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22.12.12 / Ostpreußen – Schlittenland! / Mit dem Klingerschlitten durch den Weihnachtswald

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Ostpreußen – Schlittenland!
Mit dem Klingerschlitten durch den Weihnachtswald

Tief verschneit war auch unser Hamburger Garten in diesem Advent, und eigentlich sollten bei mir heimatliche Gefühle aufkommen, denn es gab ja kaum eine Vorweihnacht ohne Schnee im alten Ostpreußen. Aber irgendetwas fehlte, ich wusste nur nicht, was. Die Erkenntnis kam erst, als ich auf der Suche nach Winterbildern in dem Büchlein „Ostpreußen, wie es war“ der Malerin Helene Dauter auf ihr Ölbild stieß: „Der Klingerschlitten“. Die aus Gilge stammende Künstlerin hatte es in Erinnerung an die winterlichen Schlittenfahrten auf dem zugefrorenen Strom gemalt. Jetzt wusste ich, was mir gefehlt hatte: das lustige Bimmeln der an dem Pferdegeschirr angebrachten Glöckchen, das die Weihnachtszeit in unserer Heimat mit ihrer eigenen heiteren Melodie erfüllte. Nicht nur überall in dem weiten Land, wo auf verwehten Landstraßen und still verschneiten Waldwegen das Geläut der Klingerschlitten erklang. Auch in meiner Heimatstadt Königsberg, damals noch nicht von Autolärm durchzogen, bimmelten die Schlittenglocken, denn das Land griff mit langen Armen in die Großstadt hinein. Überall gab es an den Ausfallstraßen Gasthöfe mit Ausspann, wo Mensch und Pferd gut versorgt wurden. Nach den erledigten Besorgungen und einer letzten Stärkung ging es dann mit fröhlichem Gebimmel heimwärts in die stillen Dörfer und Höfe. Ostpreußen – Schlittenland! Der älteste und berühmteste stand im Moskowitersaal des Königsberger Schlosses: Es war der Schlitten des Großen Kurfürsten, mit dem er im Januar 1649 über das Eis des Kurischen Haffes die damals feindlichen Schweden verfolgte. Wohl nicht mit hellem Gebimmel wie unsere geliebten Wintergefährte, die Klingerschlitten, die beim ersten Schnee aus den Schauern gezogen wurden. Sie hießen wirklich so, nicht etwa „Klingelschlitten“, wie mir einmal ein korrekturversessener Kollege durchaus weiß machen wollte. Er stammte nicht aus Ostpreußen, und deshalb sei ihm verziehen.

Schon in einem alten Wiegenliedchen heißt es, dass der heimkehrende Vater draußen im kalten Wind steht und „hätt e Klockke on klingert fert Kind“. Und in Platt ist auch das Gedicht der Schriftstellerin Erminia von Olfers-Batocki, in dem sie eine Schädefahrt mit ihrem Pferdchen und einem grünlackierten Schlitten schildert: „De Mütz oppem Kopp on de Feet ennem Stroh, fief Klingre am Siele, dat bimmelt man so!“ Was war das für ein Freudentag für ein ostpreußisches Landkind, wenn es hieß „Heute spannen wir den Klingerschlitten an!“ Wenn dann das helle Bimmeln der Glöckchen erklang, das bald Widerhall fand auf den Dorfstraßen und Chausseen. Gab es etwas Schöneres, als warm eingemummelt im großen Klingerschlitten zu sitzen und durch den tief verschneiten Wald zu fahren? Die Glöckchen klangen, das Pferdchen schnaubte, Vater knallte mit der Peitsche. Ab und zu hielt er an, um auf die Geheimnisse des Winterwaldes hinzuweisen: den bunten Eisvogel am Sprind oder den Schwarm Seidenschwänze in der Schonung. Spuren im Schnee: Da hatte ein Fuchs geschnürt, dort war ein Reh gezogen. Tausend Wunder schenkte der Winterwald. Und erst der Weihnachtswald, denn zum Fest wurden die Klingerschlitten besonders herausgeputzt. Und dann ging es los zur großen Schlittenpartie quer durch die Verwandtschaft. Man fuhr in der Reihe fein gemachter Schlitten, es bimmelte vorweg und hintennach und überall. Man war schon ganz gieprig auf die Raderkuchen und die heiße Schokolade, die es nachher auf einem der Höfe geben würde. Und gespannt wie ein Flitzbogen wartete man auf den Augenblick, wo ein Schlitten „manke Humpels“ geriet und unter dem Juchhei der Insassen umkippte. Das war dann ein Spaß, wenn die verlorenen Siebensachen aus dem tiefen Schnee geklaubt werden mussten. Da lag Muttchens Muff, dort Opas Kneifer, und Tantchens verschwundene Pelzmütz’ wurde erst nach langem Wühlen an der geknickten Fasanenfeder aus dem Schnee gezogen. Beim gegenseitigen Abklopfen ging es dann nicht gerade sanft zu. Aber die Betroffenen waren ja gut gepolstert, von Natur aus und was an Wolligem und Pelzigem darüber war. Durch die Verpackung kam nichts durch.

Zu den vielen Schlittengeschichten, die in unserer Heimat spielen, gehört jene von der Frau Pfarrer, die am Altjahrsabend in die Kreisstadt fuhr, um für die Silvesterfeier einzukaufen, so auch zwölf dick bezuckerte Pfannkuchen. Die allein kutschierende Dame kippte dann leider auf der Heimfahrt mit dem Schlitten um und musste ihre „Berliner“ einzeln aus dem Schnee klauben. Weil die Tüte zerrissen war, steck­te sie die runden Pfannkuchen einfach in ihren Muff. Beim Auspacken in der Pfarrhausküche zeigte es sich dann, dass die sich auf rätselhafte Weise vermehrt hatten: Es waren nunmehr 13, die Frau Pfarrer aus dem Muff puhlte. Der Überzählige roch reichlich penetrant, denn er stammte von dem munteren Pferdchen! Ja, und damit wären wir beim Jahresende angelangt. Ich danke Ihnen, lewe Landslied und Familienfreunde, für Ihre Treue und Mithilfe und wünsche Ihnen mit dem heimatlichen Schlittenbild eine gute Fahrt in das neue Jahr! R.G.


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