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17.11.12 / Interessantes Wechselbad / Fakten und Emotionen: Ursula Sarrazin übt massive Kritik am Schulsystem

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-12 vom 17. November 2012

Interessantes Wechselbad
Fakten und Emotionen: Ursula Sarrazin übt massive Kritik am Schulsystem

Nicht erst die unsäglichen Vorkommnisse an der Rütli-Schule machten klar, dass das Bildungssystem der Bundesrepublik vor massiven Problemen steht. Ursula Sarrazin leistete nun ebenfalls Widerstand. Nach ihrem Feldzug gegen Mittelmäßigkeit, Ungehorsam sowie motivationslose Eltern und Schüler stand die Lehrerin am Ende alleine dar. Verlassen von den Kollegen, vom Schulamt verleumdnet und von Eltern bedrängt. Das vorzeitige Ausscheiden aus ihrem Beruf war die Folge. Mit ihrem Buch „Hexenjagd. Mein Schuldienst in Berlin“ versucht sie nun, es ihrem Mann Thilo gleichzutun und sich in die Riege der Bestsellerautoren einzureihen. Persönliche Abrechnung inklusive!

Gegliedert ist Sarrazins Buch in sechs Kapitel: die Kinder, Noten, die Eltern, der Lehrer, die Schulleitung und die Schulaufsicht. Ähnlich nüchtern wie die Gliederung gestaltet sich auch der Schreibstil der ehemaligen Lehrerin. Auf 287 Seiten springt Frau Sarrazin oft zwischen den vielen Jahren ihrer Tätigkeit als Lehrerin hin und her. Manchmal hat man als Leser ein wenig das Gefühl, die Übersicht zu verlieren, bevor sachliche und nüchterne Fakten zum Berliner Schulalltag die Gedanken wieder zu ordnen beginnen. Auch wenn das umstrittene Werk nicht durch sprachliche Hochgenüsse zu überzeugen weiß, leistet es durch die weitestgehend sachlichen Schilderungen und Anekdoten der Autorin zur Berliner Bildungsmisere doch einen entscheidenden Beitrag zur stetigen Bildungsdebatte in der Bundesrepublik, die in den letzten Monaten wieder ein wenig einzuschlafen drohte.

Die knapp 20 Jahre Berufserfahrung in Bonn, Köln oder Mainz lassen wenig Grund zur Annahme, dass Frau Sarrazin die Kompetenzen zur Einschätzung der gegenwärtigen Lage in der Hauptstadt fehlen könnten. So macht die Autorin an einigen Stellen ganz deutlich, dass sich Berliner Grundschulen massiv von denen im Westen der Republik unterscheiden würden. Besonders der Einsatz von Lehrpersonal auf fachfremdem Gebiet sei ein klarer Ausdruck für die missgeleitete Bildungspolitik. Sarrazin selbst musste etwa Naturwissenschaften unterrichten, ohne selbst die nötigen Qualifikationen zu besitzen. Generell lässt die Autorin an vielen Stellen des Buches durchblicken, welche Vorstellungen man in Berlin heute von den Begriffen Leistung und Fleiß besitzt. Da werden Kinder trotz mangelhafter Noten versetzt, Strafen durch störrische Eltern boykottiert und strenge Lehrer durch das Schulamt gemaßregelt.

Es gilt jedoch ebenso, einige Ausführungen der Autorin kritisch zu hinterfragen. Denn neben einem sachlichen Bericht zur Lage in Berliner Grundschulen liefert uns Sarrazin außerdem eine ganz persönliche Abrechnung ihrerseits mit missmutigen Eltern, dem Schulamt, ihrer ehemaligen Schule sowie vielem mehr. Beachtlich ist dabei, dass die Autorin alle ehemaligen Kontrahenten beim Namen nennt. Mutig und ein wenig unpassend zugleich. Der Leser sollte stets versuchen, die sachlichen und nützlichen Schilderungen vom gelegentlichen Abgleiten Sarrazins in persönliche Fehden zu trennen. So wird aus einem mittelmäßigen Buch noch eine gewinnbringende Lektüre. Philip Stein

Ursula Sarrazin: „Hexenjagd. Mein Schuldienst in Berlin“, Diederichs, 2012, gebunden, 287 Seiten, 17,99 Euro


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