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12.01.13 / Pedalisten unter Strom / E-Bikes auf der Überholspur: Fahrräder mit Elektroantrieb erobern die Straßen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Pedalisten unter Strom
E-Bikes auf der Überholspur: Fahrräder mit Elektroantrieb erobern die Straßen

Der junge Radfahrer kann nur staunen: Als die Ampel grün wird, fährt eine ältere Frau mit ihrem Rad so schnell an, dass er nur noch ihr Rücklicht sieht. Fahrräder mit Elekroantrieb machen es möglich, dass man nur noch halb so viel Kraft aufbringen muss, aber doppelt so schnell ist.

Die Tür zur Umkleidekabine öffnet sich und etwa 15 Damen kurz vor und kurz nach Renteneintrittsalter betreten nach ihrem Bauch-Beine-Po-Kurs den kleinen Raum. Verschwitzt reden sie wild durcheinander, ziehen sich aus, duschen, ziehen sich wieder an. Schnattern wieder wild durcheinander, bis die eine einen Fahrradsattelkorb aus dem Schrank zieht. „Was, du fährst nach dem anstrengenden Kurs noch Rad?“, fragt eine erstaunt. „Ja, aber E-Bike“, antwortet die Angesprochene verschmitzt. Ein halbes Dutzend Augenpaare schauen erstaunt, während die Sattel-Besitzerin sofort aufklärt.

„Hartmut und ich haben uns letztens auch jeder ein E-Bike gekauft. Er schafft ja mit seinem kaputten Knie nicht mehr so gut Steigungen und ich kann jetzt auch wieder dank Elektromotor besser die Geschwindigkeit mit ihm halten“, teilt eine der Sportbegeisterten der Runde ihre Erfahrungen mit, die von da ab die Vor- und Nachteile von E-Bikes besprechen.

Der Hauptnachteil ist wohl vor allem der Preis, denn ein gutes E-Bike kostet rund 2000 Euro. Doch das schreckt offenbar nicht ab, denn 2011 wurden bereits 310000 E-Bikes in Deutschland verkauft, im letzten Jahr sollen es sogar 400000 gewesen sein. In einer alternden Gesellschaft, in der aber auch die Älteren sportlich aktiv bleiben wollen, treffen die Räder mit dem Elektromotor auch auf eine große Nachfrage.

Wenn man es ganz genau nimmt, heißen die E-Bikes, von denen hier die Rede ist, auch Pedelec und bezeichnen Fahrräder mit einem Elektromotor, der dem Radler das Treten in die Pedale nicht abnimmt, sondern nur erleichtert. Der jeweilige im kleinen Bediencomputer am Lenker eingestellte Unterstützungsgrad bestimmt, wie viel Hilfe der an die Steckdose daheim anzuschließende Motor liefert. Maximal darf das Rad aber nur 25 Stundenkilometer mit E-Motor erreichen, denn nur so bleibt das Pedelec verkehrsrechtlich ein Fahrrad und frei von Helm-, Kennzeichen- und Versicherungspflicht. Eigentlich war der Begriff „E-Bike“ für reine Elektrorräder vorgesehen, die bis zu 45 Stundenkilometer schnell sind. Da die meisten aber von E-Bike reden, wenn sie Pedelec meinen, hat sich der Anglizismus durchgesetzt.

Und von Massen, die sich mit dem Thema E-Bike befassen, kann man bei den Absatzzahlen allmählich sprechen. Die Firma Bosch hat inzwischen die Ent­wick­lung erkannt und in Reutlingen dafür einen eigenen Produktbereich aufgebaut. Und auch die 37-jährige Severine Lönne hat rechtzeitig vorausgeahnt, wohin der Trend geht und E-Bikes mit ins Programm ihrer Cycle Union genommen, die die Firmen VSF Fahrradmanufaktur, Kreidler und Rabeneick umfasst. Ihrem Vater gehören 50 Prozent des Konkurrenten Prophete, wobei von Konkurrenz nicht wirklich zu reden ist, denn Prophete beliefert Supermärkte und Baumärkte mit Billigmodellen, die seit 2010 vollständig in Indien und Rumänien gefertigt werden, während die Tochter überwiegend in Oldenburg schrauben lässt. Zwar arbeitet auch sie mit Zulieferern aus Asien zusammen, hier vorweigend Taiwan, das qualitativ höherwertig produziert als China, doch der Schwerpunkt der Produktion liegt in Niedersachsen. Allen asiatischen Zwischenhändlern hat Lönne gekündigt. Sie will den direkten Kontakt zu den Produzenten. Bereits 1999 kaufte der Vater Rabeneick und übergab seiner damals gerade 24-jährigen Tochter das Traditionsunternehmen mit seinen veralteten Maschinen und Modellen, die dafür ihren Arbeitgeber, eine schicke Werbeagentur verließ. Dank ihres BWL-Studiums und einer gesunden Portion unternehmerischer Kreativität machte sie Rabeneick wieder flott und kaufte die VSF Fahrradmanufaktur. „Da prallten Kulturen aufeinander“, verriet sie unlängst. „Die Gründer der Fahrradmanufaktur waren ja alle Alt-68er. Die waren sehr politisch, wir waren sehr kaufmännisch.“ Etwas später folgte der Zukauf der Marke Kreidler, eines einst renommierten Motorrad- und Mofa-Herstellers, unter der besonders hochwertige E-Bikes verkauft werden, wie Stiftung Warentest 2011 bestätigte.

Doch der Fahrradmarkt in Deutschland ist kein leichtes Terrain. Während die Deutschen beim Auto relativ markenbewusst einkaufen, wissen die meisten laut einer Umfrage des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs nicht, von welchem Hersteller ihr Zweirad ist. Billige Massenware wird vollständig in Asien produziert. So bleibt den deutschen Traditionsunternehmen nur die Insolvenz oder die Spezialisierung. Die E-Bikes bieten hier eine ideale Chance, verlorene Marktanteile im Fahrradgeschäft wieder gut zu machen.

Da Deutschland –wie gesagt – eine alternde Gesellschaft ist, die sogenannten „Silver Ager“ aber ihre Gewohnheiten so lange wie möglich bis ins hohe Alter hin beibehalten wollen, ist damit zu rechnen, dass der Markt für E-Bikes in den nächsten Jahren gute Gewinnmöglichkeiten für vorausschauende deutsche Unternehmen wie das von Severine Lönne bietet. Am Markt wie auf der Straße sind E-Bikes auf der Überholspur. Rebecca Bellano


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