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05.01.13 / Erst Freunde, dann Feinde / Deutsch-italienische Historikerkommission legt Studie zur gemeinsamen Kriegsvergangenheit vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

Erst Freunde, dann Feinde
Deutsch-italienische Historikerkommission legt Studie zur gemeinsamen Kriegsvergangenheit vor

Fast sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat eine deutsch-italienische Historikerkommission eine Studie zur gemeinsamen Kriegsvergangenheit vorgelegt. Das Werk hebt sich wohltuend nüchtern vom pathetischen Ton ab, in dem Medien und Politiker beider Länder das Ergebnis mehrjähriger Forschung kommentieren

Erst Freunde, dann Feinde. So lässt sich, stark verkürzt, das ambivalente Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern im Zweiten Weltkrieg beschreiben. Durch den „Stahlpakt“ zu unbedingter gegenseitiger Hilfe im Kriegsfall verpflichtet, machten strategische Fehlentscheidungen des italienischen „Duce“ Benito Mussolini im Frühjahr 1941 eine deutsche Intervention auf dem Balkan und in Nordafrika erforderlich, um eine italienische Niederlage abzuwenden. Für diese Bündnistreue hat die deutsche Wehrmacht einen hohen Blutzoll entrichtet. Mit dem Rückzug der italienischen Truppen vor den nach Norditalien vorstoßenden Alliierten und dem Sturz Mussolinis im Herbst 1943 kündigte Italien das Bündnis auf, wechselte die Fronten und erklärte seinem vormaligen Verbündeten Deutschland den Krieg – ein Schritt, der in Deutschland zu Recht als Verrat empfunden wurde. Der folgende Einmarsch der Wehrmacht in Italien stieß auf den brutalen Widerstand italienischer Partisanen. Nach der Befreiung Mussolinis durch deutsche Truppen installierte dieser in Norditalien einen neuen Staat, der mit Deutschland verbündet blieb und seinerseits dem von den Alliierten besetzten Teil des Landes den Krieg erklärte. Dadurch sah sich die Wehrmacht nicht nur im Kampf mit den Alliierten, sondern sie wurde in einen von beiden Seiten brutal geführten Partisanenkrieg verwickelt und wurde zugleich Partei im inneritalienischen Bürgerkrieg.

Der Krieg liegt lange zurück und beide Länder sind Partner in einem friedlichen Europa. Dennoch ist das damalige Geschehen in beiden Ländern nicht vergessen, die Erinnerung jedoch von beiderseitiger historischer Legendenbildung geprägt und die Extremerfahrung einzelner häufig zum Allgemeingut geworden. Um dem entgegenzuwirken, beschlossen die Außenminister Deutschlands und Italiens Ende 2008 die Gründung einer gemeinsamen Historikerkommission. Diese erhielt den Auftrag, sich mit der deutsch-italienischen Kriegsvergangenheit und insbesondere mit dem Schicksal der nach Deutschland deportierten Militärinternierten zu beschäftigen, um auf diese Weise zur Schaffung einer gemeinsamen Erinnerungskultur beizutragen. Die Studie der Historikerkommission liegt nun vor. Verfolgt man die Berichterstattung der deutschen Medien hierzu, könnte man annehmen, damit seien endlich die Verbrechen der Deutschen wissenschaftlich dokumentiert. Bundesaußenminister Guido Westerwelle gar „verneigt sich“ nach Entgegennahme der Studie „vor den Opfern“, womit er selbstredend nur die italienischen meint.

Tatsächlich betrachten die Autoren dieses schwierige Kapitel der deutsch-italienischen Beziehungen differenzierter. Zunächst stellen sie fest, dass die Geschichte beider Nationen verflochten, aber die „historische Erinnerung“ auseinandergegangen sei. Sie bemängeln, dass es bis heute keine systematische Erforschung der deutsch-italienischen Beziehungen im Zeitraum 1936 bis 1945 gebe. Auch sie schließen diese Forschungslücke nicht. Vielmehr berichten sie schlaglichtartig von der Lage der Italiener unter deutscher Besatzung. Sie seien sich darüber im Klaren, dass sie lediglich ein „Forschungstableau“ skizzierten, das erst allmählich aufgefüllt werden könne. Die unterschiedlichen Konstellationen, unter denen sich Deutsche und Italiener während des Krieges begegnet seien, die verschiedenartigen Erfahrungen, die sie miteinander gemacht hätten und die Fülle der Fragen, die damit verbunden seien, bedürften langfristiger Forschungen. So sei ihre Arbeit als „wissenschaftliche Probebohrungen“ zu sehen, die breit angelegte Untersuchungen nicht ersetzen könnten. Dazu haben sie vorwiegend Individualquellen und Selbstzeugnisse ausgewertet und ihre Arbeit somit von der erfahrungsgeschichtlichen Perspektive her betrieben. Dabei verkennen sie nicht, dass eine endgültige Aussage über die Vollständigkeit und Repräsentativität der von ihnen skizzierten Erfahrungsmuster nicht möglich ist.

Die Historiker stellen klar, dass es für Stereotype wie die vom „guten Italiener“ und „bösen Deutschen“, vom ehrenhaft für die Freiheit streitenden Untergrundkämpfer und dem verbrecherischen Wehrmachtsoldaten keinen Anlass gebe. Ihre Studie weist indes eine gewissen Schieflage auf, widmet sie doch der „enormen Wucht“ deutscher Repressalien breiten Raum, während die brutalen Gewaltakte der italienischen Partisanen gegen deutsche Soldaten, die diese zumeist erst hervorgerufen haben, eher beiläufig erwähnt werden. Allerdings betonen die Autoren, dass längst nicht allen deutschen Truppenteilen Kriegsverbrechen vorzuwerfen seien, sondern dass Exzesse gegen die Zivilbevölkerung häufig von „hochideologisierten Einheiten“ begangen worden seien.

Alles in allem steht die historische Forschung zu diesem komplexen Thema noch am Anfang. Die Historikerkommission regt daher an, zur Erforschung der gemeinsamen Kriegsvergangenheit in beiden Ländern Erinnerungsorte und Archive mit wissenschaftlichen und geschichtsdidaktischen Aufgaben zu schaffen sowie eine Deutsch-Italienische Zeitgeschichtsstiftung ins Leben zu rufen. Damit das realisiert wird, was die Außenminister beider Länder 2008 vorgegeben haben: Mit Engagement und Gewissenhaftigkeit die Grundlage für eine gemeinsame Erinnerungskultur zu schaffen. Es bleibt zu hoffen, dass dabei nicht der „politisch korrekte“ Zeitgeist, sondern die historische Wahrheit triumphiert. Jan Heitmann


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