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17.11.12 / »Enge Verflechtungen führten ins Desaster« / Der frühere schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Werner Marnette über Fehler bei der HSH Nordbank

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-12 vom 17. November 2012

»Enge Verflechtungen führten ins Desaster«
Der frühere schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Werner Marnette über Fehler bei der HSH Nordbank

Hamburg und Schleswig-Holstein werden offenbar bald für Milliarden-Verluste ihrer Landesbank in die Verantwortung genommen. Werner Marnette erklärt der PAZ, warum der Bund helfen muss. Die Fragen stellte Rebecca Bellano.

PAZ: Bereits vor über einem Jahr reagierte ein HSH-Nordbank-Mitarbeiter aus dem Bereich Schiffsfinanzierung auf den Hinweis, dass er ja noch „im soliden Bereich“ der wegen Spekulationsgeschäften angeschlagenen Landesbank arbeite, mit einem auffällig hysterischen Gelächter. Erst aufgrund der aktuellen Meldungen erschließt sich die Ursache für das Gelächter. Doch wie kann es sein, dass die riesigen Probleme der HSH Nordbank in all ihrem Ausmaß im eigentlichen Brot-und-Butter-Geschäft der Bank erst jetzt ans Licht der Öffentlichkeit gelangen?

Werner Marnette: Die Risiken der Schiffsfinanzierung waren bei der HSH bereits Anfang 2009 längst bekannt. Sie wurden aber nach meiner Einschätzung vom Aufsichtsrat und vom Vorstand der Bank aus „strategischen Gründen“ totgeschwiegen, weil das Image des größten Schiffsfinanzierers der Welt nicht gefährdet werden sollte. Denn es schien einfacher, den Zusammenbruch der Bank mit Lehman Bros. und den Risiken im Kreditersatzgeschäft zu begründen. Noch im März 2009 lehnte es der für die Schiffsfinanzierung zuständige HSH-Vorstand ab, für den Bereich Shipping eine adäquate Erhöhung der Risikovorsorge vorzunehmen. Tatsächlich ist die exzessive Ausweitung der Schiffsfinanzierung ein wesentlicher Grund für das HSH-Desaster.

PAZ: Welche Auswirkungen dürften die neusten Meldungen auf die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg haben?

Marnette: Die jüngsten Mitteilungen der HSH sind äußerst besorgniserregend, kommen aber nicht überraschend. Ich gehe davon aus, dass in 2012 und in den Folgejahren die Zweitverlustgarantie der beiden Bundesländer beansprucht werden muss und es zu weiteren Belastungen der Landeshaushalte in Milliardenhöhe kommen wird. Wenn nicht schnell gegengesteuert wird. Was nur wenigen bekannt ist: Der Unternehmenswert der Bank ist dramatisch gefallen. Der Fonds, der Anteile der beiden Bundesländer an der Bank hält, musste Anfang 2012 fast 1000 Millionen Euro abschreiben. Der tatsächliche Abschreibungsbedarf dürfte noch viel höher liegen. Es ist kaum vorstellbar, dass bei einem eventuellen Verkauf der Bank diese Verluste rückgängig gemacht werden können. Insofern ist bereits heute ein erheblicher Vermögensschaden für die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg eingetreten.

PAZ: Sie plädieren dafür, dass die Bank Unterstützung vom Bund erhält. Wieso?

Marnette: Von einer Fortsetzung des bisherigen Sanierungskurses muss dringend abgeraten werden. Denn der ist gescheitert und wurde bisher durch bilanzielle Korrekturen und Bewertungen, wie der Reduzierung der Risikovorsorge, verschleiert. Auch eine zurzeit diskutierte Erhöhung der Zweitverlustgarantie kann nur eine Scheinlösung darstellen. Sie führt lediglich zu einer unkontrollierbaren Verlagerung der Risiken in die Zukunft. Darüberhinaus muss mit zusätzlichen harten Auflagen der EU gerechnet werden, wodurch die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells noch stärker in Frage gestellt würde.

Die geordnete Abwicklung stellt durchaus eine realisierbare Handlungsoption dar. Ich gebe aber einer Problemlösung unter Risikominimierung durch eine Bund-/Länderlösung den Vorzug. Bereits 2008/2009 wäre der Bund dazu bereit gewesen. So habe ich die Aussagen des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück jedenfalls interpretiert. Dies ist von den früheren Landesregierungen bisher abgelehnt worden, weil der Bund die Offenlegung aller Fakten verlangt hätte.

