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05.01.13 / »Macht mir den rechten Flügel stark« / Vor 100 Jahren starb mit Alfred von Schlieffen der Mann, mit dessen Plan Deutschland in den Ersten Weltkrieg zog

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

»Macht mir den rechten Flügel stark«
Vor 100 Jahren starb mit Alfred von Schlieffen der Mann, mit dessen Plan Deutschland in den Ersten Weltkrieg zog

Alfred Graf von Schlieffen, Chef des Großen Generalstabs von 1891 bis 1906, hat etwas geschaffen, das untrennbar mit seinem Namen verbunden ist und seine Person selber an Berühmtheit weit übertrifft. Auch heute, 100 Jahre nach seinem Tod, gilt die von ihm erarbeitete Denkschrift „Krieg gegen Frankreich“ noch immer als einer der kühnsten Operationspläne der Militärgeschichte.

Bei Kriegsbeginn 1914 wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen kriegführenden Ländern allgemein mit einem kurzen Krieg gerechnet. „Daheim, wenn das Laub fällt“ in Deutschland und „over by Christmas“ in Großbritannien waren die Versprechen, die Militärs und Politiker gegeben hatten. Dies waren aber nicht nur die Moral hebende Propagandafloskeln, sondern entsprechend waren auch die Planungen für die Kriegführung ausgelegt. Die führenden Militärs beider Seiten gaben sich der trügerischen Hoffnung hin, in wenigen schnell geführten existentiellen Schlachten die Entscheidung erzwingen und den Gegner niederringen zu können. Sowohl die strategische Planung als auch die taktische Kampfführung aller beteiligten Heere gründeten sich auf der Überzeugung, dass die Offensive die der Defensive überlegene Gefechtsart sei und dass die in den ersten Schlachten errungene Entscheidung auch die Entscheidung über den Ausgang des Krieges und die Entscheidung über die zukünftige globale Machtverteilung herbeiführen würde. In dieser Einschätzung folgten die Militärs Carl von Clausewitz, der festgestellt hatte, dass ein strategischer Angriff große Risiken berge, nicht selten aber einen Krieg mit einem Schlag entschieden habe. Beide Seiten wollten daher versuchen, die Kriegsentscheidung in einer Angriffsschlacht zu erzwingen.

Doch während die Entente-Mächte noch mit Planungen beschäftigt waren, konnte die militärische Führung in Berlin bereits handeln. Der deutsche Aufmarsch und Angriff vollzog sich nach einem im Jahre 1905 von Schlieffen erarbeiteten Operationsplan, der für den Fall des erwarteten Zweifrontenkrieges gegen Russland und Frankreich vorsah, nur mit schwachen defensiven Kräften im Osten anzutreten und unter Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität die französischen Streitkräfte durch einen mit der Masse des deutschen Heeres rasch vorgetragenen Umfassungsangriff zu vernichten, um sich erst dann offensiv gegen Russland zu wenden. Es sollte sich jedoch während der Marneschlacht erweisen, dass der deutsche rechte Flügel trotz der seinerzeit eindringlich formulierten Warnung Schlieffens, „macht mir den rechten Flügel stark“, zu schwach war, um die große Schwenkbewegung zu vollenden und die Umfassung, Einschließung und Vernichtung des Gegners durchzuführen. Hier zeigte sich die Schwäche des Schlieffen-Plans, denn dessen Schöpfer war von Variablen ausgegangen, die im Zeitalter der Massenheere nicht präzise zu bestimmen waren. Die russische Armee trat schneller als erwartet zum Angriff an, was deutsche Kräfte im Osten band, die dringend zur Verstärkung der Front in Frankreich benötigt wurden. So mussten sich die deutschen Truppen schließlich unter dem Eindruck massiver Gegenangriffe gegen ihre überdehnten Flanken auf die Aisne zurückziehen. Damit war der deutsche Operationsplan gescheitert und eine Gesamtentscheidung im Westen nicht mehr herbeizuführen. Trotz erheblicher territorialer Gewinne war der deutschen Offensive letztlich der bedeutende strategische Erfolg versagt geblieben. Die Folge war der Übergang vom dynamischen Bewegungskrieg in den statischen Stellungskrieg mit seinen materialzehrenden Schlachten, die nicht mehr um Geländegewinn, sondern primär nur noch um die personelle Dezimierung des Gegners geführt wurden. Die Hoffnung auf ein baldiges Kriegs­ende war zerstört.

