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27.10.12 / Stimmenzuwachs durch Beliebigkeit / CSU kann auf zahlreiche Erfolge verweisen – Konservative werden in eigenen Reihen bestenfalls geduldet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-12 vom 27. Oktober 2012

Stimmenzuwachs durch Beliebigkeit
CSU kann auf zahlreiche Erfolge verweisen – Konservative werden in eigenen Reihen bestenfalls geduldet

„Die CSU ist wieder bärenstark“, ruft Horst Seehofer in den Saal, und die 1000 Delegierten des CSU-Parteitags jubeln. Die Botschaft von Stärke und Geschlossenheit sollte vom Parteitag der CSU ausgehen – und in der Tat: Die Christsozialen stehen so gut da wie schon lange nicht mehr. Doch den Erfolg erkauft die CSU, vor allem Seehofer, mit inhaltlicher Beliebigkeit.

Die CSU segelt elf Monate vor der bayerischen Landtagswahl und der Bundestagswahl im Aufwind guter Umfragewerte: 48 Prozent der Befragten würden laut „Emnid“ bei der Landtagswahl CSU wählen, Seehofer persönlich erntet 51 Prozent Zustimmung. Zusammen mit der Dauerschwäche der Opposition (SPD 21 Prozent, Grüne zehn Prozent, „Freie Wähler“ acht Prozent) sowie FDP und Piraten bei je vier Prozent bedeutete das eine satte absolute Mehrheit für die „Schwarzen“.

Bayern kann ja auch einige bemerkenswerte Erfolge vorweisen: Das Bundesland ist der einzige Staat Europas, das nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt vorweist, sondern mit den Überschüssen Altschulden abbaut. Derzeit sind es noch offiziell 22 Milliarden Euro plus zehn Milliarden im BayernLB-Schattenhaushalt. Aber bis 2030 will Bayern komplett schuldenfrei sein. Weitere Spitzenplätze des Freistaats: Bayern hat in allen Vergleichstests die besten Schüler, was auf die Effektivität des klassischen dreigliedrigen Schulsystems hinweist. Bayern hat die niedrigste Arbeitslosigkeit, das höchste Pro-Kopf-Einkommen, die höchsten öffentlichen Investitionen, die höchsten Steuereinnahmen – und ist folglich mit großem Abstand größter Nettozahler im Länderfinanzausgleich. Damit finanziert Bayern nicht nur Nürburgring, sondern auch die rot-grüne Wohlfahrtspolitik in Nordrhein-Westfalen und das Chaos am Hauptstadtflughafen in Berlin mit.

Aber wer jetzt schon von einer Rückkehr des konservativen Kerns in Deutschland träumt, sei gewarnt: Die CSU erkauft den demoskopischen Erfolg in Wirklichkeit mit inhaltlicher Beliebigkeit und einer Abkehr vom Konservatismus. Das beste Beispiel hierfür ist Seehofer selbst: Der kann nachmittags genauso überzeugend als „Herz-Jesu-Marxist“ argumentieren wie vormittags liberal, konservativ oder grün. Er kann heute den um die deutschen Spareinlagen besorgten Griechenland-Kritiker geben – oder seine Wachhunde Markus Söder und Alexander Dobrindt vorbellen lassen – aber genauso schnell kann er diese Wachhunde morgen zurückpfeifen und einer Streckung der Griechenland-Sanierung auf Deutschlands Kosten zustimmen. So gab sich Seehofer auf dem Parteitag gegenüber der soeben aus Brüssel gekommenen Kanzlerin plötzlich wieder lammfromm, unterwarf sich den allerneuesten Euro-Beschlüssen – was sollte er auch dagegen tun? – und hofft dafür auf Merkels Hilfe bei den Herzensanliegen der CSU wie dem Betreuungsgeld.

In den letzten Jahren hat Seehofer alle Themen abgeräumt, aus denen Rot-Grün in den Wahlkämpfen eine Rückständigkeits-Kampagne gegen die CSU stricken könnte: Er entsagte der Kernkraft und nimmt nun wegen der Energiewende steigende Strompreise in Kauf. Er stimmte der Abschaffung der Wehrpflicht zu. Vor einem Jahr beschloss der CSU-Parteitag auf seinen Vorschlag hin eine 40-Prozent-Frauenquote für Landes- und Bezirksvorstände – von Konservativen und der Jungen Union als Kotau vor Feminismus und Gender Mainstreaming gegeißelt. Diese vermeintliche „Modernität“ der CSU hat sich aber auch bis in die Basis vorgearbeitet: Einer der letzten Christlich-Wertkonservativen, der Aschaffenburger Bundestagsabgeordnete Norbert Geis, wurde von den örtlichen Delegierten nicht mehr als Direktkandidat aufgestellt. Ironischerweise ist seine Nachfolgerin ausgerechnet Scheidungsanwältin.

Auch stellen Beobachter erstaunt fest, dass nach dem Verlust des Wirtschaftsministeriums in Bund und im Land sowie nach dem Abgang von Edmund Stoiber, Erwin Huber und Otto Wiesheu die CSU kaum noch über klassisch-liberale Wirtschaftskompetenz verfügt. So hat beispielsweise der Verband der Bayerischen Wirtschaft (vbw), der der CSU durchaus freundschaftlich zugetan ist, bei Expertengesprächen einige Probleme, bei der CSU adäquate Gesprächspartner zu finden.

Und nur unter dem Rubrum „Ruhigstellung der 15 Prozent Konservativen“ ist auch die Reaktivierung des rhetorisch nach wie vor brillanten Euro-Skeptikers Peter Gauweiler und des bajuwarischen Chef-Separatisten Wilfried Scharnagl zu verstehen. Sie stehen nun – mit Seehofers Segen – einer neuen Arbeitsgruppe „Bayern zuerst“ vor, die vor allem argumentative Schützenhilfe für mehr Eigenständigkeit Bayerns und die Rückholung von Kompetenzen aus Berlin und Brüssel leisten soll. Der konkrete Nutzwert für die Konservativen dürfte allerdings bei Null liegen.

Sowohl der Mangel an politischer Grundsatztreue als auch an politischen und rhetorischen Talenten wurde in der Debatte über den neuen Europa-Leitantrag deutlich: Das vorherige Europa-Papier war erst vor einem Jahr verabschiedet worden. Aber die damaligen Festlegungen, etwa gegen Schuldenübernahme anderer Länder, waren mittlerweile durch die Realpolitik der Regierung Merkel überholt worden, man musste nun nachziehen. Bemerkenswert die Debatte selbst: Einzig Euro-Skeptiker Gauweiler und Finanzminister Söder vermochten die Delegierten mit rhetorischen Spitzen aus ihrer Lethargie zu reißen. Trotzdem war der Antrag wachsweich genug formuliert, dass sich alle wiederfanden: Er wurde einstimmig verabschiedet. Immerhin steht in ihm die Forderung nach Volksabstimmung vor weiteren Kompetenzverlagerungen nach Brüssel und größeren Verpflichtungsübernahmen. Doch wie kommentierte es ein Delegierter so schön? Papier ist geduldig. Anton Heinrich


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