignen sich am Alexanderplatz nämlich „eigentlich wenige Straftaten“. Auch das Lagebild der Polizei erkennt hier keinen Verbrechensschwerpunkt. Doch wenige Tage vor dem tödlichen Angriff war ein junger Mann mit einer Schreckschusspistole im Zwischendeck des U-Bahnhofs ausgeraubt worden. Ein Schuss verletzte seine Hand. Anfang des Monats war ein 23-Jähriger ebenfalls angeschossen worden, mit einer echten Waffe. Passanten fanden den lebensgefährlich Verletzten am Ausgang des Bahnhofs. Nur eine Notoperation rettete sein Leben. In beiden Fällen sind die Täter unbekannt und flüchtig. Am 10. Oktober nahm die Polizei eine Gruppe von drei Männern von 19, 27 und 30 Jahren sowie eine 16-Jährige fest. Sie sollen am 5. Oktober gemeinschaftlich einen 29-Jährigen am Alexanderplatz ausgeraubt, geschlagen und getreten haben.

Der „Alex“ ist also Schauplatz von Gewalt. Ein möglicher Grund: Der zentrale Platz ist von den Problembezirken Wedding und Neukölln aus schnell erreichbar und zieht von dort Jugendliche, auch solche mit Gewaltneigung, an. Das weite Gelände ist schwer zu überwachen, gerade die frühen Morgenstunden sind gefährlich, so ortskundige Polizisten. Wenn die Discos und Clubs schließen, treffen alkoholisierte Gruppen im Bahnhof aufeinander. Schon Blicke oder ein falsches Wort reichen, um Gewalt zu entfesseln.

Vielen Berlinern bleibt ein ungutes Gefühl in öffentlichen Räumen. Die Fahrgastbefragung der Berliner Verkehrsbetriebe vom September zeigt, wie sehr sich die Menschen mehr Sicherheit wünschen, die Abwesenheit von Mitarbeitern beklagen und Videoüberwachung akzeptieren. Sverre Gutschmidt


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