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12.01.13 / Herr Drais und der Gummidieb

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Herr Drais und der Gummidieb

Dem Herrn von Drais sagt man die Erfindung des Fahrrades nach. Nicht aber die des Gummireifens. Um die geht es aber in einer Geschichte, die vorab erzählt werden muss:

Herr Löffler wohnte schon während des Krieges neben uns. Von Gemeinsamkeiten fanden sich zunächst keine Spur. Als unser alter Nachbar Jahre später starb, riss der neue Besitzer die maroden Dielen der Löffler-Wohnung heraus, um sie durch gute zu ersetzen.

Und siehe da, er machte eine merkwürdige Entdeckung. Herr Löffler hatte zwar keine Leichen unterm Wohnzimmerboden versteckt, dafür aber die Rahmen der Fahrräder meiner Eltern. Diese waren ihnen in den letzten Kriegstagen plötzlich abhanden gekommen, aber niemand hatte damit gerechnet, dass ausgerechnet der gutmütige Herr Löffler der Dieb war.

Aber warum hatte er nur die Rahmen aufgehoben? Was war mit dem Rest? „Die Bereifung!“, rief meine Mutter. „Es ging ihm nur um die Gummireifen! Da waren damals alle scharf drauf.“

Ich verstand kein Wort. Was sollte man mit Fahrradreifen ohne Fahrrad?

Inzwischen ist mir klarer, wieso unser netter Nachbar sich auf diese Weise unrechtmäßig bereichert hat. Während der beiden Weltkriege war Gummi ein knapper Rohstoff und meistens militärischer Verwendung vorbehalten. Da musste die gute Nachbarschaft auch mal hintenan stehen.

Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums in der Theresienhöhe in München gibt anschaulich darüber Aufschluss, zu welcher Notbereifung man in diesen Zeiten greifen musste. Die Reifenhersteller ersetzten im Krieg ideenreich Luftreifen durch Spiralfedern, Gummimuffen und Kork. So sind Reifen aus spiralförmig gewundenem Stahlblech und mit Spiralfederbereifung der Zeit des ersten Weltkrieges zuzuordnen. Korkscheibenauflagen, Gummischeiben, Gummimuffenauflagen und Vollgummireifen findet man an den Rädern dagegen erst um 1945.

Bei der vom badischen Forstmeister Karl Freiherr von Drais 1817 erfundenen sogenannten Draisine, handelte es sich um ein Gestell ganz aus Holz, bei der sich der Fahrer mit den Füßen vom Boden abstoßen musste. Reifen hatte das Laufrad noch nicht. Anfangs fuhr man mit Eisen- oder seit 1865 mit Vollgummireifen.

Der Schotte Robert William Thomson erfand Mitte des

19. Jahrhunderts einen Reifen aus aufblasbaren Tierdärmen. Der schottische Tierarzt John Boyd Dunlop gilt als der Erfinder des Luftreifens. Er stellte 1888 einen Reifen vor, der erstmals eine praktikable Dämpfung und gute Bodenhaftung ermöglichte. Den ersten abnehmbaren Luftreifen um 1890 haben wir jedoch den Brüdern Michelin aus Frankreich zu verdanken.

Doch welche Bereifung auch immer. Das Fahrrad ist das erste und preiswerteste Individualverkehrsmittel in der Geschichte. Hinter scheinbar primitiver Technik, versteckt sich komplizierte physikalische Theorie. Das umweltfreundlichste Transportmittel ist es sowieso. Es leistet also einen guten Beitrag gegen die Erderwärmung und die Speckrollen am Bauch. Herrn Löffler sei im Nachhinein sein Fehlverhalten verziehen. Silvia Friedrich


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