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24.11.12 / Am Rhein hat die fünfte Jahreszeit begonnen / Zwischen rheinisch-katholischer Ausgelassenheit und preußisch-pietistischer Strenge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-12 vom 24. November 2012

Am Rhein hat die fünfte Jahreszeit begonnen
Zwischen rheinisch-katholischer Ausgelassenheit und preußisch-pietistischer Strenge

Es klingt paradox – aber der offizielle Karnevalsspaß ist eine ernste Angelegenheit mit festen Regeln und preußischer Ordnung. Schon 1823 organisierten sich die Kölner Narren, vor 189 Jahren also. Sie regelten die rheinländische Ausgelassenheit und erreichten damit die Duldung und Akzeptanz der preußischen Obrigkeit. Denn seit 1815 gehörte die ehemalige Freie Reichsstadt Köln zum preußischen Staat.

Fastnacht und Karneval wird an vielen Orten in der Welt und auch in Deutschland gefeiert. Am heftigsten wohl entlang des Rheins, in Mainz, Köln und Düsseldorf. Dort fällt der Startschuss zum närrischen Treiben traditionell bereits am elften November. Dann beginnt die „fünfte Jahreszeit“, die am Aschermittwoch endet.

Wie von einem Magneten angezogen, strömten Zigtausende kostümierter Narren auch diesmal wieder in Köln zum rheinufernah gelegenen Heumarkt, dem Altermarkt sowie zu den Straßen und Plätzen drum herum. Die angrenzende „Deutzer Brücke“ ist bereits in den Morgenstunden für den Autoverkehr gesperrt worden. Straßenbahnen dürfen die Brücke zwar noch überqueren, aber an der Haltestelle „Heumarkt“ gibt es an diesem Tag keinen Halt – in Amtsdeutsch: Der „Fahrgastwechsel“ fällt aus.

Wer mit der Bahn zum Heumarkt will, muss eine Station davor oder danach aussteigen. Und vor allem frühzeitig anreisen. Denn schon kurz nach 10 Uhr sperrten diesmal Polizei und Ordnungsamt alle Zugänge zum Platz ab. Hier, am Heumarkt, wurde eine riesige Bühne aufgebaut. Hier läuft die offizielle „Sessionseröffnung“ ab. Hier werden um 11

Uhr 11 die Sekunden heruntergezählt. Der Countdown erinnert ein bisschen an Silvester und das soll er wohl auch, denn um 11 Uhr 11 beginnt die schönste Jahreszeit für viele Domstädter: der Kölner Karneval.

Auf dem Heumarkt präsentiert sich am 11.11. um 11 Uhr 11 auch erstmals das einige Monate zuvor „ausgeklüngelte“ Kölner Dreigestirn den städtischen Untertanen. Aber auch der Kölner Oberbürgermeister animiert die Narren mit „Kölle Alaaf“-Rufen, was in etwa so viel bedeutet wie „Es lebe Köln“. Hier auf dem Heumarkt „heizen“ be­kannte und weniger bekannte Kölsche-Mundart-Musikergruppen wie zum Beispiel die „Bläck Fööss“ (= Nackte Füße), „Brings“ (Familienname), die „Höhner“ (= Hühner) und die „Paveier“ (= Pflasterer) die Narren mächtig ein. Und alle singen und schunkeln mit – bis in den Abend.

Das Dreigestirn, die „Tollitäten“, auf gut Lateinisch auch „Trifolium“ genannt – beherrscht in der fünften Jahreszeit die Stadt. Prinz („Seine Herrlichkeit“), Bauer („Seine Deftigkeit“) und Jungfrau („Ihre Lieblichkeit“) repräsentieren den offiziellen Kölner Karneval. Für den Außenstehenden überraschend: Alle drei sind Männer, das heißt, auch die mit neckischen Zöpfen ausgestattete Kölner Jungfrau ist ein Kerl. Nur zweimal gab es in der Kölner Karnevalsgeschichte eine Ausnahme von dieser „kölschen“ Regel: Während der NS-Diktatur muss­ten sich die Kölner der damals verklemmten Geschlechterideologie beugen. Männer in Frauenkleidern – da witterten die Nationalsozialisten Homosexualität. Das durfte nicht sein – obwohl es in den eigenen Reihen (zum Beispiel Ernst Röhm) eine beachtliche Zahl Homosexueller gab. Deshalb wurden zuerst die bis dahin üblichen männlichen „Tanzmariechen“ verboten. Schließlich muss­ten die Karnevalsgesellschaften in den Jahren 1938 und 1939 „echte“ Frauen als „Kölner Jungfrau“ proklamieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die männliche Jungfrau wieder Einzug ins Trifolium. Die männlichen Tanzmariechen dagegen kehrten nicht wieder zurück. Heute tanzen junge Frauen als Tanzmariechen mit den männlichen Tanzoffizieren.

