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01.12.12 / Ein wunderbarer Nikolaus / Geheimnis um den Spender der Gebetsbücher wurde erst im nächsten Jahr gelüftet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-12 vom 01. Dezember 2012

Ein wunderbarer Nikolaus
Geheimnis um den Spender der Gebetsbücher wurde erst im nächsten Jahr gelüftet

Es gab einmal ein Weih-nachtsfest, das war ganz anders als die Feste, die man sonst kennt, denn jeder − ob jung oder alt − hatte am Nikolaustag ein Gebetbuch vor seiner Tür liegen. Es war kostbar, denn es zeigte im Gegensatz zu den herkömmlichen Gebetbüchern viele Bilder in leuchtend bunten Farben, sogar mit Blattgold verziert, und seine Schrift war auserlesen wie in den Bibeln aus früheren Jahrhunderten.

Am nächsten Tag konnte man es schon im Fernsehen hören: Die Welt stand Kopf, weil die Menschen gern wissen wollten, wer sie so reich beschenkt hatte, ohne dass es jemandem aufgefallen war. Der eine oder andere hatte sich tatsächlich ein Gebetbuch gewünscht und freute sich nun darüber; die meisten Leute hätten sich ein solch teures nie kaufen können. Aber auch denen, die nicht in die Kirche gingen, war es sehr Recht, weil es so außergewöhnlich war. „Wer kennt den geheimnisvollen Spender der Gebetbücher?“, fragten nun täglich die Nachrichtensprecher, aber niemand wusste etwas.

Das alte Jahr ging zu Ende und das Geheimnis wurde nicht gelüftet. Real waren nur die Gebetbücher, die die Gottesdienstbesucher in aller Welt fleißig benutzten, weil jeder sie in seiner eigenen Sprache lesen konnte. Selbst diejenigen, die nicht religiös waren, warfen sie nicht weg, sondern stellten sie in ihre Regale und erfreuten sich an ihnen, weil sie wirkliche Kunstwerke darstellten.

Das nächste Weihnachtsfest stand bevor. Am Nikolaustag gab sich der geheimnisvolle Geber im Rahmen einer Fernsehgala zu erkennen. Der lang Gesuchte war ein älterer Herr, der den Wunsch hatte, mit seinem Geld noch etwas Sinnvolles zu tun, und so kam er auf die Idee, die Bücher auf seine Kosten drucken und verbreiten zu lassen. Wenigstens erklärte er das so. „Warum haben Sie denn ausgerechnet Gebetbücher unter die Leute gebracht“, fragte der Moderator, „und wie haben Sie es nur geschafft, sie so schnell an so viele Menschen zu verteilen, ohne dass irgendjemand etwas mitkriegte? Das erscheint mir wie ein Wunder!“ Der als Nikolaus angezogene Mann lächelte fein und wischte sich mit einem durchsichtigen Taschentuch, das wie Nebelgespinst aussah, die Stirn. „Ganz einfach“, seine Stimme war tief und klangvoll, „ich wollte, dass die Menschen wieder beten. Sie brauchen das Gebet so nötig, sie wissen es nur nicht.“

In dem allgemeinen Festtrubel verschwand der freundliche Spender, lief die Treppe hinunter ins Freie und bestieg einen weißen Esel, der gerade angaloppiert kam und ihn mit freudigem „Ia“ begrüßte. Mit wunderbarer Leichtigkeit erhoben sie sich in die klare Luft hinauf. Die Leute, die draußen standen, sahen erstaunt, wie der Nikolaus seinen roten Mantel abwarf, der sich wie von Geisterhand gezogen langsam ausbreitete und als Abendröte über den ganzen Himmel flammte, dann verschwanden Tier und Reiter.

An diesem Abend nahmen Viele ihre wunderschönen Bücher in die Hand, betrachteten die bunten Bilder und fingen an zu beten und die Lieder zu singen, von denen sie manche noch aus ihrer Kindheit kannten. Da war auf einmal eine große Freude und Stille unter den Menschen, es schien, als hielte die Welt einen Augenblick den Atem an. Gabriele Lins


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