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08.12.12 / Als man Frauen einen Doppelkorb gab / Darauf kann nur ein Mann kommen: Vor 100 Jahren wurde im Schwabenland der textile Büstenunterstützer für Frauen erfunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-12 vom 08. Dezember 2012

Als man Frauen einen Doppelkorb gab
Darauf kann nur ein Mann kommen: Vor 100 Jahren wurde im Schwabenland der textile Büstenunterstützer für Frauen erfunden

Es ist gerade mal 100 Jahre her, dass der Büstenhalter das jahrhundertelang von der Frauenwelt benutzte Korsett mit seinen einschnürenden Fischbeinstäbchen aus dem Rennen warf. Dabei war es ein Fabrikant aus Bad Cannstatt, der diese Revolution frauli­cher Unterwäsche mit industrieller Serienproduktion einleitete.

Um 1912 entwickelte Sigmund Lindauer das Produkt „Hautana“, einen elastischen Trikot-Büstenhalter. Die Marke trug den stolzen Namen „Prima Donna“. Auch in den USA wurde zeitgleich von Mary Phelps-Jacob eine Kreation aus zwei Tüchern und Bändern entwickelt. Sie wird oft irrtümlich als Erfinderin des Büstenhalters gefeiert. Der Marktführer heute ist Triumph International aus dem schweizerischen Bad Zurzach mit insgesamt weltweit 44000 Mitarbeitern und einem Umsatz von über zwei Milliarden Euro. Auch Felina in Mannheim gehört zu den Großen der Branche.

Sofort begann der weltweite Siegeszug des Büsten haltenden und formenden „Bra“ – wie der BH in den USA genannt wird. Dieser wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch Sexsymbole wie Sophia Loren, Anita Ekberg oder Marilyn Monroe mit trichterförmigen Spitz-BHs zu ungeahnter Blüte entwickelt.

Laut Statistischem Bundesamt wurden bereits Ende der 50er-Jahre in der Bundesrepublik fast 30 Millionen Stück der Doppelkörbchen produziert. Weitere Formate folgten: Push-up-BH, Bügel-BH, Stütz-BH, Sport-BH, Wonderbra, Balconett-BH, trägerloser Büstenhalter, medizinischer Büs­tenhalter, Schwangerschafts-BH, Gel-BH mit seinen anschnallbaren und vergrößernden Implantaten oder der Minimizer zur Kaschierung üppiger Oberweiten. Der sogenannte Water-Bra ist mit einem Wasser-Öl-Gemisch gefüllt, das die Brüste voller gestaltet.

Das alles führte zur Normung der weiblichen Brust mit dem Maß der Körbchenform und Einheiten der Körbchengröße, jenen Maßen eben, nach denen die Frau das Richtige einkaufen kann. Die Körbchengröße repräsentiert nicht nur die Größe des Busens, sondern stellte auch eine Relation zwischen Brustumfang und Unterbrustumfang her. Ein Brustansatz von 75 und ein Brustumfang von 92 Zentimetern ergibt zum Beispiel die BH-Größe 75C. Britische, japanische, italienische und amerikanische Größen – alle sind verschieden und die Umrechnungen eine Wissenschaft für sich. Als Anhaltspunkt gibt es jetzt ein europäisches Größensystem: die Norm EN 13402.

„Bergauf, bergab, durch Wald und Feld, Hautana straff den Körper hält“, tönte die damalige Werbung und legte nach: „Frauenschönheit ist Frauenmacht“. Der Büstenhalter avancierte zur schärfsten Waffe im Geschlechterkampf mit dem Ergebnis, dass vor allem die US-Männer einen wahren Busenkult betrieben.

Gleichwohl blickt der stoffliche Formvollender auf eine viel längere bewegte Geschichte zurück: Die Archäologie entdeckte jetzt überraschend im österreichischen Schloss Lengberg (Osttirol) vier mittelalterliche Büstenhalter, die bereits eine frappante Ähnlichkeit mit den heute benutzten Dessous besitzen. Sie stammen, so ergab die Radiokarbon-Analyse, aus der Zeit zwischen 1440 und 1485.

Der Fund brachte die gesamte Forschung durcheinander. Im­merhin hatte sich 1896 in Berlin bereits der „Allgemeine Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“ für eine korsettlose Frauentracht etabliert. 1889 reichte die Französin Hermine Cardoll ein entsprechendes Patent ein. Und der sogenannte „Brusthalter“ des Deutschen Hugo Schindler von 1891 bewegte sich in dieselbe Richtung, aber mit dem Mittelalter hatte nun wirklich niemand gerechnet. Zwischen 1887 und 1904 meldeten sieben Tüftler Patente an, darunter ist ein britischer „Brustverbesserer“ mit einem Gestell aus Seide und Draht. Die Dresdnerin Christine Hardt ließ 1889 eine Kreation aus zusammengeknüpften Taschentüchern und Männerhosenträgern patentieren.

Aber es gab auch erbitterte Widerstände. Frauenrechtlerinnen brandmarkten das Produkt als Mittel der Männerherrschaft. Es kam zu frühfeministischen Protestaktionen, bei denen sogar Dutzende der stofflichen Bruststützen in Flammen aufgingen.

Doch das ewig Weibliche im Dienst der Bequemlichkeit und Männerbetörung siegte schließlich. Und sogleich entwickelte sich auch eine Industrie für Reizwäsche mit allerlei neckischen Angeboten: Nippel-Pasties (Hütchen auf den Brustwarzen), Nippelgates (Ausschnitte im BH rund um die Brustwarzen), Show-Stoppers, verdeckende Silikonkissen, sogenannte „Shapewear“ (Körperformende Unterbekleidung), „ge­pastete“ Produkte (Beschichtungen, die eine optimale Form vortäuschen), spezielle Push Ups (Volumenzauberer), Spitzen und Rüschen, „sündige“ Farben in Rot und Violett – das alles reizt die Fantasie des in diesem Fall schnell schwach werdenden starken Geschlechts. Joachim Feyerabend


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