Apropos Offiziere: Mit dem Einzug der Preußen im Jahre 1815 kam auch das Militärische und das Reglementierende stärker als bis dato nach Köln. Das zeigte sich dann bereits im Jahr 1823, das als das Gründungsjahr des organisierten Karnevals in Köln gilt. In diesem Jahr bildete sich das „Festordnende Comitee“, das die Duldung und Akzeptanz der preußischen Regierung fand. Für die weitab in Berlin regierenden Preußen wurden so die befürchteten Ausschweifungen und das „wilde Umherziehen“ während der im katholischen Rheinland gefeierten Fastnacht besser kontrollierbar. Denn die Kölner sorgten von nun an für einen geregelten Festumzug vor der Fastnacht, die der Fastenzeit vor Ostern vorausging. Im protestantischen Preußen waren Fastnachtsfeierlichkeiten nicht üblich.

Unermüdlich tingeln die drei närrischen Lichtgestalten bis zum Sessionsende von einer Veranstaltung zur nächsten, sei es eine der in die Hunderte ge­henden Karnevalssitzungen, eine Betriebs- oder Schulfeier oder auch schon mal eine Audienz beim Papst in Rom. Ein Vollzeit-Job, der eine andere regelmäßige Beschäftigung ausschließt. Ohne ei­nen verständnisvollen Arbeitgeber und ohne Sponsoren oder eigene finanzielle Mittel ist der Job im Trifolium nicht möglich.

Großzügige Spender stellen eine „Hofburg“ in einem Luxushotel in der Innenstadt zur Verfügung. Ein Kölner Automobil-Hersteller stiftet einen umfang­reichen Fahrzeugpark, damit die Tollitäten mobil sind. In der Regel können sich nur „betuchte“ Bürger die mehrmonatige Auszeit von einer Erwerbstätigkeit leisten.

Den Höhepunkt der Session bilden im neuen Jahr die „tollen Tage“. Damit werden die sechs Tage von Donnerstag vor Fastnachtssonntag („schmotziger“ Donnerstag oder Weiberfastnacht ge­nannt) bis Fastnachtsdienstag bezeichnet. Diese Tage der Ausgelassenheit beziehen ihren Sinn von der ab Aschermittwoch folgenden Fastenzeit.

An Weiberfastnacht (Donnerstag vor Rosenmontag) sind Ämter und Behörden nur bis 11 Uhr 11 dienstbereit. Danach geht nichts mehr. Auch die meisten Schulen und Betriebe „machen dicht“. Der Rosenmontag ist für die vielen Kölner Arbeitnehmer ein freier „Brauchtums- und Feiertag“.

Der große Umzug am Rosenmontag ist das Top-Ereignis für alle Karnevalisten. Rund 11000 Menschen marschieren im „Zug“ mit, der sich über fünf bis sechs Stunden vor mehr als einer Million Zuschauer durch die abgesperrte Innenstadt schlängelt. Die ollen Kamellen, die Bonbons, die von den Karnevalswagen auf die Zuschauer herunterregnen, dürfen dabei nicht fehlen. In den tollen Tagen vor Rosenmontag und am folgenden „Veilchen-Dienstag“ können die Narren ihre Feierlaune in zahlreichen Vorort-Umzügen ausleben.

Die Elf ist die vorherrschende Zahl im Karneval. Nicht nur der Monat und der Tag (11.11.), sondern auch die Stunde und die Minute (11 Uhr 11 Minuten) sind markante Kennzeichen der Karnevalisten. Die Karnevalssitzungen werden zudem von einem „Elferrat“ geleitet.

Warum die Elf? Die Elf gilt als närrische Zahl. Die zwei nebeneinander stehenden gleichen Ziffern drücken symbolisch „Gleichheit“ aus. Findige Zeitgenossen sehen sogar die Buchstaben E, L und F als Abkürzung für die Ideale der französischen Revolution: Egalité (Gleichheit), Liberté (Freiheit), Fraternité (Brüderlichkeit). Etwas schlichter ist eine andere Deutung. Der Wahlspruch einer mittelalterlichen Narrenvereinigung aus Kleve lautete: „Ey, Lustig, Fröhlich“. Siegfried Schmidtke


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