Als Sohn eines preußischen Offiziers aus altem pommerschen Adel am 28. Februar 1833 in Berlin geboren, war Schlieffens Berufsweg vorgezeichnet, obwohl er selbst zunächst nur wenig Anlagen dafür erkennen ließ. Beide Eltern standen der Herrnhuter Brüdergemeine nahe und es ist anzunehmen, dass der Pietismus neben Adelsstolz den jungen Schlieffen geprägt hat. In der Erziehungsanstalt der Brüdergemeinde zu Nieskyb genoss er seine erste Schulbildung. Die Beurteilung des Zwölfjährigen ließ eher auf eine unsoldatische Persönlichkeit schließen: „Der Hauptzug seines Charakters ist eine große Schüchternheit mit einer leicht erregbaren Empfindlichkeit gemischt. Lange Zeit ist er in der Anstalt gewesen, ohne mit seinen Vorgesetzten sich bekannt zu machen. Er hat sehr gute Talente, ist in ihrer Ausbildung aber doch etwas durch ein ihm eigenes Phlegma zurückgesetzt worden.“ Jahre später bescheinigte man dem Obersekundaner am Joachimsthalschen Gymnasium zu Berlin erneut einen „Hang zu geistiger Trägheit, ja Schläfrigkeit“.

Dennoch wurde Schlieffen 1854 Soldat und machte als Kavallerist unauffällig Karriere. Ab 1863 diente er im Generalstab, obwohl dessen Chef, Helmuth Graf von Moltke, Schlieffens Eignung dafür noch Jahre später in einer Beurteilung bezweifelte: „Major Graf Schlieffen wird durch seinen ritterlichen Charakter, sein taktvolles bescheidenes, zwar förmliches und abgeschlossenes Wesen, durch seine gewissenhafte Zuverlässigkeit wie durch seine ganze Persönlichkeit überall Anerkennung finden. Ich glaube aber nicht, dass der Generalstab sein eigentliches Element ist; es fehlt ihm die Lebendigkeit und Frische des Geistes, und seine übergroße Zurückhaltung dürfte im Gefühle dieser Mängel wurzeln. In der Front wird er ein ehrenhafter und tapferer Führer sein.“ Tatsächlich verkörperte Schlieffen genau das, was er selbst an Charaktereigenschaften von einem Generalstäbler als dem im Hintergrund wirkenden „Führergehilfen“ erwartete und womit er den deutschen Generalstab auf Jahrzehnte prägen sollte: „Viel leisten, wenig hervortreten – mehr sein als scheinen.“ Im Deutschen Krieg, den er als Hauptmann erlebte, und während des Feldzuges 1870/71 überzeugte er sowohl in Stäben wie an der Front.

Der Tod seiner Ehefrau 1872 erschütterte Schlieffen zutiefst. Er stürzte sich in die Arbeit und manche seiner Zeitgenossen glaubten, er mache eine Wandlung durch, die ihn seinen Beruf nicht mehr als Möglichkeit zum Unterhalt, sondern als sinnstiftende Berufung begreifen ließ. Seinem beruflichen Fortkommen war das nur förderlich, denn nun kam Moltke auf einmal zu einem völlig anderen Urteil über Schlieffens Generalstabstauglichkeit: „Während der diesjährigen Übungsreise des Großen Generalstabes zeigte Major Graf Schlieffen so klares Verständnis und so richtiges Urteil, dass ich ihn – bei seinen allseitig anerkannten Charaktereigenschaften – für vollständig befähigt zum Chef eines Generalstabes erachten muss.“

Von 1876 bis 1884 kommandierte Schlieffen das 1. Garde-Ulanenregiment in Potsdam, blieb aber Angehöriger des Großen Generalstabes. Anschließend wurde er dort Abteilungschef und 1888 Oberquartiermeister, wodurch er gleichzeitig zum Stellvertreter von Moltkes Nachfolger, Alfred Graf von Waldersee, aufrückte. Als dieser 1891 in den Ruhestand ging, wurde Schlieffen sein Nachfolger als Generalstabschef. In dieser militärischen Spitzenfunktion widmete er sich den Planungen für einen künftigen Krieg in Mitteleuropa. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Erkenntnis, dass das Deutsche Reich seit dem Abschluss der russisch-französischen Allianz im Kriegsfall einen Zweifrontenkrieg würde führen müssen. Schlieffen war sich darüber im Klaren, dass das Reich einen langen Krieg gegen beide Großmächte nicht gewinnen konnte. Deshalb wollte er den einen Gegner „mit voller Kraft“ in einer Entscheidungsschlacht niederwerfen, um sich dann mit den frei gewordenen Kräften dem anderen zuzuwenden. So glaubte er, den Krieg in vier bis sechs Wochen gewinnen zu können. Aus diesen Überlegungen resultierte schließlich der nach ihm benannte Operationsplan.

Das Scheitern seiner Strategie hat Schlieffen nicht mehr erlebt. Nachdem er 1906 in den Ruhestand versetzt und 1911 mit der Beförderung zum Generalfeldmarschall geehrt worden war, starb er am 4. Januar 1913 in seiner Geburtsstadt Berlin. Seine letzte Ruhestätte hat er auf dem Invalidenfriedhof inmitten zahlreicher großer Persönlichkeiten der preußisch-deutschen Militärgeschichte gefunden. Jan Heitmann


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