Im November 2010 mahnte der damalige Bundesbankpräsident Axel Weber mit drastischen Worten die Neuordnung der Landesbanken an. Auch forderte er die Landesbanken zur Nutzung von Staatshilfen, das heißt Liquiditätsgarantien, Eigenkapitalzuschüssen und Auslagerung riskanter und nicht strategischer Vermögenswerte in externe Bad Banks, auf. Die Mahnungen Webers blieben unbeachtet. Und erneut erfolgte eine kategorische Ablehnung einer Bundeslösung durch die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg.

Durch die Regierungswechsel in Hamburg und in Kiel sind hoffentlich andere Vorraussetzungen eingetreten. Und die Chance für eine gemeinsame Lösung mit dem Bund besteht weiterhin. Sie wird mit erheblichen, aber planbaren Kosten verbunden sein. Aber, sie wird beide Länder von der unkontrollierten Last hoher zweistelliger Milliarden-Risiken befreien. Auch wird sie dazu beitragen, Lösungen für die gesunden Bereiche der Bank zu finden und die Arbeitsplätze qualifizierter Bankmitarbeiter zu sichern. Ich trete daher der verbreiteten Meinung, „Weiterwurschteln ist billiger“, entschieden entgegen.

PAZ: Inzwischen gibt es Kritik an Aufsichtsratschef Hilmar Kopper. Ist diese Ihrer Meinung begründet oder sucht man einen Buhmann für das sich anbahnende Milliarden-Desaster?

Marnette: Mitte 2009 war ich durchaus von der Bestellung Koppers angetan, weil ich gegenüber dem Vorgänger wichtige strategische, aber auch unternehmens-ethische Veränderungen erhoffte. Diese Hoffnung hat sich schnell zerschlagen. Die Bank hat sich auch nach 2009 durch eine Anhäufung von nachgewiesenen beziehungsweise nicht abschließend geklärten Vorfällen zu einer skandalbehafteten Bank entwickelt. Gegen Verantwortliche der Bank laufen nach wie vor Rechtsverfahren wegen des Verdachts der Untreue. Auch ist es Herrn Kopper nicht gelungen, das seit langem bestehende Personalchaos, verbunden mit hoher Fluktuation, auf den ersten Führungsebenen der Bank zu beseitigen. Alleine der hierdurch entstandene Qualitäts- und Vertrauensverlust macht eine Sanierung der Bank praktisch unmöglich.

PAZ: Seit Beginn der Bankenkrise gibt es Rufe nach mehr staatlicher Aufsicht für Banken, dabei saßen zahlreiche Politiker in den Aufsichtsräten der Landesbanken. Wie beurteilen Sie als einstiger Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, der zuvor Chef der Norddeutschen Affinerie AG war, diesen Widerspruch?

Marnette: Der Staat muss Regeln vorgeben, nach denen Banken zu arbeiten haben. Und die Einhaltung dieser Regeln hat er schärfstens zu überwachen. Aber sonst müssen sich Staat und Politik aus dem Bankengeschäft heraushalten. Hier hat der Staat kläglich versagt. Insofern tragen der Staat beziehungsweise die staatlichen Organe wie die Bankenaufsicht BaFin eine erhebliche Mitschuld am Banken-desaster, auch bei der HSH Nordbank. Die BaFin hätte bereits vor der Finanzkrise erkennen müssen, dass bei der HSH sehr risikoreiches Wachstum betrieben wurde, um einen Börsengang zu ermöglichen. Dies war vorwiegend politisch getrieben. Bis heute hat es die Bundesregierung versäumt, die Landesbanken neu zu ordnen oder sogar abzuschaffen. Der Widerstand der Länderregierungen, die alle ihre eigene Bank besitzen wollen, ist offenbar zu groß. Dennoch muss die enge Verflechtung von Politik und Finanzen, die insbesondere bei einigen Landesbanken zum Desaster geführt hat, dringend abgeschafft und zukünftig verhindert werden.

PAZ: 2009 sind Sie wegen Unzufriedenheit mit dem Umgang mit der HSH-Nordbank-Krise als Minister zurückgetreten. Was hätten Sie anders gemacht?

Marnette: Mir hat die Tätigkeit als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr sehr viel Freude gemacht. Und ich glaube, dass ich auch erfolgreich war. Leider kam das Thema HSH Nordbank dazwischen, was eigentlich nicht zu meinem Ressort gehörte. Aber als Regierungsmitglied und Mann der Wirtschaft wollte ich unvernünftige Entscheidungen, die zu Lasten der Bürger gingen, nicht mittragen. Heute würde ich mich in der Sache genauso verhalten. Ich würde allerdings versuchen, rechtzeitig starke Allianzen bei den Bürgern, bei den Abgeordneten und in der Wirtschaft zu suchen. Nur so lässt sich die Machtausübung einiger weniger zu Lasten der Mehrheit verhindern. Genau deshalb engagiere ich mich auch heute noch in dieser Thematik.


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