Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-12 vom 27. Oktober 2012
Den USA Dank abgestattet Es war gewagt, sich im Oktober 1962 in eine Super-Constellation zu setzen, um von Hamburg aus in die USA zu fliegen. Nicht etwa weil Langstreckenflüge in Propellermaschinen seinerzeit gefährlich gewesen wären, sondern weil die Kubakrise gerade ihren Hö-hepunkt erreichte und ein Atomkrieg drohte. Auf Einladung des US-Außenministeriums wagte Siegfried Lenz diesen Schritt. Kubakrise hin oder her – der 36-Jährige entschloss sich zu der 44-tägigen Reise vor allem auch, weil ihn eine Rede des US-Präsidenten John F. Kennedy neugierig auf die neue Welt machte. Seine Erfahrungen notierte er in seinem „Amerikanischen Tagebuch 1962“, das jetzt, exakt 50 Jahre später, bei Hoffmann und Campe erschienen ist (160 Seiten, 19,99 Euro). Als der 1926 im ostpreußischen Lyck geborene Lenz abreiste, war er in den USA noch unbekannt. Seine bedeutensten Romane waren da noch gar nicht geschrieben. „Deutschstunde“ und „Heimatmuseum“, die sich um das Schicksal des Malers Emil Nolde beziehungsweise um seine Heimat Masuren drehen, erschienen erst 1968 und 1978. Sein früher Ruhm beruhte in erster Linie auf seinem Erzählband „So zärtlich war Suleyken“, der 1955 zum Bestseller wurde. Darin nähert er sich der Erzählweise von Autoren wie Faulkner, Steinbeck oder Hemingway an. Nun kam er mit Freude in das Land, das diese Autoren hervorgebracht hatte. Und er wollte den „Staaten“ Tribut zollen, die Westdeutschland beim Wiederaufbau geholfen hatten. „Wir haben den Siegern viel zu verdanken, auch in diesem Land“, sagte Lenz bei einer Buchvorstellung. Auf kritische Töne gegenüber der US-Politik verzichtet Lenz im Tagebuch. Die Kubakrise erlebt er nur am Rande durch die Zeitungsschlagzeilen an den Kiosken mit. Ansonsten ist er wie ein Anthropologe unterwegs, um Verhalten und Gewohnheiten der US-Amerikaner zu studieren. „Ich nehme mir vor, eine Weile hinter einem Amerikaner herzugehen“, schreibt er. Dann beobachtet er „die gewisse Einsilbigkeit amerikanischer Männer, besonders Taxifahrer“, um hinzuzufügen, „einstweilen kein Land, in dem ich leben möchte“. Kritisch beurteilt Lenz, der die Hungerjahre nach dem Krieg miterlebt hat, die Verschwendungssucht der US-Bürger: „Dies Land scheint so reich zu sein, dass es alles (vor allem Essen) wegwirft, was nicht mehr brandneu ist.“ Lenz ist Erzähler, weniger ein Autobiograf. Über Privates und sein Gefühlsleben erfährt man wenig. Trotzdem gibt sein Tagebuch einen bislang nur wenig bekannten Einblick in die USA der früher 60er Jahre. Auf die Frage, ob noch weitere Reisetagebücher folgen, antwortet Lenz kryptisch: „Da müssen Sie meine Frau fragen.“ Es ist damit zu rechnen, dass sich weitere Funde auftun. Da die Erzählerstimme des 86-Jährigen langsam verstummt, wollen Autor wie Verlag aus den schriftstellerischen Resten noch möglichst viel Kapital schlagen. Die Konvertierung seiner Werke in E-Book-Format sowie Hörbuch-Veröffentlichungen leisten da der Resteverwertung Vorschub. Harald Tews |
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