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27.10.12 / Die Spirale im Kopf / Von hypnotischer Wirkung: Hundertwasser-Schau in Bremen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-12 vom 27. Oktober 2012

Die Spirale im Kopf
Von hypnotischer Wirkung: Hundertwasser-Schau in Bremen

Die gerade Linie war ihm ein Dorn im Auge. Gegen Rechtecke, Quadrate und andere geometrische Figuren lief der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser regelrecht Sturm. Ein Beispiel dafür sind vor allem seine architektonischen Arbeiten wie das „Hundertwasser-Haus“ in Wien oder der Bahnhof im niedersächsischen Uelzen, die sich dank ihrer runden und gewundenen Formen zu Kunst- und Touristenattraktion entwickelt haben.

Seine bunten Häuser hat der Künstler erst ab den 70er Jahren geschaffen. Doch es gibt auch einen weniger bekannten Hundertwasser vor dieser Zeit, und den kann man jetzt in der Kunsthalle Bremen entde­cken. „Gegen den Strich – Werke 1949 bis 1970“ heißt doppeldeutig diese faszinierende Schau, die bis zum 17. Februar 2013 zu sehen ist.

Hundertwasser hat als Ökonarr, der sich für die Erhaltung des Regenwaldes ebenso wie für die Komposttoilette eingesetzt hat, ähnlich gegen den Strich gelebt, wie er gemalt hat. Auf den über 100 Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Grafiken ist nirgends eine Gerade zu sehen. Die wachsende, organische und ungerade Linie bildet das Zentrum seiner Kunst und seines naturverbundenen Ansatzes. Früh hat er die Spiralform für sich entdeckt. Sie taucht in nahezu allen Variationen auf:  Spiralkopf, Spiralaugen, Spiralbrüste und sogar Spi­ralarme – so zum Beispiel bei seinem Frauenporträt „Die politische Gärtnerin“ von 1954.

Fast kommt man sich wie bei einem Hypnotiseur vor, bei dem man durch eine sich drehende Spirale in Trance versetzt wird. Verstärkt durch die mit einer intensiven Farbvielfalt gemalten, wuseligen Bilder, dreht sich einem irgendwann der Kopf. Und auch die expressiv-leuchtenden Werke können nicht verhindern, dass sich auf monotoner Dauer eine gewisse Ermüdung einstellt.

Geweckt wird man dann aber wieder von originellen Hundertwasser-Zitaten: „Die gerade Linie ist keine schöpferische, sondern eine reproduktive Linie. In ihr wohnt weniger Gott und menschlicher Geist, als vielmehr die bequemheitslüsterne, gehirnlose Massenameise.“ So heißt es jedenfalls in seinem „Verschimmelungs-Manifest“ von 1958. Hundertwasser, der 1928 in Wien als Fried­rich Stowasser geboren wurde, war dann auch so etwas wie ein Bürgerschreck, der mit Performance-Kunst und „Nacktreden“ gerne mal provozierte. 1959 bemalte er mit dem damaligen Künstlerkollegen Bazon Brock in der Hamburger Hochschule für Bildende Künste die Wände, Fenster und Decke eines Ateliers mit einer endlosen Linie, die sich spiralförmig in die Höhe wand. Diese unerlaubte Graffiti-Aktion führte zum Eklat und anschließend zu Hundertwassers Rücktritt von seiner Gastdozentur.

Bis heute gilt diese „Linie von Hamburg“ als Geburtsstunde der europäischen Aktionskunst. In Zusammenarbeit mit dem jetzt 76-jährigen Bazon Brock hat die Kunsthalle Bremen diese Linie neu inszeniert. So wurde vor der Ausstellung 48 Stunden lang – diesmal mit dem Einverständnis aller Autoritäten – ununterbrochen eine Linie gezogen und die große Galerie in eine endlose Spirale verwandelt. „Linie des Lebens“ heißt diese Aktion, an der Hundertwasser seine Freude gehabt hätte. Er selbst ist nicht mehr am Leben, starb er doch vor zwölf Jahren auf der Rückreise von Neuseeland nach Europa an Bord des Passagierschiffs „Queen Elizabeth 2“. Harald Tews

Zur Ausstellung erscheint im Hatje Cantz Verlag ein Katalog mit 160 Abbildungen und Texten unter anderem von Hundertwasser. Preis: 29 Euro.


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